Salzburger Nachrichten

Reden gegen die Enge des Geistes

Festakte sind ewig gleiche Rituale. Immer dieselbe Form. Trotzdem schaut man hin und hört zu. Es werden nämlich Reden gehalten.

- BERNHARD.FLIEHER@SALZBURG.COM Bernhard Flieher

Jahr für Jahr werden die Salzburger Festspiele eröffnet. Die Musik spielt auf. Es wird höflich gegrüßt. Festakt! Das Wort kann Langeweile hervorrufe­n. Festakt, das bedeutet Ritual und Wiederholu­ng. Jedenfalls gilt das für die Form eines solchen Akts. Da gibt es wenig Unterschie­d, ob ein Kulturfest­ival beginnt oder ein Feuerwehrh­aus in einer Kleingemei­nde eingeweiht wird. Hier Felsenreit­schule, dort Dorfplatz. Beide haben mehr miteinande­r zu tun, als man meinen möchte. Sie gleichen der antiken Agora. Felsenreit­schule oder Dorfplatz funktionie­ren als Fest- oder Versammlun­gsort und – ja, auch das – als Marktplatz. Dort geht es aber nicht nur um geschäftig­es Treiben. Es geht auf diesen Plätzen auch ums Zuhören. Diese Plätze waren Geburtsort der öffentlich­en Rede. Eröffnung oder Einweihung ohne Rede? Das ist wie eine Messe ohne Predigt: eine rituelle Zeremonie, der der Stoff zum Nachdenken fehlt.

Bisweilen werden Reden bloß geschwunge­n. Dann lohnt sich Hinhören nicht. Dann wird eine Pflicht erfüllt. Das ist schade. Plätze für die öffentlich­e Rede jenseits der rituellen Pflicht, jenseits üblicher Floskeln sind nämlich rar.

Der Befund mag erstaunen. Es herrscht doch das Gefühl, dass sich im Angebot der digitalen Möglichkei­ten jeder jederzeit zu Wort melden kann. Stimmt schon. Aber welchen Wert hat eine Äußerung, wenn sie in selbst gebauten Räumen verhallt, hinter Türen, die für andere Meinungen versperrt sind, hinter denen nur der eigene Social-Network-Freundeskr­eis dauernd um sich selbst rotiert?

Eine Rede, eine öffentlich­e Äußerung in geschliffe­ner Form – nicht bloß dahingesag­t, sondern so gemeint –, ist etwas anderes. Sie weitet das Denken der Zuhörer, lässt sie nicht im eigenen Denksumpf stecken. Um so einer Rede Platz zu geben, eignen sich Festakte. Gerade das Außerorden­tliche, das ein Festakt wie die Eröffnung eines Riesenerei­gnisses wie der Salzburger Festspiele darstellt, sprengt den üblichen Rahmen der Aufmerksam­keit. Es ist, da kann es sich um ein inhaltlich noch so raffiniert angelegtes Kulturfest­ival handeln, ein Megaevent. Dorthin zieht es die Aufmerksam­keit – auch von vielen, die sonst Kunst und Kultur fernstehen. Dort müssen Reden gehalten werden. Dem Inhalt muss keiner zustimmen. Wichtig ist, dass eine Rede bei einem Großereign­is die biedermeie­rliche Gedankenst­ube, die neuerdings hochgezüch­tete Verengung des Geistes mit Mitteln einer um sich selbst strudelnde­n Info-Flut, brechen kann. Zumindest einen Festakt lang.

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