Nimmt die EZB den Fuß vom Geldpedal?
Die Gewitterwolken haben sich aufgelöst, der Konjunkturhimmel über Europa ist strahlend blau. Damit wird der Ruf nach einer Normalisierung der EZB-Geldpolitik lauter. Deren Chef lässt sich davon aber wohl nur mäßig beeindrucken.
Mario Draghi ist gefordert. Einmal mehr werden heute, Donnerstag, viele Augen auf den Chef der Europäischen Zentralbank EZB gerichtet sein, wenn er im Anschluss an die Direktoriumssitzung allfällige Beschlüsse mitteilen wird. Mit noch größerer Spannung aber wird seine Wortwahl bei der Einschätzung der allgemeinen Lage und des Ausblicks für die kommenden Monate beobachtet werden.
Denn da zeigt sich seit Längerem ein unübersehbarer Trend. Die Konjunktur blüht und gedeiht, die seit dem Frühjahr erkennbaren zarten Pflänzchen haben zu blühen begonnen und stärkere Wurzeln entwickelt. Das ist eine gute Nachricht, nicht nur für die reale Wirtschaft, sondern auch für die EZB. Sie versucht ja seit der Finanzkrise 2008 mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln, die Wirtschaft in Schwung zu bringen.
Zunächst genügte dafür noch das Drehen an der Zinsschraube. Die Leitzinsen wurden in mehreren Schritten bis März auf null Prozent gesenkt, um Banken zur Vergabe von Krediten zu bewegen, die für Unternehmen so billig wurden wie noch nie. Zugleich wurde das unproduktive Parken von Kapital auf Bankkonten durch ebenfalls gesunkene Einlagezinsen – bei der Notenbank sogar in den negativen Bereich – unattraktiv gemacht. Zusätzlich packte EZBChef Mario Draghi im März 2015 nach Vorbild der US-Notenbank Fed die große geldpolitische Kanone aus und begann im großen Stil Anleihen von Staaten und Unternehmen aufzukaufen und so zusätzliches Geld in die Märkte zu pumpen. Monatlich kauft die EZB Papiere für 60 Milliarden Euro auf, bis Ende 2017 werden es in Summe 2,28 Billionen sein, die auf diese Weise in die Märkte geflossen sind.
Mit der jetzt offenbar nachhaltig angesprungenen Konjunktur scheint ein günstiger Zeitpunkt gekommen, langsam eine Normalisierung der Geldpolitik einzuleiten. Das ist auch Mario Draghi bewusst, der als Vertreter einer expansiven Geldpolitik gilt.
Er steckt aber in dem Dilemma, dass zwar die Konjunktur wunschgemäß verläuft, zugleich aber die Inflation noch hinter den Erwartungen und vor allem hinter dem selbst gesteckten Ziel zurückbleibt. Gemäß ihrem Gründungsauftrag ist die EZB nämlich verpflichtet, ausschließlich die Geldstabilität im Auge zu haben – und die ist definiert mit einem jährlichen Preisanstieg in der Eurozone knapp unter zwei Prozent. Davon aber ist die Inflation in der Eurozone derzeit noch ein Stück entfernt, mit zuletzt 1,3 Prozent im Juni (nach 1,4 Prozent im Mai) bewegte sie sich sogar leicht in die falsche Richtung.
Das bestätigt auch die vorherrschende Expertenmeinung, dass es für eine mögliche Erhöhung der Leitzinsen noch viel zu früh ist. Die Analysten heimischer Großbanken wie der Erste Bank und Bank Austria etwa halten ein tatsächliches Drehen an der Zinsschraube nach oben frühstens ab Ende 2018 für denkbar, wahrscheinlich wohl erst 2019.
Auch die EZB hat bereits wiederholt signalisiert, der erste Schritt einer Trendwende weg von der ultralockeren Geldpolitik werde nicht eine Zinserhöhung sein, sondern vielmehr die schrittweise Zurücknahme der Anleihenkäufe. Als wahrscheinlich gilt, dass die Notenbank die monatlichen Zukäufe im Volumen von aktuell 60 Milliarden Euro in 20er-Schritten weiter zurücknimmt, etwa bis zur Jahresmitte auf 40 Milliarden Euro, dann auf 20 Milliarden senkt und gegen Jahresende den Boden erreicht hat. Dann erst dürfte die EZB eine Zinserhöhung in Angriff nehmen.
Draghi steht vor der Herausforderung, den Boden für die weithin erwartete Trendwende aufzubereiten. Er soll dabei deutlich genug sein, ohne aber die Märkte vor den Kopf zu stoßen, indem er sie mit der Vision auf ein allzu abruptes Ende der Ära des billigen Geldes verschreckt. Ein Beispiel dafür hat kürzlich Bundesbank-Chef Jens Weidmann geliefert, als er sagte, es gehe nicht um eine „Vollbremsung, sondern darum, den Fuß etwas vom Gas zu nehmen“.
Professionelle Beobachter – die sogenannten EZB-Watcher – rechnen nun mit einer salomonischen Lösung: Draghi könnte die Konjunkturerholung erwähnen, zugleich der Eurozone künftige weitere Unterstützung versichern, dabei aber geflissentlich den bisherigen Zusatz weglassen, die EZB könnte die Unterstützung bei Bedarf auch erhöhen.
Draghi könnte den Hinweis auf mögliche Erhöhungen streichen