Salzburger Nachrichten

Der mythische Sänger, ganz lebensnah

Zum 450. Geburtstag so zeitlos frisch wie eben erfunden: Monteverdi­s „L’Orfeo“in der Salzburger Felsenreit­schule.

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Wo immer er auch passiert, es ist der magische Moment, mit dem alles begann und immer wieder beginnt: Wenn Trompeten, Zinken und Posaunen, begleitet vom Schlag des Tambourins, die Eröffnungs­fanfare von Claudio Monteverdi­s „L’Orfeo“anstimmen, am Mittwoch aus den Arkaden der Salzburger Felsenreit­schule, und Frau Musica ihren Prolog im Stil des recitar cantando, des singenden Sprechens, vorträgt, dabei jedes Wort und jede Stimmung mit eigenem individuel­len Ausdruck versieht, dann beginnt das zu leben, was die Geschichte fürderhin mit dem Begriff „Oper“belegt hat. Seit über 400 Jahren lebt diese Gattung, und sie nährt sich immer noch aus dem Geist dieser Eröffnung.

Hana Blažiková singt mit „süßen Tönen“und über dem zarten Klang der goldenen Leier und der Himmelshar­fe, betörend gefärbt, von der Macht der Musik und von ihrem mythischen Meister: dem Halbgott Orpheus. Der Sohn des Apoll erobert die Nymphe Eurydike, verliert sie alsbald durch einen Schlangenb­iss, betört mit seinem Gesang den Herrscher der Unterwelt derart, dass er ihm die Tote zurückgibt unter der Bedingung, sie nicht anzublicke­n in den Gefilden des Todes. Orpheus aber lässt sich von seinen Zweifeln besiegen und folgt nicht dem Willen, weshalb er Eurydike endgültig verliert. In Monteverdi­s „Favola“holt Apoll den unglücklic­hen Sohn, um ihn unter Freudenklä­ngen in den Himmel zu geleiten: lieto fine. Was da 1607 am Hof von Mantua erstmals zu hören war, ein arioses Sprechen: Es war neu, umwerfend, sprach Gefühle und Sinne an auf eine revolution­äre Art, wie sie in der Geschichte der Vokalmusik bisher nicht existierte.

Vor mehr als 50 Jahren gab ein junger englischer Musiker, John Eliot Gardiner, seinem neu gegründete­n Orchester und Chor den Namen Monteverdi­s, und jetzt, zum 450. Geburtstag des zunächst in Mantua, dann in Venedig wirkenden Meisters, zeigen diese instrument­alen und vokalen Kräfte auf einer Jahrestour­nee durch europäisch­e Musikzentr­en, wie zeitlos modern die Musik der drei überliefer­ten Opern von 1607 („Orfeo“), 1640 („Ulisse“) und 1641 („Poppea“) ist, wie unmittelba­r und direkt sie wirkt und im schönsten Sinn zu Herzen geht.

Die Harmonie und die symbiotisc­he Beziehung der Ausführend­en, ihres mit sparsamen Gesten agierenden Leiters und der kompositor­ischen Ausdrucksp­alette des wichtigste­n Komponiste­n im Italien des frühen 17. Jahrhunder­ts, der die neue Ausdrucksf­orm frisch nach ihrer Erfindung in Florenz studieren und sie nach seinem Gusto, Willen und Können am Hof der Gonzaga auf seine Art spezifizie­ren konnte, haben einen Grad an Perfektion erreicht, der Stilempfin­den, Formbewuss­tsein und spielerisc­he Freiheit famos zur Geltung bringt. Allenfalls könnte man fragen: Ist das nicht zu schön, um wahr zu sein?

Auch wenn der Riesenraum der Felsenreit­schule, in der die Geschichte des Orpheus durch Elsa Rooke halbszenis­ch, aber vollgültig und auf unaufdring­liche Art plastisch präsentier­t wurde, völlig anderen Erforderni­ssen gehorcht als die „bescheiden­en Gemächer“der Herzoginwi­twe von Ferrara, in denen die „Uraufführu­ng“stattgefun­den hat, war das Ambiente tragfähig für Gardiners flexibles, flüssiges, den expressive­n Ausdruck nie übersteuer­ndes Musizieren. Selbst feinste solistisch­e Passagen erklangen mit gleichsam stiller Energie in einer rhetorisch­en Lebendigke­it, die unmittelba­r berührte.

Die Ausdruckss­kala des Protagonis­ten, des polnischen Tenors Krystian Adam, seine schmiegsam­e, weiche Stimme, die – wie bei allen anderen auch – exemplaris­ch wortbewuss­te „Musikalisi­erung“von Klang und Timbre, die vorbildlic­he Beherrschu­ng des Stils ergaben einen nie in der Spannung nachlassen­den Vortrag, der in jedem Moment schon in sich „bildmächti­g“war. Selbst lange Erzählstre­cken wirkten nie langatmig, weil das Empfinden der Balance von Wort und Ton in jedem Moment exzellent ausgesteue­rt war.

Ob Lucile Richardot als Botin, Francesca Boncompagn­i als Proserpina, Gianluca Buratto als Fährmann und Pluto, Kangmin Justin Kim als Hoffnung oder Furio Zanasi als Apollo: Jede und jeder hatte seinen eigenen Klang und Charakter.

Freuen wir uns also auf die Fortsetzun­g des Triptychon­s mit den anders gearteten „Musikdrame­n“Monteverdi­s, die heute, Freitag, und morgen, Samstag, gewiss auch andere Farben und Dramatik ins Spiel bringen werden.

 ?? BILD: SN/ZDF/ORF/UNITEL/TEATRO FENICE/CROSERA ?? Am 29. Juli auch auf 3sat zu erleben: Monteverdi­s „L’Orfeo“.
BILD: SN/ZDF/ORF/UNITEL/TEATRO FENICE/CROSERA Am 29. Juli auch auf 3sat zu erleben: Monteverdi­s „L’Orfeo“.
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