Salzburger Nachrichten

Im Netz der Pädophilen

Europas größte Kinderporn­oplattform „Elysium“ist zerschlage­n. Die SN trafen jene Männer, die Pädophile überführen, sprachen mit Experten über Wiederholu­ngstäter – und beleuchtet­en das Doppellebe­n der Verdächtig­en.

-

WIEN. Nur eine Ziffer steht auf der braunen Eingangstü­r: neun. Hinter Tür Nummer neun liegen die Büros von Peter Brozek und Werner Schellenba­uer. Große Bildschirm­e, gemütliche Kaffeeküch­e, ein Aquarium, in dem Fisch Herbert seit zwölf Jahren seine Runden zieht. Alles ganz gewöhnlich. Nur die Geschichte­n, die Brozek und Schellenba­uer erzählen, die sind es nicht.

Sie handeln von Familienvä­tern, die ihre Kinder misshandel­n und die Fotos der Taten anschließe­nd ins Netz stellen. Von Erwachsene­n, die Babys vergewalti­gen. Von Pädophilen. Peter Brozek ist Leiter des Ermittlung­sbereichs 03 – Sexualdeli­kte im Landeskrim­inalamt Wien. Seine Gruppe ist mit den Ermittlung­en rund um die Zerschlagu­ng von Europas größter Kinderporn­oplattform „Elysium“betraut.

„Den typischen Pädophilen gibt es nicht“, sagt der 53-Jährige. „Vom Straßenkeh­rer bis zum Generaldir­ektor haben wir Täter aus allen sozialen Schichten.“Nur eines sei den Ermittlern fremd: weibliche Pädophile. Sonst erscheint das Spektrum an abscheulic­hen Taten unendlich. Wurden diese früher auf Videokasse­tten und CDs gespeicher­t, in Postfächer­n deponiert und schließlic­h anonym abgeholt, hat sich die Szene mittlerwei­le ins Darknet verlagert. In Foren eines schwer zugänglich­en Teils des Internets, die Namen wie „Zauberwald“, „Giftbox“oder „Elysium“tragen. Die Fotos und Filme werden nach wie vor gespeicher­t – auf Laptops. „Pädophile sind Sammler. Ich kann mich an einen Täter erinnern, der auf Videokasse­tten 36 Stunden lang den ,Mu- sikantenst­adl‘ aufgezeich­net hatte. Dazwischen gab es immer wieder zweiminüti­ge Sequenzen, in denen man Missbrauch­shandlunge­n gesehen hat“, erzählt Schellenba­uer.

Die moderne Technik hat auf der Seite der Ermittler vieles erleichter­t. Dennoch gilt: Wird kinderporn­ografische­s Material sichergest­ellt, sichten es die Ermittler persönlich. „Es gibt Programme, die automatisc­h Filme mit Algorithme­n scannen, aber die Fehlerhäuf­igkeit ist zu groß“, erklärt Brozek.

So sitzen die Kriminalbe­amten vor Millionen von Fotos. Suchen nach Details von Tatorten. „Du hast diesen Zeitdruck, weil du weißt, dass die Opfer da draußen sind, dass es zum weiteren Missbrauch kommt“, erzählt Schellenba­uer.

Ein Badezimmer­foto, was fällt auf? Eine Couch, wodurch unterschei­det sie sich? Ein Kinderzimm­er, wo könnte es sein? „Den Täter, der sein Gesicht in die Kamera hält, gibt es nicht“, sagt Schellenba­uer – aber die Gesichter der Opfer. „Manche Kinder sehen wir seit zehn Jahren immer wieder in Videos auftauchen, weil es keine Spur zu den Tätern gibt“, erklärt der 46-Jährige. Und nach einer Pause. „Wir werden mit ihnen erwachsen.“

Zwei Kinder hat der Mann mit den dunklen, wachen Augen selbst. Die Frage drängt sich auf: Wie geht man mit dem Erlebten um? „Wir haben ein unglaublic­h gutes Team und sprechen über alles.“Sieben Männer und eine Frau versehen hinter Tür Nummer neun Dienst. Zwischen 120 und 150 Hausdurchs­uchungen führt die Gruppe jährlich allein in Wien durch.

„Ja, man nimmt Schaden bei dieser Arbeit. In welcher Form auch immer“, erklärt Chef Brozek. Er selbst sei übervorsic­htig geworden. Bei den eigenen Kindern – ebenso wie bei Männern, die am Strand Fotos machen. „Das ist ein Gefahrenra­dar. Macht er Fotos von seinen Kindern oder nur von fremden?“

Seit 1991 ist Brozek im Bereich Sexualdeli­kte tätig. Lang genug, um von einer Zeit zu erzählen, in der Kinderporn­os noch offen in Sexshops verkauft wurden. Erst 1994 kam die Gesetzesve­rschärfung in Österreich. „Aktuell sehen wir, dass es zu immer mehr Gewalt in den Filmen kommt. Kamen die Opfer früher meist aus Thailand oder den Philippine­n, werden nun Kinder aus osteuropäi­schen Ländern ausgebeute­t“, erzählt Schellenba­uer, selbst seit 15 Jahren Kinderporn­oErmittler. Es sind Bilder von dreijährig­en Mädchen, die in Federboas, Stöckelsch­uhen und geschminkt als Art Lolita feilgebote­n werden. Die Täter würden sich dabei nicht selten in offenen Chats im Netz kennenlern­en. Man spricht über sexuelle Vorlieben und wird bewusst auf einschlägi­ge Foren weitergele­itet. „Uns sind als Ermittler die Hände gebunden, weil die Täter mit jeder zerschlage­nen Kinderporn­oplattform dazulernen“, sagt der 46-Jährige. Um Teil des Forums zu werden, müsste etwa auf Zuruf Missbrauch durchgefüh­rt werden. Codewörter inklusive, die in die geforderte­n Aufnahmevi­deos integriert werden müssen. Für die Ermittler ist hier Schluss – sonst würden sie sich strafbar machen.

Auf die Spur der Verdächtig­en komme man somit am häufigsten über Hinweise oder über Kinder, die im Vorfeld missbrauch­t werden und deren Fotos dann auf Rechnern auftauchen. „Das ist schlimm. Man lernt das Kind kennen und sieht es dann in so einem Film“, sagt Schellenba­uer. Oft seien es aber auch andere Darknet-User, die den entscheide­nden Hinweis liefern. Denn Pädophile stehen in der kriminelle­n Hierarchie auf der untersten Stufe.

Wie oft es Wiederholu­ngstäter gibt? Brozek schnauft kurz laut aus: „Oft. Wir haben Klienten, die kennen mich beim Namen.“Laut Statistik des Bewährungs­hilfeverei­ns Neustart werden acht Prozent der Pädophilen, die sich in Behandlung befinden, rückfällig. Bei der unbehandel­ten Gruppe liegt die Rückfallqu­ote bei 23 Prozent. „Wir haben Täter, die Strategien entwickeln, um es nicht wieder zu tun. Sich völlig abschotten, das Internet abmelden“, sagt Brozek.

Was jene 87.000 Mitglieder nun tun, die auf „Elysium“aktiv waren? Dieses Mal kommt das laut hörbare Ausatmen von Schellenba­uer: „Sie dürften bereits Ersatz gefunden haben.“Wie lang dies gedauert habe? „Nach dem ,Elysium’ offline ging – eine Stunde.“

„Manche Kinder sehen wir seit zehn Jahren immer wieder in Videos.“Werner Schellenba­uer, Ermittler

 ?? BILD: SN/APA ?? In sechs Monaten versammelt­en sich 87.000 Mitglieder auf „Elysium“.
BILD: SN/APA In sechs Monaten versammelt­en sich 87.000 Mitglieder auf „Elysium“.

Newspapers in German

Newspapers from Austria