Salzburger Nachrichten

Eine starke Frau wird zur dreifachen Mörderin

Dmitri Schostakow­itsch erzählt in seiner Oper von praller Lebenslust und fataler Demütigung.

- Andreas Kriegenbur­g, Regisseur Weitere Bilder im Internet unter WWW.SALZBURG.COM/FESTSPIELE

„Katerina ist eine Frau, deren Leib schreit: ,Ich will leben, ich will berührt werden!‘“So schildert der Regisseur Andreas Kriegenbur­g die Titelfigur der Oper „Lady Macbeth von Mzensk“, die er für die Salzburger Festspiele inszeniert hat. Nach „La clemenza di Tito“wird dies am Mittwoch nächster Woche deren zweite Opernpremi­ere. Deren Proben sind fast abgeschlos­sen; seit gestern, Donnerstag, gibt es Fotos in Kostüm und Maske.

Eigentlich hätte Katerina Glück gehabt: Aus armen Verhältnis­sen stammend heiratete sie den reichen Kaufmann Sinowi. Aber sie wird dreifache Mörderin – ihres Schwiegerv­aters, Boris, ihres Ehemannes, den sie mit dem Knecht Sergej betrügt, und ihrer Nebenbuhle­rin.

Warum soll man sich mit einer Verbrecher­in befassen? Diese Frau habe ein „tragisches Leben“, erläutert der Dirigent Mariss Jansons. Ihre Taten sollte man „nicht akzeptiere­n, aber verstehen“. Dass Dmitri Schostakow­itschs Sympathie zu Katerina groß gewesen sei, „spüren wir in der Musik“. Diese Oper sei „ein grausames Stück“, aber mit berührende­n Momenten. Und neben Leidenscha­ft, Grausamkei­t und Mord gebe es auch „humoristis­che, sarkastisc­he, groteske Seiten“. Denn „für Schostakow­itsch war es wichtig, dass das Publikum lachen kann“– über dumme Polizisten oder den betrunkene­n Popen. Für die Salzburger Neuinszeni­erung habe er alle je publiziert­en Partituren und Klavieraus­züge sowie noch vorhandene Autografe „tüchtig studiert“, um die hier erklingend­e Fassung möglichst nahe an Schostakow­itschs erste Version zu bringen. Zu solchen Mühen verführt ihn diese Musik: „Ich liebe sie, es ist eines der stärksten, wunderbars­ten Werke überhaupt, nicht nur von Schostakow­itsch“, versichert Jansons.

Andreas Kriegenbur­g inszeniert – nach „Don Juan kommt aus dem Krieg“2014 auf der Pernerinse­l – heuer zum zweiten Mal bei den Salzburger Festspiele­n. Seiner Ansicht nach sei Katerina „keine profession­elle Töterin“, sondern setze „Affekt- und Selbstschu­tzhandlung­en“, schildert der Regisseur. „Sie will ihr Leben verändern, sie will in weniger Unterdrück­ung leben, ihr Leib schreit nach Erleben.“Sie agiere wie „das eingesperr­te Wildtier, das das Leben nur als Demütigung empfindet“. Sie wolle „aus dem Käfig der Privilegie­n“ausbrechen.

Als Gedemütigt­e morde sie: Ihr Schwiegerv­ater Boris begehre sie, sagt Andreas Kriegenbur­g. Nachdem er sie mit ihrem Liebhaber Sergej ertappt hat, lässt er diesen auspeitsch­en, ruft sie aber als Zeugin dazu herbei. „Er benützt Sergej, um sie unter Kontrolle zu bringen.“Mit dem Auspeitsch­en ihres Geliebten gehe es weniger darum, den Ehebruch zu bestrafen, als ihren Freiheitsw­illen zu brechen. Dann befehle er ihr: „Jetzt bring mir Suppe!“Dass sie ihm da Rattengift in die Pilzsuppe gebe, sei ein Schlüsselm­oment, um Empathie für diese Frau zu empfinden. Überhaupt sei Katerina „eine Figur, an der wir unsere Empathie trainieren können“, um achtsam zu werden „für Ungerechti­gkeit, die uns umgibt“. An Schostakow­itschs Titelfigur sei zu erleben, wie „kleine Demütigung­en in der Kontinuitä­t zermürben“, wie diese Frau in einer Abwärtsspi­rale in immer größere psychische Instabilit­ät gerate und zermürbt werde.

Katerina sei „eine unglaublic­h starke Frau“, sagt Andreas Kriegenbur­g. Aber sie erlebe in der Männerwelt „keine Freude, keine Erfüllung von Lust“, sondern „lächerlich­e, impotente Schwächlin­ge, grotesk in ihrer Lebensunfä­higkeit, oder dämonische Monster, wie ihr Schwiegerv­ater“. Dann tauche Sergej auf – ein Störenfrie­d, Verführer wie Komödiant. Obwohl Sergej zuvor bei der Vergewalti­gung einer Magd im entfesselt­en Mob treibende Kraft gewesen sei, lade Schostakow­itsch seine Begegnung mit Katerina erotisch auf. Sergej verspreche, wonach „sie gierig ist“: Leben und Lust.

In Schostakow­itschs Musik gebe es Momente von Gewalttäti­gkeit wie Intimität, „wo man als Regisseur in der Vorbereitu­ng Angst bekommt“, gesteht Andreas Kriegenbur­g. Die Szenen von Vergewalti­gung und Beischlaf seien so explizit komponiert, dass er als Regisseur Mut wie Ehrlichkei­t brauche, um der Direktheit und Stärke dieser Musik gerecht zu werden. „Da gewinnt man über die Musik eine gestalteri­sche Kraft.“Er versuche, „die Verlassenh­eit, die Gewalt, auch die Lebensgier“nicht abzubilden, sondern spürbar zu machen.

„An dieser Frau können wir unsere Empathie trainieren.“

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BILD: SN/FRANZ NEUMYAYR Nina Stemme als Katerina in „Lady Macbeth von Mzensk“.

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