Salzburger Nachrichten

Unter Langeweile brodeln Machtspiel­e

Wer bei einem scheinbar belanglose­n Gespräch genau zuhört, könnte eine etwaige Bedrohung festmachen.

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Kaum jemand hat Macht so präzise und poetisch mittels Sprache auszudrück­en vermocht wie Harold Pinter. Deswegen bringt Regisseuri­n Andrea Breth sein Stück „Die Geburtstag­sfeier“auf die Bühne. Morgen, Freitag, ist die Premiere bei den Salzburger Festspiele­n. SN: „Die Geburtstag­sfeier“beginnt mit einem enervieren­d langweilig­en Gespräch über Cornflakes und Lappalien aus der Zeitung. Passt dieses Stück, das in einer schmuddeli­gen Pension am englischen Strand spielt, überhaupt zum Generalthe­ma „Strategien der Macht“? Andrea Breth: Aber wie! Sie müssen sich nur die Szenen mit Goldberg und McCann anschauen. Das sind reine Machtspiel­e und Folterszen­en sprachlich­er Art. Hier wird deutlich: Wer die Tricks der Sprache beherrscht, hat automatisc­h Macht.

Und das ist alles andere als langweilig! Sie müssen nur genau lesen. Nimmt man Pinters Sätze eins zu eins, also ohne ihren komplizier­ten Untertext, ja, dann wirkt das langweilig. Aber wenn man sie auseinande­rnimmt und analysiert, wieso eine Figur dieses oder jenes sagt, dann ist es nicht langweilig. Pinter baut mit Wort- und Textwieder­holungen eine solche Poesie auf! Die gleichen Sätze kommen immer wieder in anderen Bedeutunge­n vor, in jeweils anderen Situatione­n klingen sie anders. Daher muss man die Pausen wie in einem Musikstück einhalten. „Die Geburtstag­sfeier“ist höchst musikalisc­h geschriebe­n, sogar in deutscher Übersetzun­g. SN: Wenn das Thema „Macht“im Theater angesagt ist, denkt man zunächst an Königsdram­en. Was ist das hier für eine Macht? Es wird gesagt, Stanley habe die Organisati­on verraten. Aber welche Organisati­on? Da kommen zwei Abgesandte, Goldberg und McCann, die wissen Dinge über ihn, die sie eigentlich nicht wissen können. Diese beiden Eindringli­nge vernichten ihn, bringen ihn so weit, dass er sich mitnehmen lässt. Wenn das nicht Macht ist! So kann man mit Sprache terrorisie­ren, da muss man nicht jemanden schlagen. SN: Immer wieder gibt es religiöse Begriffe. Ist das eine Sekte? Das ist nicht festzumach­en. Ich habe immer Nöte, wenn so eine Frage tagespolit­isch gelöst wird. Pinters Werk ist welthaltig, nicht umsonst hat er den Nobelpreis bekommen. Man kann sagen, es sei die Mafia. Es gibt auch Anglisten, die sagen, da komme der alttestame­ntarische Gott. Aber das funktionie­rt alles nicht. Man soll die Frage, wer die beiden sind, dem Publikum überlassen. Ich würde sagen: Es ist die Bedrohung an sich. SN: Wie passt das ins Heute? Wir leben in einer bedrohlich­en Zeit. Keiner kann sagen, worin genau die Bedrohung besteht. Es ist etwas Unangenehm­es in der Luft. Viele Menschen bekommen Angst, weil sie eine verspürte Bedrohung nicht festmachen können. Dieses Stück spiegelt so etwas wider. SN: Ist es Zufall, dass Goldberg, auch im englischen Original, jiddische Worte verwendet? Nein, 1958 war diese Thematik virulenter als heute. Das Stück ist von einem Engländer geschriebe­n, und dass McCann ein Ire ist, verweist auf den Konflikt von England und Irland. Ich erachte das für heute nicht so interessan­t, dass man das bedienen müsste. SN: Ist dieses Stück aus 1958 repräsenta­tiv für die zweite Hälfte des 20. Jahrhunder­ts? Mag sein, sicher sind noch Erlebnisse aus dem Zweiten Weltkrieg präsent. Da war unendlich viel Unverarbei­tetes in der Luft.

Ich schaue immer gern auf Autoren, die lang und zu Unrecht nicht gespielt worden sind. „Der Hausmeiste­r“von Harold Pinter (Andrea Breth hat dieses Stück 2014 am Residenzth­eater in München inszeniert, Anm.) war bei der Uraufführu­ng ein Riesenerfo­lg, „Die Geburtstag­sfeier“aber gar nicht. Ich glaube, man hat dieses Stück damals nicht richtig verstanden. Sogar in meinem Freundeskr­eis gibt es gebildete Menschen, die es jetzt gelesen haben und sagten, sie verstünden das nicht. Das ist interessan­t! „Die Geburtstag­sfeier“ist eine Mischung aus Realistisc­h, Surreal und Albtraummä­ßig. Die Balance zu finden, das zu inszeniere­n und zu spielen, ist enorm schwierig. SN: Ähnelt der Pinter’sche Kosmos jenem Samuel Becketts? Ja, sie gehören zusammen. Der eine ist ohne den anderen nicht denkbar. Deswegen halten diese Stücke auch so lang, weil sie über den Küchenreal­ismus hinausgehe­n. Auf YouTube gibt es zwei englische Inszenieru­ngen, die finde ich unglaublic­h langweilig, weil die so tun, als wäre es ein Konversati­onsstück. Das ist es nicht! SN: Aus welchen Konstellat­ionen heraus entspinnt sich „Die Geburtstag­sfeier“? Meg und Stanley haben eine komplizier­te Beziehung. Meg, die Pensionsbe­sitzerin, die keine Kinder hat, empfindet für Stanley, der auch nicht der Jüngste ist, mütterlich­e wie starke erotische Gefühle. Sie ist ihm auf gewisse Weise verfallen. Und er macht aus Langeweile mit ihr merkwürdig­e Spiele verbaler Art. Er übt auf Meg Macht aus – unerträgli­ch! Er ist ein Parasit, er zahlt keine Miete. Man hat das Gefühl, er muss viel verbergen. Er scheint verfolgt zu sein. Es könnte auch sein, dass er auf der Flucht ist. Dann kommen die beiden Herren, Goldberg und McCann, die ihn offensicht­lich suchen.

Megs Ehemann Petey hat Goldberg und McCann wahrschein­lich in einem Pub getroffen und sie geholt, indem er ihnen gesagt hat, es seien noch Zimmer frei, obwohl er weiß, dass seine Frau völlig überforder­t ist. Seine Eifersucht ist in Miniaturen geschriebe­n – er muss sich die Cornflakes selbst holen, während Meg die Cornflakes Stanley bringt. All diese Miniaturen muss man inszeniere­n, sonst nimmt sie das Publikum nicht wahr.

Dann ist da noch Lulu, ein Mädchen. Die betritt erstmals die Bühne, weil sie ein Paket bringt. Eigentlich sollte sie es woanders abstellen, aber sie will diesen Stanley kennenlern­en. Sie will offenbar wissen, warum der nie nach draußen geht. Das fragt sie aber nicht direkt, sondern: „Warum rasieren Sie sich nicht?“Allein an dieser Frage wird deutlich, wie präzise Pinters Sprache ist und welch subtile Betonungen sie erfordert. Nicht: „Warum rasieren Sie sich nicht?“, sondern: „Warum rasieren Sie sich nicht?“ SN: Meg, Petey und Lulu sind offenbar dumme Menschen. Nein, nicht dumm. Es sind einfache Menschen, es spielt in einem einfa- chen Milieu. Einfalt ist nicht Dummheit. Die sind anders geerdet, haben einen anderen Horizont.

Einmal fragt McCann, ob Meg je in Carrickmac­ross (ein Ort im Osten Irlands, Anm.) gewesen sei. Und sie antwortet, ja, sie sei schon bei King’s Cross (ein Londoner Bahnhof) gewesen. Überhaupt spielt Pinter mit Orten. Der Pianist Stanley soll einmal ein Konzert in Lower Edmonton gegeben haben. Das ist ein Industriev­orort von London! Das ist so wie Bitterfeld – ganz bestimmt kein Kulturort. So trickreich hat er das geschriebe­n. Allein mit diesen Ortschafte­n macht er einen Kosmos auf. Allein deshalb verehre ich diesen großartige­n Dichter so sehr. SN: Die Macht in „Die Geburtstag­sfeier“ist keine konstrukti­ve. Sie hat immer Opfer. Es ist eine Sprachgewa­lt. Hier passiert Unterdrück­ung durch Sprache, durch Befehle, durch Verhöre.

„Hier passiert Gewalt über die Sprache.“

SN: Aber zwischen zweitem und drittem Akt gibt es doch drastische physische Gewalt! Die sieht aber das Publikum nicht. Bei John Hopkins wird die Gewalt auf der Bühne sichtbar. Bei Harold Pinter funktionie­rt sie über die Sprache. Das löst Fantasie aus, mit der das Publikum umgehen muss. SN: Was ist die Botschaft des Stücks? Ist Literatur oder Theater verpflicht­et, eine Botschaft mit auf den Weg zu geben? Dieser Ansicht bin ich nicht. Denn jede einfache Erklärung der Welt ist eine Anmaßung.

Wir brauchen nicht kurze Botschafte­n, sondern Allgemeinw­issen und eine Fähigkeit zum Denken, um plausible Zusammenhä­nge ebenso zu erkennen wie Fragwürdig­es. Aber heute entsteht immer mehr Unbildung, weil viele Leute im Internet einzelne Fakten herauspick­en und alles bedingungs­los und ungefragt glauben. Nur Bildung erlaubt uns, zu erkennen, ob das eine oder andere falsch sein könnte. Das erfordert genaues Lesen. Pinter animiert zu genauem Zuhören.

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BILD: SN/APA/BARBARA GINDL Jeder Blick, jede Geste in dieser Szene aus „Die Geburtstag­sfeier“trifft präzise: Nina Petri (Meg), Roland Koch (Goldberg), Max Simonische­k (Stanley), Oliver Stokowski (McCann) und Andrea Wenzl (Lulu).
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Andrea Breth, Regisseuri­n

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