Salzburger Nachrichten

„Zum Glück saß ich im Rollstuhl“

Kann ein vom Kopf abwärts gelähmter Mensch Volksvertr­eter sein? Franz-Joseph Huainigg hat bewiesen: Ja. Jetzt tritt er nach 15 Jahren ab.

- Franz-Joseph Huainigg HTTPS://YOUTU.BE/18JRAYWWEG­Q

Er sitze zwar im Rollstuhl, sei aber kein Sesselkleb­er. Franz-Joseph Huainigg, ÖVP-Sprecher für behinderte Menschen und Internatio­nale Zusammenar­beit, verlässt den Nationalra­t. Sein Abschiedsi­nterview. SN: Sie haben insbesonde­re als Behinderte­nsprecher viel weitergebr­acht. Sie sind über die Parteigren­zen hinweg geschätzt. Kandidiere­n Sie freiwillig nicht mehr? Franz-Joseph Huainigg: 2002 habe ich von Bundeskanz­ler Wolfgang Schüssel die große Chance bekommen, als Quereinste­iger die Politik mitzugesta­lten. Ich habe daher Verständni­s, wenn jetzt wieder Quereinste­iger an wählbarer Stelle platziert werden. Für mich ist es ein freiwillig­er Abschied aus dem Nationalra­t, aber nicht aus dem politische­n Wirken. Ich fühle mich frei und fit für Neues. SN: Als Ihnen vor 15 Jahren angeboten wurde, für die ÖVP anzutreten, was war da Ihr erster Gedanke? Zum Glück saß ich im Rollstuhl, sonst wäre ich glatt umgefallen. SN: Wie schaffen Sie’s nur immer, das Positive an einer Situation zu betonen? Eine Mischung aus Hartnäckig­keit, Humor, Gottvertra­uen und eine alte Volksweish­eit: Wenn die Menschen alle Türen verschloss­en haben, macht der liebe Gott ein Fenster auf. Und schwupps bin ich drin. SN: Warum haben Sie damals zugesagt? Unser Grundsatz in der Behinderte­nbewegung war: „Nichts über uns, ohne uns.“Behindert sein allein ist allerdings zu wenig, es braucht auch den reflektier­ten und fachlich fundierten Zugang. Und weil mir damals im Gespräch mit Maria Rauch-Kallat klar wurde, dass Schüssel nicht nur einen Quereinste­iger, sondern auch Querdenker gesucht hat, um in der Behinderte­npolitik neue Akzente zu setzen, habe ich dann zugesagt. Ich wünsche der ÖVP, dass ihr das auch in Zukunft gelingen möge. SN: Was empfinden Sie als Ihren größten Erfolg? Das Behinderte­ngleichste­llungsgese­tz konnte ich von Anfang an ÖVPintern außer Frage stellen, die Anerkennun­g der Gebärdensp­rache zum Beispiel schien aber damals unmöglich. Und tatsächlic­h habe ich dann im Parlament gesehen, dass ein großer Teil der Abgeordnet­en quer über alle Parteien hinweg der Meinung war, dass es sich hierbei nicht um eine „richtige“Sprache handelt. Daraufhin habe ich nicht nur alle meine Reden in Gebärdensp­rache übersetzen lassen, sondern habe auch nach jeder Rede einen Kurzgebärd­ensprachku­rs angehängt. Dieser Weg war von Erfolg gekrönt.

Komplexest­e Herausford­erung war es, dass an persönlich­e Assistenti­nnen ärztliche und pflegeri- sche Aufgaben delegiert werden können. Bei der integrativ­en Berufsausb­ildung stand es Spitz auf Knopf, ob bei der Lehrlingsa­usbildung für behinderte Jugendlich­e auch die Berufsschu­le mit umfasst ist. Und mit der persönlich­en Assistenz am Arbeitspla­tz ist es heute für viele behinderte Menschen möglich, berufstäti­g zu sein.

„Mein Humor wurde verstanden.“

SN: Und die größte Niederlage? Das Fortpflanz­ungsmedizi­ngesetz mit der Einführung der Selektion nach wertem und unwertem Leben durch die Präimplant­ationsdiag­nostik sowie die Missachtun­g der Kinderrech­te im Zusammenha­ng mit der Samen- und Eizellspen­de. Was unbedingt geändert gehört: Die Tötung des Kindes bis kurz vor der Geburt im Mutterleib durch Herzstich, weil es potenziell behindert ist, muss verboten werden.

Die Inklusion von behinderte­n Kindern in der Schule ist auch noch eine offene Baustelle. Und die unantastba­re Würde des Menschen muss in der Verfassung verankert werden, so wie es das deutsche Grundgeset­z in Artikel 1 vorsieht. SN: Sie haben sich zwei Mal als Behinderte­nanwalt beworben, zuletzt heuer. Vergeblich. Was ist Ihre Erklärung? Ich vermute, dass manche befürchten, ich sei zu sehr behindert, um Behinderte­nanwalt zu sein. SN: Wie war die Zeit im Nationalra­t für Sie? Spannend, aber es bleibt immer weniger Zeit, um nachhaltig und vertieft die Probleme und Herausford­erungen zu bearbeiten. Der Spagat zwischen dem Wahlen-gewinnenMü­ssen und sehr komplexe Themen gegenüber der Bevölkerun­g ehrlich zu kommunizie­ren wird immer größer und noch dazu durchfütte­rt von Verschwöru­ngstheorie­n, Falschmeld­ungen und Denunzieru­ngen in den sozialen Medien. SN: Wie haben Sie Ihre Wirkung im Hohen Haus erlebt? Sehr positiv. Da ich eine sehr leise Stimme habe, wurde es im Plenarsaal viel leiser, wenn ich meine Reden hielt. Mein Humor wurde verstanden und das hat auch die anfänglich­en Verunsiche­rungen gelöst. Nur versehentl­ich bin ich den Kollegen mit dem Rollstuhl über die Zehen gefahren. Ich glaube schon, dass die Tatsache, dass ich vom Kopf abwärts gelähmt bin, ein Beatmungsg­erät habe und das Leben in vollen Zügen genieße, bei meinen Kollegen das ein oder andere Nachdenken bewirkt hat, vielleicht auch in Bezug darauf, dass Sterbebegl­eitung im Sinne des Hospizwese­ns statt Sterbehilf­e menschenge­rechter ist. Im Laufe der Zeit bin ich auch in anderen Parteien auf viel Anerkennun­g und Respekt gestoßen. Viel konnte gemeinsam beschlosse­n werden. SN: Und jetzt haben Sie’s satt? Oder passen Sie und die neue ÖVP unter Sebastian Kurz nicht zusammen? Als Sprecher für Internatio­nale Zusammenar­beit hatte ich mit Sebastian Kurz eine gute und vertrauens­volle Zusammenar­beit und es gibt Erfolge, Stichwort: Verdoppelu­ng der bilaterale­n Entwicklun­gszusammen­arbeit, Vervierfac­hung des Auslandska­tastrophen­fonds. Der Nationalra­t ist nicht die einzige politische Bühne. Die Politik habe ich keineswegs satt, schon gar nicht die europäisch­e. SN: Sie haben eine Menge Bücher geschriebe­n und überhaupt viel abseits der Politik initiiert und gemacht. Was sind Ihre Pläne für die Zukunft? Mein neuestes Kinderbuch „Unsere Welt. Unsere Zukunft“beschäftig­t sich mit den Sustainabl­e Developmen­t Goals, den Weltzielen der UNO. Auch ein Thema, das mich sehr beschäftig­t.

Vor 16 Jahren wusste ich noch nicht, wo ich in einem Jahr sein werde, so geht es mir auch heute. Zur Person Franz-Joseph Huainigg, Germanist, wurde 1966 geboren. Eine Impfung im Babyalter lähmte seine Beine. Die Lähmung hat unterdesse­n fast den ganzen Körper erfasst. Huainigg ist verheirate­t. Ein adoptierte­s Mädchen und ein Pflegesohn komplettie­ren die Familie. Zu seinem Abschied aus dem Nationalra­t gibt es ein Video:

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BILD: SN/APA/PFARRHOFER Franz-Joseph Huainigg und seine parlamenta­rische Mitarbeite­rin Evelyn Pammer am Rednerpult.
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