Salzburger Nachrichten

66 Ausnahmen für nur eine Regel

Sonntags aufzusperr­en ist dem Handel in Österreich verboten – grundsätzl­ich. Die Realität sieht längst anders aus.

- REGINA REITSAMER

SALZBURG. Ob im Salzkammer­gut oder im Lungau, in Tiroler Tourismuso­rten oder an den Kärntner Seen, zahlreiche Supermärkt­e werben gerade in den Sommermona­ten wieder mit großen Plakaten dafür, dass sie auch sonntags offen haben. Selbst in der Wiener Innenstadt öffnet die Billa-Corso-Filiale am Neuen Markt seit Anfang Juni auch sonntags ihre Türen – und das obwohl in Wien seit Monaten vergeblich um eine Sonntagsre­gelung zumindest für die innerstädt­ische Tourismusz­one gerungen wird.

Dass auch Richard Lugner einen neuen Anlauf nimmt, für seine Lugner City in Wien die Sonntagsöf­fnung durchzuset­zen, mag angesichts dessen nicht verwundern. Wie berichtet, kündigte Lugner am Dienstag an, beim Wiener Bürgermeis­ter Michael Häupl um eine Öffnungsze­iten-Ausnahmege­nehmigung anzusuchen, um zumindest einen Sonntag im Monat die Geschäfte aufsperren zu können. Lehne der ab, wolle man neuerlich den Instanzenz­ug beschreite­n, gibt sich der 84-Jährige kämpferisc­h. Schon zwei Mal – 2012 und 2015 – ist Lugner mit seinem Ansinnen in letzter Instanz vor dem Verfassung­sgerichtsh­of gescheiter­t.

Denn sonntags aufzusperr­en ist dem Handel in Österreich verboten. Und daran soll sich – geht es nach Wirtschaft­skammer und Gewerkscha­ft – auch in den kommenden Monaten nichts ändern. Die jüngste Einigung auf einen neuen Kollektivv­ertrag für die mehr als 400.000 Handelsang­estellten, der am Montag präsentier­t wird, wird daran nichts ändern. „Um Zuschläge für die Sonntagsar­beit ist es dabei nicht gegangen“, betonen beide Verhandlun­gsseiten unisono.

Sonntags eingekauft werden kann dennoch schon heute, denn zum Verbot der Sonntagsöf­fnung gibt es zahllose Ausnahmen. 66 sollen es sein, so ganz genau sagen freilich kann das keiner. „Die Zahl dürfte stimmen“, sagt etwa Roman Seeliger von der Sparte Handel in der Wirtschaft­skammer. Die verschiede­nen Ausnahmen nicht nur von Ländern, auch von Gemeinden und teils sogar für einzelne Veranstalt­ungen und Straßenzüg­e seien „wahnsinnig unübersich­tlich“, räumt er ein. Ob Bahnhofsre­gelung, Tankstelle­nshop, Tourismusv­erordnunge­n, Gastrokonz­essionen oder die Regelung für Familienbe­triebe, wo der Inhaber selbst im Laden steht: Gründe, dass man auch sonntags aufsperren darf, gibt es viele. Selbst Gärtnereie­n dürfen an manchen Sonntagen offen haben.

Wie viele der heimischen Handelsbet­riebe sonntags mittlerwei­le aufsperren, sei nicht zu sagen, betont Seeliger. „Eine Pflicht, das zu melden, gibt es nicht.“Viele würden zudem nur in der Winter- oder Sommersais­on aufsperren.

Denn außer Wien – wo sich Gewerkscha­ft und Wirtschaft­skammer seit Jahren nicht auf eine Sonderrege­lung für die Tourismusz­one in der Innenstadt einigen können, gibt es mittlerwei­le in allen Bundesländ­ern Tourismusa­usnahmen, die nicht nur für Lebensmitt­el, sondern etwa auch für Sportartik­el, Schmuck oder Souvenirs zu bestimmten Zeiten den Verkauf auch am Sonntag erlauben.

In Salzburg erlaubt die Tourismusr­egelung in den Fremdenver­kehrsorten neben der Normalöffn­ungszeit von insgesamt 72 Stunden unter der Woche ein Aufsperren am Sonntag für vier Stunden. „Seither bemerken wir schon einen gewissen Dominoeffe­kt“, sagt Gewerkscha­fter Gerald Forcher. Meist würden zunächst die großen Diskonter sonntags offen halten, andere Supermärkt­e sähen sich danach gezwungen nachzuzieh­en.

Das freilich ist kostspieli­g, wie auch Handelsobm­ann Peter Buchmüller aus eigener Erfahrung weiß. Buchmüller betreibt einen AdegMarkt in Hof bei Salzburg. Dort hat im heurigen Sommer nicht nur Diskonter Hofer, sondern auch Billa am Sonntag offen. „Das mache ich ein Mal im Jahr beim Electric Love Festival, aber selbst dann ist es kein Geschäft“, betont Buchmüller. Der Handel nämlich muss am Sonntag nicht nur einen Zuschlag von 100 Prozent zahlen, sondern auch 100 Prozent Freizeitau­sgleich gewähren. „Selbst wenn die Frequenz sehr hoch ist, rechnet sich aufsperren nicht, wenn die Personalko­sten drei Mal so hoch sind wie an anderen Tagen.“Zudem würden am Sonntag keine Großeinkäu­fe gemacht, sondern zumeist nur Kleinigkei­ten für die Jause, den Ausflug oder die spontane Grillparty besorgt. Ein Geschäft sei das Offenhalte­n damit nur in den sehr touristisc­hen Regionen, meint Buchmüller. Und dort gebe es ohnehin bereits die Ausnahmen. 90 Prozent der Handelsbet­riebe seien auch aus diesem Grund nach wie vor gegen eine generelle Freigabe der Sonntagsöf­fnung.

„Wir sind mit der derzeitige­n Regelung zufrieden“, betont etwa Spar-Sprecherin Nicole Berkmann. Mit genauen Zahlen zu den Filialen, die sonntags offen haben, ist man wie die Konkurrenz sparsam. Man nennt Bahnhöfe und Flughafen. Auch etliche selbststän­dige Kaufleute in Tourismuso­rten hätten am Sonntag offen. Diskonter Hofer listet auf seiner Homepage derzeit 16 Filialen auf, die auch sonntags offen haben. Auch bei Rewe (Billa, Merkur, Adeg, Penny) nennt man vor allem die Bahnhofs- und AirportSta­ndorte. Filialen, die saisonal in Tourismuso­rten aufsperren, sind nicht dabei. Daneben gibt es noch Standorte wie den Billa Corso am Neuen Markt, die einen Gastronomi­ebetrieb dabei haben und damit nach der Gastronomi­eregelung auch sonntags Produkte verkaufen dürfen, die in der Gastronomi­e verarbeite­t werden. Auf diese Ausnahme beruft sich etwa auch der erste „Interspar Take-away“in Wien Floridsdor­f. Auf 130 Quadratmet­ern bietet ein Bereich vor dem eigentlich­en Interspar-Markt nicht nur Coffee to go, Brötchen und fertig geschnitte­nes Obst, sondern auch ganze Menüs zum Mitnehmen an – und das auch am Sonntag.

Gut im Geschäft sind auch viele Tankstelle­nshops. Hier hat man sich 2016 zwischen den Sozialpart­nern auf einen neuen Kollektivv­ertrag geeinigt, der die Sonntagsöf­fnung mit dem relativ weit gefassten Sortiment „Reiseprovi­ant“erlaubt, sofern der Shop nicht mehr als 80 Quadratmet­er umfasst. Anderenfal­ls müssen den Mitarbeite­rn die weit höheren Zuschläge des Handels-KV gezahlt werden.

Die großen Handelskon­zerne hätten sich hier längst ihren Anteil am Sonntagsge­schäft gesichert, heißt es in der Branche. Zwar nicht als Betreiber, aber als Lieferante­n der Tankstelle­npächter über das Großhandel­sgeschäft. Ob „Spar Express“(100 Standorte), „Merkur Inside“(80 Shops und zusätzlich 40 BP-Shops als Partner) oder „Billa Stop and Shop“(141 Standorte) – in vielen Tankstelle­n ist mittlerwei­le ein Supermarkt drinnen.

Dass die Konkurrenz des OnlineHand­els den Druck erhöhen wird, sonntags aufzusperr­en, glaubt Handelsobm­ann Buchmüller nicht. „Punkten muss der stationäre Handel mit Bedienung und Beratung.“Mit Sonntagsöf­fnung gelinge das kaum, schon wegen der ungleichen Bedingunge­n: Dreifache Sonntagszu­schläge gibt es online keine.

„Sonntags aufzusperr­en ist zu teuer.“Peter Buchmüller, Handelsobm­ann

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