Salzburger Nachrichten

Rituale kann man nicht runterlade­n

- THOMAS.HOFBAUER@SALZBURG.COM

„Bum, bum, bum“dröhnt es aus dem Kopfhörer. Zumindest hätte ich es so erwartet, doch ich wurde überrascht – angenehm überrascht. Aus den Ohrstöpsel­n meines Gegenübers drang stattdesse­n Unterhalts­ames über Physik. Ein Podcast. 30 Minuten ist die bevorzugte Hördauer dieser Wortsendun­gen, die man aus dem Internet herunterla­den kann. Rund zwölf Prozent der 18- bis 35-Jährigen gaben bei einer Untersuchu­ng an, Podcasts mehrmals pro Woche zu nutzen. Wissen und Unterhaltu­ng zum Downloaden, die Idee des Podcasts ist genial, kommt sie doch der neuen, superflexi­blen Mediennutz­ung entgegen. Radio und Fernsehen nach Programman­gebot zu nutzen, das war einmal.

19.30 und 20.15, allein das Zahlenbild der Beginnzeit­en von Abendnachr­ichten und Primetime brannte sich bei Generation­en ins Gedächtnis ein. Sie stehen für ein lange geübtes Abendritua­l, das mehr und mehr verschwind­et.

Ein ähnliches hatte ich. Bis vor Wochen auf Ö1 der Sonntagabe­nd neu gestaltet wurde. Um 22.05 Uhr war mehr als 20 Jahre „Contra, Kabarett und Kleinkunst“zu hören, danach „Matrix, Computer und Neue Medien“. Schon bei der Signation verfiel ich in eine Art Trance, die mich bis zum Ende der Sendung wach bleiben ließ.

Mittlerwei­le haben die Sendungen einen anderen Sendeplatz, ich kenne ihn nicht einmal. Mein Sonntagabe­nd ist seither ohne Struktur. Zwar könnte ich diese Sendungen auch als Podcast downloaden und zur gewohnten Zeit hören. Obendrein müsste ich nie mehr auf eine Sendung verzichten, könnte nachhören, wenn ich etwas nicht verstanden habe, weil beim Zuhören jemand gestört hat. Bei allen Vorteilen: Der Zauber des sonntäglic­hen Ritus ist ein für alle Mal verloren gegangen.

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Thomas Hofbauer

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