Gerichtshof bestätigt Asylrecht
In Brüssel herrscht Erleichterung. Ungarn sieht eine Verschwörung am Werk.
In der EUKommission, aber auch im heimischen Innenministerium herrschte am Mittwoch Erleichterung. Der Grund: Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat zwei Jahre nach Beginn der großen Flüchtlingswelle in einem Grundsatzurteil die geltenden EU-Asylregeln bestätigt. Auch in der damaligen Ausnahmesituation konnten EU-Länder wie Kroatien ihre grundsätzliche Zuständigkeit für Asylbewerber nicht einfach weiterreichen.
Konkret ging es um den Fall einer afghanischen Familie, die in Österreich Asylantrag gestellt hatte, und um einen Syrer, der in Slowenien Schutz suchte. Sie waren so wie Hunderttausende andere über die Balkanroute gekommen. Sowohl Österreich als auch Slowenien sahen jedoch Kroatien in der Pflicht, die Asylverfahren abzuwickeln. Denn nach der sogenannten Dublin-Verordnung ist jener Mitgliedsstaat für die Prüfung eines Antrags zuständig, in dem der Flüchtling zuerst europäischen Boden betritt.
Das gilt laut EuGH auch, wenn – wie im Fall der Flüchtlingskrise – ein Land wegen des Ansturms aus humanitären Gründen die Einoder Durchreise erlaubt oder sogar mit Zügen und Bussen organisiert und die Menschen in andere EUStaaten durchreisen lässt.
Auswirken wird sich das Urteil auf die afghanische Familie, die gegen die Abweisung ihres Asylantrags vorgegangen war. Sie lebt derzeit in Graz. Darüber hinaus seien aber fast eineinhalb Jahre nach der großen Flüchtlingswelle über die Balkanroute keine Fälle mehr betroffen, hieß es aus dem Innenministerium in Wien, das sich durch das Urteil „vollinhaltlich bestätigt“fühlt. Bestätigt sieht sich auch die deutsche Bundesregierung. Denn laut EuGH dürfen sich EU-Staaten freiwillig für aufgenommene Flüchtlinge zuständig erklären.
Ein anders lautendes Urteil aus Luxemburg hätte größere Folgen für die EU gehabt. EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos begrüßte die Entscheidung und verwies zugleich auf die geplante Reform des Asylrechts. Weil sich die EU-Staaten aber nicht einig sind, liegt der Vorschlag seit über einem Jahr auf Eis. Strittig ist die vorgesehene automatische Verteilung von Flüchtlingen in der EU, sollte es wieder zu einem Ansturm wie 2015 kommen.
Rückenwind bekam die Brüsseler Behörde auch in einer anderen Causa. Denn laut Schlussantrag des Generalanwalts am EuGH, Yves Bot, müssen sich alle Länder an der Verteilung von Flüchtlingen in der EU beteiligen. Ungarn und die Slowakei hatten gegen die im September 2015 vom EU-Rat – nicht einstimmig – beschlossene Verpflichtung geklagt, sich an der Verteilung und Aufnahme von rund 100.000 Flüchtlingen aus den Hauptankunftsländern Italien und Griechenland beteiligen zu müssen.
Bot empfahl nun, die Klagen abzuweisen, weil die Quote „wirksam und in verhältnismäßiger Weise“dazu beitrage, dass Griechenland und Italien die Folgen der Flüchtlingskrise von 2015 bewältigen können. Die Slowakei und Ungarn hätten mit ihrer Weigerung, Flüchtlinge aufzunehmen, gegen „die Pflicht zur Solidarität“und zur gerechten Aufteilung der Lasten verstoßen, der die EU-Länder in der Asylpolitik unterlägen. Wann das Urteil kommt, ist unklar. Meist folgen die Richter den Empfehlungen der Generalanwälte.
Ungarn hat mit einem Gegenangriff reagiert. Bot scheine sich „dem Soros-Plan angeschlossen zu haben“, sagte der Staatssekretär im Justizministerium, Pál Völner. Nach Ansicht der rechtskonservativen Regierungspartei Fidesz beabsichtigt der amerikanische Milliardär George Soros, Flüchtlingsmassen nach Europa zu lenken, um die „christliche und nationale Identität“der Völker Europas zu zerstören.
Die EU-Kommission leitete dann auch die zweite Stufe ihrer Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn, Polen und Tschechien ein, die sich weiter weigern, Flüchtlinge aufzunehmen. Ungarn und Polen haben bis heute keinen einzigen Flüchtling aufgenommen. Tschechien hat zwar zwölf Asylbewerber aufgenommen, aber seit fast einem Jahr keinen mehr. Gegen die Slowakei läuft noch kein Vertragsverletzungsverfahren. Pressburg hat 16 Flüchtlingen Schutz geboten. Österreich hat versprochen, 50 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge aufzunehmen, dies aber noch nicht getan. Insgesamt ist die EU weit vom Ziel von 100.000 Zuteilungen entfernt. Nach Kommissionszahlen vom Mittwoch sind bisher 24.676 Asylbewerber umverteilt worden – 16.803 aus Griechenland und 7873 aus Italien.
„Wir sollten unser Ziel erreichen.“