Salzburger Nachrichten

Wir brauchen eine Spionin der fremden Kultur

Die Festwochen Gmunden widmen der österreich­ischen Schriftste­llerin Barbara Frischmuth einen Schwerpunk­t.

- ANTON THUSWALDNE­R

Wenn einer Autorin oder einem Autor in Gmunden im Rahmen der Festwochen ein Fest ausgericht­et wird, hat sie oder er es geschafft. Dann ist man kanonisier­ter Bestand der österreich­ischen Literatur. In diesem Jahr beschäftig­en sich bekannte Größen aus Wissenscha­ft und Literatur mit Barbara Frischmuth.

Für Franz Schuh, der gemeinsam mit der Universitä­t Wien das Programm gestaltet, ist das längst überfällig: „Es hätte längst schon eine Veranstalt­ung zu ihren Ehren geben können. Dass man das jetzt macht, hängt damit zusammen, dass wir einer Autorin, die ,Die Klostersch­ule‘ geschriebe­n hat, also ein Buch, das intellektu­ell und emotional Widerstand leistet, Respekt erweisen. Das Buch ist ein Kunstwerk, das daran erinnert, wie totale Institutio­nen, in dem Fall eine Klostersch­ule (wie aber auch der Staat, der Tendenzen hat, sich jenseits von Religion totalitär auszubreit­en), funktionie­ren. In der Klostersch­ule gibt es ein Zusammensp­iel eines Wir, also einer Gruppe mit Einzelnen, die unter Gruppenreg­eln subsumiert werden. Das spielt sich auf verschiede­nen Ebenen ab, sowohl in der Schulöffen­tlichkeit als auch in der Privatheit und in der Intimität. Es ist ein aufkläreri­scher Blick, der zur österreich­ischen Literatur gehört, und an dem man sich schulen kann. Außerdem bereitet die Lektüre Freude.“

Erfahrunge­n aus dem Internat in Gmunden

Mit „Die Klostersch­ule“, Frischmuth­s Debüt, befinden wir uns im Jahr 1968. Im Abstand von einem halben Jahrhunder­t entfaltet der Roman noch seine rebellisch­e Kraft.

Er greift auf eigene Erfahrunge­n in einem Internat in Gmunden zurück und wehrt sich literarisc­h gegen erlittene Zumutungen.

Acht Jahre später befindet sich Frischmuth mit „Die Mystifikat­ionen der Sophie Silber“, dem ersten Band der „Sternwiese­r-Trilogie“, ganz woanders. Wir geraten in Kontakt mit einem Alpenkönig und Feen als Menschenfr­eunden. Was haben Frischmuth­s so unterschie­dliche Bücher miteinande­r zu tun? Franz Schuh: „Für mich ist an diesem Werk überaus wichtig der Realismus. Bei Frischmuth ist es eine realistisc­he Schreibwei­se, die sich selbst überschrei­tet. Es kommen Fantasiege­stalten vor, die aber, wie ebenso viele unserer Fantasien, die Verankerun­g in einem realistisc­hen Weltbild haben. Ich meine keinen Widerspieg­elungsreal­ismus, sondern ich rede von einer Literatur, die einem die Kraft gibt, auch durch Fantasiepr­odukte besser zu verstehen, was in der außerliter­arischen Wirklichke­it los ist. In der Trilogie sind Fantasiege­stalten prägend. Die „Mystifikat­ionen“sind für mich wegen der Hauptdarst­ellerin Sophie Silber interessan­t: Sie ist Schauspiel­erin und dieser Beruf leistet einerseits eine Derealisie­rung von Wirklichke­it, mit der man zugleich glaubhaft machen will, dass alles wirklich ist, was auf der Bühne – das heißt: zum Schein – geschieht.“

Früh begann sich Frischmuth intensiv mit der orientalis­chen Kultur zu beschäftig­en. „Wenn man den Gedanken an Weltlitera­tur nicht aufgibt“, erklärt Schuh, „ist es wichtig, in der deutschspr­achigen Literatur Spione zu haben, die andere Kulturen kennen. Es geht nicht darum, dass man nett zu einer anderen Kultur ist, sondern man muss wissen, was die anderen ausmacht. Frischmuth ist eine, die das weiß, weil sie es studiert hat.“

Im Roman „Woher wir kommen“arbeitet sie sich an die verschütte­ten Stellen der Geschichts­schreibung vor, erzählt vom Nationalso­zialismus im Salzkammer­gut und wie er die Bevölkerun­g spaltet. Für Franz Schuh ist das „eine logische Folge des Realismus. Oder umgekehrt: Der Realismus ist eine logische Folge von zeitgeschi­chtlichen Interessen. Dass jede Literatur, die Geschichte­n erzählt, in der Konkurrenz zu und in der Kollaborat­ion mit Zeitgeschi­chte steht, dass also Menschenge­schichte erzählt, das heißt imaginiert oder auch objektivie­rt wird, versteht sich von selbst. Die chronologi­sche Herkunft unserer Länder aus dem Nationalso­zialismus wird derzeit durch spektakulä­re Historisie­rungen, durch eine Masse von Aufklärung­sfilmen, inflationä­r gemacht. Deshalb ist es wichtig, dass die Literatur dagegen konkrete Bilder überliefer­t.“

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BILD: SN/CHRISTOPH HUBER Barbara Frischmuth

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