„Zum Glück saß ich im Rollstuhl“
Kann ein vom Kopf abwärts gelähmter Mensch Volksvertreter sein? Franz-Joseph Huainigg hat bewiesen: Ja. Jetzt tritt er nach 15 Jahren ab.
Er sitze zwar im Rollstuhl, sei aber kein Sesselkleber. Franz-Joseph Huainigg, ÖVP-Sprecher für behinderte Menschen und Internationale Zusammenarbeit, verlässt den Nationalrat. Sein Abschiedsinterview. SN: Sie haben insbesondere als Behindertensprecher viel weitergebracht. Sie sind über die Parteigrenzen hinweg geschätzt. Kandidieren Sie freiwillig nicht mehr? Franz-Joseph Huainigg: 2002 habe ich von Bundeskanzler Wolfgang Schüssel die große Chance bekommen, als Quereinsteiger die Politik mitzugestalten. Ich habe daher Verständnis, wenn jetzt wieder Quereinsteiger an wählbarer Stelle platziert werden. Für mich ist es ein freiwilliger Abschied aus dem Nationalrat, aber nicht aus dem politischen Wirken. Ich fühle mich frei und fit für Neues. SN: Als Ihnen vor 15 Jahren angeboten wurde, für die ÖVP anzutreten, was war da Ihr erster Gedanke? Zum Glück saß ich im Rollstuhl, sonst wäre ich glatt umgefallen. SN: Wie schaffen Sie’s nur immer, das Positive an einer Situation zu betonen? Eine Mischung aus Hartnäckigkeit, Humor, Gottvertrauen und eine alte Volksweisheit: Wenn die Menschen alle Türen verschlossen haben, macht der liebe Gott ein Fenster auf. Und schwupps bin ich drin. SN: Warum haben Sie damals zugesagt? Unser Grundsatz in der Behindertenbewegung war: „Nichts über uns, ohne uns.“Behindert sein allein ist allerdings zu wenig, es braucht auch den reflektierten und fachlich fundierten Zugang. Und weil mir damals im Gespräch mit Maria Rauch-Kallat klar wurde, dass Schüssel nicht nur einen Quereinsteiger, sondern auch Querdenker gesucht hat, um in der Behindertenpolitik neue Akzente zu setzen, habe ich dann zugesagt. Ich wünsche der ÖVP, dass ihr das auch in Zukunft gelingen möge. SN: Was empfinden Sie als Ihren größten Erfolg? Das Behindertengleichstellungsgesetz konnte ich von Anfang an ÖVPintern außer Frage stellen, die Anerkennung der Gebärdensprache zum Beispiel schien aber damals unmöglich. Und tatsächlich habe ich dann im Parlament gesehen, dass ein großer Teil der Abgeordneten quer über alle Parteien hinweg der Meinung war, dass es sich hierbei nicht um eine „richtige“Sprache handelt. Daraufhin habe ich nicht nur alle meine Reden in Gebärdensprache übersetzen lassen, sondern habe auch nach jeder Rede einen Kurzgebärdensprachkurs angehängt. Dieser Weg war von Erfolg gekrönt.
Komplexeste Herausforderung war es, dass an persönliche Assistentinnen ärztliche und pflegeri- sche Aufgaben delegiert werden können. Bei der integrativen Berufsausbildung stand es Spitz auf Knopf, ob bei der Lehrlingsausbildung für behinderte Jugendliche auch die Berufsschule mit umfasst ist. Und mit der persönlichen Assistenz am Arbeitsplatz ist es heute für viele behinderte Menschen möglich, berufstätig zu sein.
„Mein Humor wurde verstanden.“
SN: Und die größte Niederlage? Das Fortpflanzungsmedizingesetz mit der Einführung der Selektion nach wertem und unwertem Leben durch die Präimplantationsdiagnostik sowie die Missachtung der Kinderrechte im Zusammenhang mit der Samen- und Eizellspende. Was unbedingt geändert gehört: Die Tötung des Kindes bis kurz vor der Geburt im Mutterleib durch Herzstich, weil es potenziell behindert ist, muss verboten werden.
Die Inklusion von behinderten Kindern in der Schule ist auch noch eine offene Baustelle. Und die unantastbare Würde des Menschen muss in der Verfassung verankert werden, so wie es das deutsche Grundgesetz in Artikel 1 vorsieht. SN: Sie haben sich zwei Mal als Behindertenanwalt beworben, zuletzt heuer. Vergeblich. Was ist Ihre Erklärung? Ich vermute, dass manche befürchten, ich sei zu sehr behindert, um Behindertenanwalt zu sein. SN: Wie war die Zeit im Nationalrat für Sie? Spannend, aber es bleibt immer weniger Zeit, um nachhaltig und vertieft die Probleme und Herausforderungen zu bearbeiten. Der Spagat zwischen dem Wahlen-gewinnenMüssen und sehr komplexe Themen gegenüber der Bevölkerung ehrlich zu kommunizieren wird immer größer und noch dazu durchfüttert von Verschwörungstheorien, Falschmeldungen und Denunzierungen in den sozialen Medien. SN: Wie haben Sie Ihre Wirkung im Hohen Haus erlebt? Sehr positiv. Da ich eine sehr leise Stimme habe, wurde es im Plenarsaal viel leiser, wenn ich meine Reden hielt. Mein Humor wurde verstanden und das hat auch die anfänglichen Verunsicherungen gelöst. Nur versehentlich bin ich den Kollegen mit dem Rollstuhl über die Zehen gefahren. Ich glaube schon, dass die Tatsache, dass ich vom Kopf abwärts gelähmt bin, ein Beatmungsgerät habe und das Leben in vollen Zügen genieße, bei meinen Kollegen das ein oder andere Nachdenken bewirkt hat, vielleicht auch in Bezug darauf, dass Sterbebegleitung im Sinne des Hospizwesens statt Sterbehilfe menschengerechter ist. Im Laufe der Zeit bin ich auch in anderen Parteien auf viel Anerkennung und Respekt gestoßen. Viel konnte gemeinsam beschlossen werden. SN: Und jetzt haben Sie’s satt? Oder passen Sie und die neue ÖVP unter Sebastian Kurz nicht zusammen? Als Sprecher für Internationale Zusammenarbeit hatte ich mit Sebastian Kurz eine gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit und es gibt Erfolge, Stichwort: Verdoppelung der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit, Vervierfachung des Auslandskatastrophenfonds. Der Nationalrat ist nicht die einzige politische Bühne. Die Politik habe ich keineswegs satt, schon gar nicht die europäische. SN: Sie haben eine Menge Bücher geschrieben und überhaupt viel abseits der Politik initiiert und gemacht. Was sind Ihre Pläne für die Zukunft? Mein neuestes Kinderbuch „Unsere Welt. Unsere Zukunft“beschäftigt sich mit den Sustainable Development Goals, den Weltzielen der UNO. Auch ein Thema, das mich sehr beschäftigt.
Vor 16 Jahren wusste ich noch nicht, wo ich in einem Jahr sein werde, so geht es mir auch heute. Zur Person Franz-Joseph Huainigg, Germanist, wurde 1966 geboren. Eine Impfung im Babyalter lähmte seine Beine. Die Lähmung hat unterdessen fast den ganzen Körper erfasst. Huainigg ist verheiratet. Ein adoptiertes Mädchen und ein Pflegesohn komplettieren die Familie. Zu seinem Abschied aus dem Nationalrat gibt es ein Video: