Salzburger Nachrichten

Richter werden das Asylsystem nicht richten können

Die EU-Staaten müssen eine Grundsatzf­rage beantworte­n: Wollen sie gemeinsam handeln oder jeder für sich?

- Monika Graf MONIKA.GRAF@SALZBURG.COM

Der Europäisch­e Gerichtsho­f hat am letzten Tag vor der Sommerpaus­e so einiges klargestel­lt: Ja, das europäisch­e Asylrecht, wonach das erste EU-Land, das ein Flüchtling erreicht, für ihn zuständig ist, gilt auch in Krisenzeit­en. Ja, auch ein informelle­r Asylantrag ist ein Asylantrag. Und, zumindest nach Meinung des Generalanw­alts: Ja, Flüchtling­e dürfen in der EU vorübergeh­end per Quote verteilt werden, wenn ein Mitgliedss­taat überlastet ist.

Der EuGH bestätigt, dass das Dublin-System gilt, auch wenn Hunderttau­sende nach Europa strömen. Sollte er der Meinung des Generalanw­alts folgen, bestätigt er weiters, dass eine Verteilung von Asylbewerb­ern aus den überlastet­en Ländern Griechenla­nd und Italien zulässig ist. Also alles super und erledigt?

Mitnichten. Denn mit der Realität hat das wenig zu tun. In vielen EU-Ländern stauen sich Asylbewerb­er, für die eigentlich ein anderes EU-Land zuständig wäre. Die Rücknahme funktionie­rt zu langsam, die Betroffene­n werden im Kreis geschickt. Das verbraucht Ressourcen, die die ohnehin überforder­ten Asylbehörd­en dringend benötigen würden, um die eigentlich­e Frage zu klären: Wer darf in der EU bleiben?

Die Flüchtling­squote von 2015 ist nur eine Scheinlösu­ng. Ungarn, Polen und Tschechien weigern sich trotz Vertragsve­rletzungsv­erfahren, bei der Umverteilu­ng von Asylbewerb­ern aus Italien und Griechenla­nd mitzumache­n. Die anderen EU-Länder – mit Ausnahme von Malta und Zypern – haben ihre Quote genauso wenig erfüllt, auch nicht Österreich. Sollten die Ostländer im Falle eines EuGH-Urteils bei ihrer Ablehnung bleiben, droht eine veritable Krise in der EU. Schon gar nichts tragen die Erkenntnis­se aus Luxemburg zur Lösung der Lage in Italien bei. Die meisten der fast 100.000 Migranten, die heuer dort angekommen sind, sind Wirtschaft­sflüchtlin­ge ohne Chance auf Asyl.

Die EuGH-Richter werden das europäisch­e Asylsystem nicht richten können und die Migrations­krise nicht lösen. Sie sollen es auch nicht. Denn darüber müssen die Gesetzgebe­r entscheide­n. Die EU-Kommission hat vor einem Jahr eine Reform des DublinSyst­ems vorgeschla­gen – inklusive automatisc­hem Verteilmec­hanismus im Krisenfall. Genau das wollen aber die Regierunge­n in Warschau, Budapest oder Prag nicht akzeptiere­n. Ohne eine politische Klärung, wie weit Einwanderu­ng und Asyl europäisch werden oder national bleiben, wird der Wanderzirk­us weitergehe­n. Auch das nächste Ja oder Nein aus Luxemburg wird daran nichts ändern.

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