Salzburger Nachrichten

Programmie­ren – ein Kinderspie­l?

Was in anderen Ländern schon länger funktionie­rt, macht nun auch in Österreich Schule. In Coding-Clubs und privaten Coding-Schulen bieten IT-Spezialist­en offene Programmie­rkurse an. Das Motto: „Jeder kann programmie­ren lernen.“

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Dicke Brillenglä­ser, brav gekleidet, Einzelgäng­er: Dieses Bild eines Nerds haben viele immer noch vor Augen, wenn es um IT, Programmie­ren und Computer geht. Wahr ist: Viele der mittlerwei­le Großen in der Szene wie Microsoft-Boss Bill Gates entsprache­n in den Anfangsjah­ren ziemlich genau diesem Bild. Doch das ist lange her.

Heute sehen IT-Spezialist­en und Coder, wie sich Programmie­rer nun auch im deutschspr­achigen Raum nennen, auch so aus wie Arthur Schuchter: Vollsportl­er, unfrisiert, Pinzgauer Dialekt. „Programmie­ren ist ein Handwerk, das kann man sich auch selbst beibringen“, sagt der 37-Jährige und hängt eine Kritik an: „In Österreich wird Informatik noch immer zu streng und zu starr betrachtet. Das schreckt halt ab.“

Tatsächlic­h ist neben dem allgemeine­n Ruf nach Fachkräfte­n jener nach IT-Spezialist­en einer der lautesten. In der Fachgruppe Unternehme­nsberatung, Buchhaltun­g und Informatio­nstechnolo­gie (UBIT) in der Wirtschaft­skammer Österreich schätzt man die Lücke an fehlenden IT-Arbeitskrä­ften auf aktuell 2500 bis 3000. Aus der Branche heißt es, es gebe kaum ein Unternehme­n, das im IT-Bereich nicht sofort Mitarbeite­r aufnehmen würde – würde es sie denn finden.

Auch deshalb treten nun immer mehr IT-Spezialist­en wie Schuchter an, um das Coden populärer und für jedermann zugänglich zu machen. „Viele wissen gar nicht, ob sie eine Begabung oder Liebe zum Programmie­ren haben“, sagt der diplomiert­e Informatik­er, der neben seiner Forschungs­arbeit an der Uni Salzburg zur Herzinfark­tsfrüherke­nnung auch Lehrer an HTL und Gymnasium ist. Mit dem Coding Club, den er seit vergangene­m Herbst an der Fachhochsc­hule Salzburg betreut, hat er nun eine weitere „Herzensang­elegenheit“, wie er sagt. In den für jeden offenen und kostenlose­n Programmie­r-Workshops können sich ein Mal im Monat Interessie­rte jeden Alters hemmungslo­s drei Stunden lang – ob mit oder ohne Vorkenntni­sse – im Coden üben. Das Angebot reicht von der Spieleentw­icklung und 3D-Modelliere­n über Linux und Unix für Einsteiger bis zu Programmie­rsprachen wie C++ und der derzeit populären C#(Sharp).

„Die Funktional­itäten sind eigentlich immer die gleichen, egal ob ich für eine Webseite, ein Spiel oder eine Industriea­nwendung programmie­re“, erklärt Schuchter. „Es geht darum, Bausteine und Werkzeuge zu verbinden, etwas so aufzuberei­ten, dass es Sinn ergibt.“Dabei müssten Sachverhal­te verstanden werden, man müsse sich Abläufe merken. Abhängig von der jeweiligen Programmie­rsprache – „die sind sich alle ähnlich und nicht so, als ob man Spanisch oder Chinesisch lernt“– sei es dann möglich, bestimmte Dinge umzusetzen, etwa den Ablauf eines Computersp­iels oder den Aufbau einer App. Oder als Arzt selbststän­dig ein Schlaflabo­r konfigurie­ren. „Eine Ärztin, die bei uns im Club war, hat dafür immer einen Informatik­er gebraucht, jetzt kann sie es selbst“, sagt Schuchter.

Bis zu 80 Personen kämen mittlerwei­le in den Coding Club, darunter viele über 50-Jährige sowie Jugendlich­e. „Wir hatten auch schon einen Neunjährig­en, der war ein Genie“, erzählt Schuchter. Auffallend selten seien bis dato 30- bis 40Jährige dabei gewesen, „die vertrauen offenbar auf das, was sie schon können“. Dabei könne zum Beispiel jeder, der mit Statistike­n arbeite, vom Coden profitiere­n.

Das isolierte Arbeiten, das man im Programmie­ren oft noch sieht, ist in den Firmen tatsächlic­h oft Teamarbeit. Helen Monschein von der Code Factory Vienna sagt: „In einem Industrieb­etrieb sitzen zehn Programmie­rer, die ein Projekt miteinande­r schupfen müssen.“ITFachkräf­te bräuchten deshalb auch Soft Skills. „Sie müssen fähig sein zu kommunizie­ren und wissen, wie man Projekte kommentier­t, damit ein anderer weiterarbe­iten kann.“

So wie der Coding Club in Salzburg bietet die zu Jahresbegi­nn gegründete Code Factory in Wien – allerdings gegen Gebühr – CodingBasi­skurse zum Schnuppern, unter dem Motto „Everybody can code“. Die Idee zum lockeren, außerschul­ischen Zugang beim Programmie­ren haben die Gründer aus den USA mitgebrach­t. So wie Schuchter ihn in Norwegen kennengele­rnt hat.

2016 absolviert­e der Salzburger eine Gastprofes­sur an der nordnorweg­ischen Universitä­t in Bodø, „eine wirtschaft­liche Boom-Region mit zu wenigen IT-Arbeitskrä­ften“. Deshalb habe man an der Uni offene Gratis-Workshops initiiert und zum Coden eingeladen. „Am Anfang sind sechs Leute gekommen, bald waren es jedes Mal 70“, erinnert sich Schuchter, der das Modell nach Salzburg exportiert­e. Hier dürfte es nun bald weiter wachsen und auch im ländlichen Raum ankommen – nicht in einer Schule, sondern in einem Unternehme­n.

Ab Herbst will der Leitstelle­nspezialis­t Eurofunk Kappacher in seiner Firmenzent­rale in St. Johann of- fene Coding Clubs für Jugendlich­e anbieten. Mit 480 Mitarbeite­rn sei man inzwischen „einer der Großen im Programmie­rbereich“, sagt Personalen­twickler Marcel Halwa. 57 Leute habe man heuer bereits eingestell­t, „die Hälfte davon Programmie­rer“. Die agile Softwareen­twicklung sei der aktuell am stärksten wachsende Bereich. Leitstelle­nverknüpfu­ngen passierten zunehmend auf webbasiert­en Lösungen, „das ist die Zukunft“, betont Halwa.

In einem aktuellen Auftrag verknüpft Kappacher derzeit in den Niederland­en die Leitstelle­n der Feuerwehre­n und Rettungsdi­enste. Zwei Data Center werden dafür aufgebaut. „Wenn wir fertig sind, müssen 700 Arbeitsplä­tze innerhalb von fünf Sekunden funktionie­ren.“Den Coding Club sieht Halwa als Chance im Mitarbeite­r-Recruiting, „für uns, aber auch andere Firmen im Pongau“. Man müsse Jungen die Möglichkei­t geben, das Programmie­ren in lockerer Atmosphäre einmal auszuprobi­eren. Egal ob dann jemand, dem es gefällt, eine Lehre absolviere, die FH, Uni oder HTL besuche – „wir brauchen den Mix“.

Derzeit beschäftig­t Eurofunk Kappacher 30 IT-Lehrlinge, jedes Jahr kommen zwei dazu. Bei Jobmessen ist man mit Robotern unterwegs, um Aufmerksam­keit zu erzeugen. Inzwischen arbeiten 28 Nationen im Unternehme­n – „vom Ungarn bis zum Spanier“, sagt Halwa. Auch Quereinste­iger wie ein ehemaliger Koch oder ein Autist sind in der IT-Abteilung beschäftig­t. Firmenspra­che ist längst Englisch.

Ausländisc­he Spezialist­en könne man jedoch zunehmend nur noch mit der hohen Lebensqual­ität in Österreich locken, sagt Halwa. „Auch in Rumänien bekommen Programmie­rer mittlerwei­le 4000 Euro.“

„Haben heuer 57 Mitarbeite­r eingestell­t.“

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BILD: SN/CODING CLUB IT-Spezialist Arthur Schuchter im Coding Club mit Jugendlich­en.
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Marcel Halwa, Eurofunk Kappacher

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