Rituale kann man nicht runterladen
„Bum, bum, bum“dröhnt es aus dem Kopfhörer. Zumindest hätte ich es so erwartet, doch ich wurde überrascht – angenehm überrascht. Aus den Ohrstöpseln meines Gegenübers drang stattdessen Unterhaltsames über Physik. Ein Podcast. 30 Minuten ist die bevorzugte Hördauer dieser Wortsendungen, die man aus dem Internet herunterladen kann. Rund zwölf Prozent der 18- bis 35-Jährigen gaben bei einer Untersuchung an, Podcasts mehrmals pro Woche zu nutzen. Wissen und Unterhaltung zum Downloaden, die Idee des Podcasts ist genial, kommt sie doch der neuen, superflexiblen Mediennutzung entgegen. Radio und Fernsehen nach Programmangebot zu nutzen, das war einmal.
19.30 und 20.15, allein das Zahlenbild der Beginnzeiten von Abendnachrichten und Primetime brannte sich bei Generationen ins Gedächtnis ein. Sie stehen für ein lange geübtes Abendritual, das mehr und mehr verschwindet.
Ein ähnliches hatte ich. Bis vor Wochen auf Ö1 der Sonntagabend neu gestaltet wurde. Um 22.05 Uhr war mehr als 20 Jahre „Contra, Kabarett und Kleinkunst“zu hören, danach „Matrix, Computer und Neue Medien“. Schon bei der Signation verfiel ich in eine Art Trance, die mich bis zum Ende der Sendung wach bleiben ließ.
Mittlerweile haben die Sendungen einen anderen Sendeplatz, ich kenne ihn nicht einmal. Mein Sonntagabend ist seither ohne Struktur. Zwar könnte ich diese Sendungen auch als Podcast downloaden und zur gewohnten Zeit hören. Obendrein müsste ich nie mehr auf eine Sendung verzichten, könnte nachhören, wenn ich etwas nicht verstanden habe, weil beim Zuhören jemand gestört hat. Bei allen Vorteilen: Der Zauber des sonntäglichen Ritus ist ein für alle Mal verloren gegangen.