Wir brauchen eine Spionin der fremden Kultur
Die Festwochen Gmunden widmen der österreichischen Schriftstellerin Barbara Frischmuth einen Schwerpunkt.
Wenn einer Autorin oder einem Autor in Gmunden im Rahmen der Festwochen ein Fest ausgerichtet wird, hat sie oder er es geschafft. Dann ist man kanonisierter Bestand der österreichischen Literatur. In diesem Jahr beschäftigen sich bekannte Größen aus Wissenschaft und Literatur mit Barbara Frischmuth.
Für Franz Schuh, der gemeinsam mit der Universität Wien das Programm gestaltet, ist das längst überfällig: „Es hätte längst schon eine Veranstaltung zu ihren Ehren geben können. Dass man das jetzt macht, hängt damit zusammen, dass wir einer Autorin, die ,Die Klosterschule‘ geschrieben hat, also ein Buch, das intellektuell und emotional Widerstand leistet, Respekt erweisen. Das Buch ist ein Kunstwerk, das daran erinnert, wie totale Institutionen, in dem Fall eine Klosterschule (wie aber auch der Staat, der Tendenzen hat, sich jenseits von Religion totalitär auszubreiten), funktionieren. In der Klosterschule gibt es ein Zusammenspiel eines Wir, also einer Gruppe mit Einzelnen, die unter Gruppenregeln subsumiert werden. Das spielt sich auf verschiedenen Ebenen ab, sowohl in der Schulöffentlichkeit als auch in der Privatheit und in der Intimität. Es ist ein aufklärerischer Blick, der zur österreichischen Literatur gehört, und an dem man sich schulen kann. Außerdem bereitet die Lektüre Freude.“
Erfahrungen aus dem Internat in Gmunden
Mit „Die Klosterschule“, Frischmuths Debüt, befinden wir uns im Jahr 1968. Im Abstand von einem halben Jahrhundert entfaltet der Roman noch seine rebellische Kraft.
Er greift auf eigene Erfahrungen in einem Internat in Gmunden zurück und wehrt sich literarisch gegen erlittene Zumutungen.
Acht Jahre später befindet sich Frischmuth mit „Die Mystifikationen der Sophie Silber“, dem ersten Band der „Sternwieser-Trilogie“, ganz woanders. Wir geraten in Kontakt mit einem Alpenkönig und Feen als Menschenfreunden. Was haben Frischmuths so unterschiedliche Bücher miteinander zu tun? Franz Schuh: „Für mich ist an diesem Werk überaus wichtig der Realismus. Bei Frischmuth ist es eine realistische Schreibweise, die sich selbst überschreitet. Es kommen Fantasiegestalten vor, die aber, wie ebenso viele unserer Fantasien, die Verankerung in einem realistischen Weltbild haben. Ich meine keinen Widerspiegelungsrealismus, sondern ich rede von einer Literatur, die einem die Kraft gibt, auch durch Fantasieprodukte besser zu verstehen, was in der außerliterarischen Wirklichkeit los ist. In der Trilogie sind Fantasiegestalten prägend. Die „Mystifikationen“sind für mich wegen der Hauptdarstellerin Sophie Silber interessant: Sie ist Schauspielerin und dieser Beruf leistet einerseits eine Derealisierung von Wirklichkeit, mit der man zugleich glaubhaft machen will, dass alles wirklich ist, was auf der Bühne – das heißt: zum Schein – geschieht.“
Früh begann sich Frischmuth intensiv mit der orientalischen Kultur zu beschäftigen. „Wenn man den Gedanken an Weltliteratur nicht aufgibt“, erklärt Schuh, „ist es wichtig, in der deutschsprachigen Literatur Spione zu haben, die andere Kulturen kennen. Es geht nicht darum, dass man nett zu einer anderen Kultur ist, sondern man muss wissen, was die anderen ausmacht. Frischmuth ist eine, die das weiß, weil sie es studiert hat.“
Im Roman „Woher wir kommen“arbeitet sie sich an die verschütteten Stellen der Geschichtsschreibung vor, erzählt vom Nationalsozialismus im Salzkammergut und wie er die Bevölkerung spaltet. Für Franz Schuh ist das „eine logische Folge des Realismus. Oder umgekehrt: Der Realismus ist eine logische Folge von zeitgeschichtlichen Interessen. Dass jede Literatur, die Geschichten erzählt, in der Konkurrenz zu und in der Kollaboration mit Zeitgeschichte steht, dass also Menschengeschichte erzählt, das heißt imaginiert oder auch objektiviert wird, versteht sich von selbst. Die chronologische Herkunft unserer Länder aus dem Nationalsozialismus wird derzeit durch spektakuläre Historisierungen, durch eine Masse von Aufklärungsfilmen, inflationär gemacht. Deshalb ist es wichtig, dass die Literatur dagegen konkrete Bilder überliefert.“