Spaniens Regierungschef wusste von nichts
Der Konservative Mariano Rajoy ist zwar seit Jahrzehnten im Parteivorstand, bemerkte aber keine unsauberen Geschäfte.
MADRID. Es war kein bequemer Termin, den Mariano Rajoy (62) am Mittwoch absolvieren musste. Lange hatte er versucht, sich vor diesem unangenehmen Auftritt vor dem Nationalen Gerichtshof in Madrid zu drücken. Doch die Richter bestanden darauf, dass jener Mann, der die Geschicke der konservativen Volkspartei seit mehr als einem Jahrzehnt lenkt, als Zeuge im Gerichtssaal erscheinen und unter Eid aussagen musste.
Unangenehm war die Aussage vor allem, weil der spanische Regierungschef zu millionenschweren Schmiergeldgeschäften seiner konservativen Volkspartei befragt wurde: unsaubere Geschäfte, mit denen die Parteikasse gefüllt und auf illegale Weise Wahlkämpfe finanziert worden sein sollen. Es war übrigens das erste Mal, dass ein spanischer Ministerpräsident vor Gericht zitiert wurde. Seine Aussage wurde live im Fernsehen übertragen.
Doch Rajoy, seit 13 Jahren Parteichef und seit Jahrzehnten Mitglied der Parteiführung, wusste wenig zur Aufklärung jenes Korruptionsskandals beizutragen, der schon seit acht Jahren Ermittler und Gerichte beschäftigt. Die Aussage seines früheren Schatzmeisters Luis Bárcenas, dass der Parteichef wie auch andere hohe Parteifreunde Geldumschläge mit 500-EuroScheinen entgegengenommen haben sollen, bezeichnete Rajoy als „völlig falsch“. Auch von einer schwarzen Kassa und ungesetzlicher Parteifinanzierung wisse er „überhaupt nichts“. „Ich habe mich nie um wirtschaftliche Angelegenheiten gekümmert“, sagte Rajoy vor Gericht. Auch wenn es kaum vorstellbar ist, dass der langjährige Parteiboss nichts mitbekommen haben will, dürfte es nicht einfach sein, Rajoy das Gegenteil zu beweisen. Sein früherer enger Vertrauter und Schatzmeister Bárcenas hatte Rajoy zu Protokoll gegeben, dass die Parteiführung über die illegalen Praktiken der vergangenen 30 Jahren „vollständig eingeweiht“gewesen sei. Ähnlich hatte sich auch der mutmaßliche Schmiergeldvermittler und parteinahe Unternehmer Francisco Correa geäußert, der zusammen mit Ex-Schatzmeister Bárcenas im Schmiergeldprozess auf der Anklagebank sitzt. Correa hatte ausgesagt, es sei bei den Konservativen „normale Praxis“gewesen, von Unternehmern, die öffentliche Aufträge haben wollten, „zwei bis drei Prozent“des Auftragswerts an Schmiergeld zu kassieren – eine Praxis, die intern als „Zusammenarbeit mit der Partei“deklariert worden sei.
In welchen Dimensionen sich diese Amigo-Geschäfte zwischen konservativen Bürgermeistern, Abgeordneten und Parteispitzen auf der einen und Wirtschaftsbossen auf der anderen Seite abspielten, lassen die Kontostände der Hauptbeschuldigten erahnen: Auf Schweizer Konten von Bárcenas entdeckten die Fahnder nahezu 47 Millionen Euro. Sein Geschäftsfreund Correa soll sich mit wenigstens 40 Millionen Euro bereichert haben.
Das Geschäftsprinzip war offenbar seit Jahrzehnten unverändert: Öffentliche Aufträge wurden in Rathäusern, regionalen und auch staatlichen Verwaltungen, in denen die Volkspartei regierte, gegen Geld oder andere Geschenke vergeben.
In diesem Schmiergeldprozess mit 37 Angeklagten, vor allem konservative Politiker und parteinahe Unternehmer, geht es um Geschäfte zwischen 1999 und 2005 in Madrid und der Mittelmeerregion Valencia. Weitere Verfahren folgen.
Mariano Rajoy ist seit 2011 Regierungschef. 2016 verlor er die absolute Mehrheit und führt seitdem eine Minderheitsregierung.