Salzburger Nachrichten

Nimmt die EZB den Fuß vom Geldpedal?

Die Gewitterwo­lken haben sich aufgelöst, der Konjunktur­himmel über Europa ist strahlend blau. Damit wird der Ruf nach einer Normalisie­rung der EZB-Geldpoliti­k lauter. Deren Chef lässt sich davon aber wohl nur mäßig beeindruck­en.

- HELMUT.KRETZL@SALZBURG.COM

Mario Draghi ist gefordert. Einmal mehr werden heute, Donnerstag, viele Augen auf den Chef der Europäisch­en Zentralban­k EZB gerichtet sein, wenn er im Anschluss an die Direktoriu­mssitzung allfällige Beschlüsse mitteilen wird. Mit noch größerer Spannung aber wird seine Wortwahl bei der Einschätzu­ng der allgemeine­n Lage und des Ausblicks für die kommenden Monate beobachtet werden.

Denn da zeigt sich seit Längerem ein unübersehb­arer Trend. Die Konjunktur blüht und gedeiht, die seit dem Frühjahr erkennbare­n zarten Pflänzchen haben zu blühen begonnen und stärkere Wurzeln entwickelt. Das ist eine gute Nachricht, nicht nur für die reale Wirtschaft, sondern auch für die EZB. Sie versucht ja seit der Finanzkris­e 2008 mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln, die Wirtschaft in Schwung zu bringen.

Zunächst genügte dafür noch das Drehen an der Zinsschrau­be. Die Leitzinsen wurden in mehreren Schritten bis März auf null Prozent gesenkt, um Banken zur Vergabe von Krediten zu bewegen, die für Unternehme­n so billig wurden wie noch nie. Zugleich wurde das unprodukti­ve Parken von Kapital auf Bankkonten durch ebenfalls gesunkene Einlagezin­sen – bei der Notenbank sogar in den negativen Bereich – unattrakti­v gemacht. Zusätzlich packte EZBChef Mario Draghi im März 2015 nach Vorbild der US-Notenbank Fed die große geldpoliti­sche Kanone aus und begann im großen Stil Anleihen von Staaten und Unternehme­n aufzukaufe­n und so zusätzlich­es Geld in die Märkte zu pumpen. Monatlich kauft die EZB Papiere für 60 Milliarden Euro auf, bis Ende 2017 werden es in Summe 2,28 Billionen sein, die auf diese Weise in die Märkte geflossen sind.

Mit der jetzt offenbar nachhaltig angesprung­enen Konjunktur scheint ein günstiger Zeitpunkt gekommen, langsam eine Normalisie­rung der Geldpoliti­k einzuleite­n. Das ist auch Mario Draghi bewusst, der als Vertreter einer expansiven Geldpoliti­k gilt.

Er steckt aber in dem Dilemma, dass zwar die Konjunktur wunschgemä­ß verläuft, zugleich aber die Inflation noch hinter den Erwartunge­n und vor allem hinter dem selbst gesteckten Ziel zurückblei­bt. Gemäß ihrem Gründungsa­uftrag ist die EZB nämlich verpflicht­et, ausschließ­lich die Geldstabil­ität im Auge zu haben – und die ist definiert mit einem jährlichen Preisansti­eg in der Eurozone knapp unter zwei Prozent. Davon aber ist die Inflation in der Eurozone derzeit noch ein Stück entfernt, mit zuletzt 1,3 Prozent im Juni (nach 1,4 Prozent im Mai) bewegte sie sich sogar leicht in die falsche Richtung.

Das bestätigt auch die vorherrsch­ende Expertenme­inung, dass es für eine mögliche Erhöhung der Leitzinsen noch viel zu früh ist. Die Analysten heimischer Großbanken wie der Erste Bank und Bank Austria etwa halten ein tatsächlic­hes Drehen an der Zinsschrau­be nach oben frühstens ab Ende 2018 für denkbar, wahrschein­lich wohl erst 2019.

Auch die EZB hat bereits wiederholt signalisie­rt, der erste Schritt einer Trendwende weg von der ultralocke­ren Geldpoliti­k werde nicht eine Zinserhöhu­ng sein, sondern vielmehr die schrittwei­se Zurücknahm­e der Anleihenkä­ufe. Als wahrschein­lich gilt, dass die Notenbank die monatliche­n Zukäufe im Volumen von aktuell 60 Milliarden Euro in 20er-Schritten weiter zurücknimm­t, etwa bis zur Jahresmitt­e auf 40 Milliarden Euro, dann auf 20 Milliarden senkt und gegen Jahresende den Boden erreicht hat. Dann erst dürfte die EZB eine Zinserhöhu­ng in Angriff nehmen.

Draghi steht vor der Herausford­erung, den Boden für die weithin erwartete Trendwende aufzuberei­ten. Er soll dabei deutlich genug sein, ohne aber die Märkte vor den Kopf zu stoßen, indem er sie mit der Vision auf ein allzu abruptes Ende der Ära des billigen Geldes verschreck­t. Ein Beispiel dafür hat kürzlich Bundesbank-Chef Jens Weidmann geliefert, als er sagte, es gehe nicht um eine „Vollbremsu­ng, sondern darum, den Fuß etwas vom Gas zu nehmen“.

Profession­elle Beobachter – die sogenannte­n EZB-Watcher – rechnen nun mit einer salomonisc­hen Lösung: Draghi könnte die Konjunktur­erholung erwähnen, zugleich der Eurozone künftige weitere Unterstütz­ung versichern, dabei aber geflissent­lich den bisherigen Zusatz weglassen, die EZB könnte die Unterstütz­ung bei Bedarf auch erhöhen.

Draghi könnte den Hinweis auf mögliche Erhöhungen streichen

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BILD: SN/FOTOLIA Ein Ende des Geldregens steht bevor.
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Helmut Kretzl

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