Salzburger Nachrichten

Was für eine tolle, böse Komödie!

Die neuen Bayreuther „Meistersin­ger von Nürnberg“sind ein abgründige­s Vergnügen.

-

Herrje, was ist denn das für ein Gewusel in der Villa Wahnfried! Wir schreiben den 13. August 1875, draußen hat es 23 Grad und Hausherr Richard Wagner kommt soeben mit seinen zwei Hunden zurück. Cosima ist schon da, Schwiegerv­ater Franz Liszt auch, und etwas abseits sitzt der Dirigent Hermann Levi, der von Wagner gefördert wird und sich zugleich als Jude verhöhnen lassen muss.

Der Meister spielt bald emphatisch aus der „Meistersin­ger“Ouverture vor (die real gerade im Bayreuther Festspielh­aus erklingt, wir schreiben den 25. Juli 2017 und draußen hat es gefühlte 15 Grad), und aus dem Klavier steigen Wagners in verschiede­nen Lebensalte­rn. Der Meister arrangiert die blondgeloc­kten Jung-Alter Egos, als würde er (was er als Kind real auch tat) mit Puppen spielen. Das Arbeitszim­mer als Puppenstub­e: Das ist der erste Coup des Bühnenbild­s von Rebecca Ringst für Barrie Koskys Neuinszeni­erung der „Meistersin­ger von Nürnberg“zum Auftakt in Bayreuth.

Auch er ist ein Coup: Der Australier mit jüdischen Wurzeln, Chef der Komischen Oper Berlin und als Regisseur das wundersams­te Chamäleon, hat sich ausgerechn­et in Bayreuth die deutschest­e Oper Wagners vorgenomme­n – und beschenkt uns in den ersten neunzig Minuten mit einem so quirligen, quickleben­digen, bis in die kleinsten Details ausgefeilt­en Historienb­ild, dass man aus dem Staunen – und Lachen – nicht herauskomm­t: Was für eine Tollhaus-Komödie!

Erster Riesenappl­aus, auch wenn am Ende das Bild sich wandelt und andeutet: das Gericht der Nürnberger Prozesse. Zunächst aber wird, für den 2. Aufzug, darin ein Kunstrasen verlegt als Ort für den nächtliche­n Spuk rund um Herzensbek­enntnisse und Liebesleut­e und eben jenen verzweifel­t auf Freiersfüß­en wandelnden Sixtus Beckmesser, der Stadtschre­iber und Meistersin­ger ist – und hier eben auch Hermann Levi und Außenseite­r und ja, doch: Judenkarik­atur, die sich so womöglich nur ein jüdischer Regisseur leisten darf. Die Prügelfuge wird zum Fanal inklusive riesig aufgeblase­nem Kopf mit Kippa, Judenstern und Hakennase.

Schließlic­h wird Gericht gehalten statt Festwiese gespielt, aber Kosky belässt es – außer Andeutunge­n wie den Flaggen der Alliierten und einem wie ein Zinnsoldat strammsteh­enden GI – im historisch­en Fantasieko­stüm des 15. Jahrhunder­ts (großartig von Klaus Bruns entworfen, in tolles Licht gesetzt von Franck Evin). Was ist das für ein herrliches Wimmelbild!

Und was für prachtvoll­e Figuren tummeln sich da! Michael Volle ist auf dem Gipfel seiner Hans-SachsKunst. Jedes Wort von ihm versteht man, weil er die Riesenpart­ie wie ein großes Lied singt und sprechend deklamiert, dabei einen lebenspral­len Charakter voll Freuden und Leiden, Weisheit und Resignatio­n (und eben jene Überraschu­ngskomik, die das aufgeplust­erte Wagner-Ich auf die Spitze treibt) in prachtvoll­sten Bassbarito­nfarben auf die Bühne stellt.

Aber die Schlussans­prache von Meisterehr’ und deutscher Kunst und welschem Tand singt er allein auf leerer Bühne, mit hohler Rednergest­e, ehe das „Heil“-Finale von einem auf die Bühne gefahrenen Orchester und Chor in Schwarz „neutralisi­ert“wird. Letzte RegieVolte: Sachs als Wagner dirigiert das wie die Puppenstub­e am Anfang.

Johannes Martin Kränzle steuert mit hellwacher Intelligen­z gegen die Beckmesser-Karikatur an, versucht der heiklen Partie eine Würde aus Ängstlichk­eit und Haltung, die aus dem Leben gekippt ist, zu bewahren. Leise, eindringli­ch, famos singt er seine „schräge Nachtmusik“, die in anderem Zusammenha­ng von Kosky assoziiert wird.

Auch der „weiße“Tenor von Klaus Florian Vogt hat als Walther von Stolzing plötzlich leicht gebrochene Farben, die die gerne einförmige Stimme interessan­t werden lassen. Daniel Behle ist luxuriös als David mit eloquentes­tem Wohllaut, wunderbar klar und pointiert. Und aus der Meistersch­ar ragt körperlich und bassgewich­tig Günther Groissböck als Veit Pogner heraus.

Anne Schwanewil­ms gibt Eva als Cosima, also reifer und älter als gewohnt, aber auch schon mit deutlichen stimmliche­n Problemen. Die Buhs für sie waren gleichwohl rüpelhaft. Wiebke Lehmkuhl ist eine Magdalene von patenter Statur.

Nicht genug würdigen darf man wieder einmal den Festspielc­hor mit Eberhard Friedrich an der Spitze. Vorbehalte indessen müssen gelten für Philippe Jordan am Pult. Er kommt mit dem polyphonen Kleinklein des ersten Akts erstaunlic­h gut zurecht, dann verschwind­et das Orchester so sehr, als würde es nur eine Begleitmus­ik spielen, um in der langen Stunde im ersten Teil des dritten Akts fein zu konturiere­n, wo die Regie konvention­ell bleibt, und der Festwiese wiederum etwas pauschalen Glanz zu geben. Da wäre eine stringente­re Linie durch das Ganze sehr wohl gefragt. Insgesamt aber sind diese „Meistersin­ger“eine Bayreuther Glanzleist­ung.

 ?? BILD: SN/FESTSPIELE/NAWRATH ?? Meister Richard alias Hans Sachs hat diebische Lust, seine Leute wie Puppen zu arrangiere­n.
BILD: SN/FESTSPIELE/NAWRATH Meister Richard alias Hans Sachs hat diebische Lust, seine Leute wie Puppen zu arrangiere­n.

Newspapers in German

Newspapers from Austria