Unauffälliges Futter für populäre Playlisten
CLEMENS PANAGL SALZBURG. Auf eine eindrucksvolle Fangemeinde bei Facebook kann Mbo Mentho nicht verweisen. Ganz im Gegenteil: Im größten sozialen Netzwerk der Welt gibt es zu diesem Namen nicht einmal ein Profil. Enttäuscht wird auch jeder, der beim größten Onlinehändler Amazon nach Alben oder Songs sucht, die Mbo Mentho zumVerkauf anbieten könnte. Konzerttermine? T-Shirts? Fehlanzeige.
Während es der Traum aller aufstrebenden Musiker ist, den eigenen Namen und das eigene Gesicht möglichst weltumspannend bekannt zu machen, macht es Mbo Mentho künftigen Fans im Netz ganz schön schwer. Mit einer Ausnahme: Beim Streaminganbieter Spotify ist der Name an prominenter Stelle platziert. Mehr als zehn Millionen Mal wurde er angeklickt, seit er in einer viel gehörten Playlist mit chilliger Klaviermusik vorkam.
Jetzt sorgt er aber auch auf einer anderen Liste für Aufsehen: Das Branchenmagazin „Music Business Worldwide“(MBW) hat kürzlich die Namen von insgesamt 50 Künstlern veröffentlicht, deren Songs ebenfalls auf Spotify millionenfach gehört werden, außerhalb des Streamingdienstes dafür so gut wie unsichtbar bleiben. Bei Ana Olgica, Otto Wahl, Caro Utobarto, Heinz Goldblatt oder Enno Aare handle es sich um frei erfundene Künstlernamen, behauptet „Music Business Worldwide“. Hinter den Pseudonymen stünden Produzenten, die schnelles Futter für die populären Instrumental- und Entspannungsplaylisten lieferten.
Pseudonyme sind in der Popmusik zwar nichts weiter Ungewöhnliches: Die Rolling Stones nutzten sie ebenso gern wie Ex-Beatle Paul McCartney. In diesem Fall geht es aber nicht um den Wunsch von Musikern, unerkannt zu werken. Es gehe um ein Drücken von Lizenzgebühren, berichtete MBW.
Streaming gilt als Hoffnungsmarkt der Musikbranche. Mit 140 Millionen Nutzern ist Spotify der größte Anbieter. Die Kunden zahlen bei Spotify & Co. einen fixen Abobetrag, um unbegrenzt Musik aus dem riesigen Archiv hören zu können (oder sie konsumieren die Songs gratis und nehmen dafür Werbung in Kauf). Künstler und Autoren hingegen werden nach der Häufigkeit bezahlt, mit der ihre Werke verlangt werden. Je höher die Klickzahlen, desto mehr Lizenzgebühren muss der Dienst zahlen.
Bei großen Popnamen lässt sich schlecht sparen. Wie sieht es aber bei den Playlisten für Hintergrundmusik aus, die zwar bei Nutzern hoch im Kurs stehen, bei denen es aber nicht um berühmte Gesichter geht, sondern um unauffällige Beschallung? Um die Gebühren zu unterwandern, die an „echte“Urheber ausbezahlt werden müssen, beauftrage der Streamingdienst hier Produzenten, unter erfundenen Namen Stücke zu liefern – zu Konditionen, die weit unter den realen Tarifen lägen, mutmaßt das Magazin.
Geheimnisvoll sind freilich nicht nur die Pop-Phantome in den Playlisten. Anonym bleiben wollen auch die Branchenvertreter, die dem Medium vertraulich berichteten, dass diese Praxis regelmäßig vorkomme. Spotify selbst hat die Vorwürfe nun erstmals scharf zurückgewiesen: „Wir haben nie ,falsche‘ Künstler kreiert und auf unsere Playlists gesetzt“, sagte ein Sprecher. Die Anschuldigung sei „kategorisch unwahr, Punkt“.
Zu der Liste mit 50 Namen, die „Music Business Worldwide“daraufhin veröffentlichte, gab Spotify allerdings keine Stellungnahme ab – worauf in der Vorwoche das Magazin eine weitere Reportage nachlegte, mit neuer Stoßrichtung: Ein Mitarbeiter veröffentlichte unter dem Pseudonym Pinky Hue selbst einen Song bei dem Streamingdienst – und verhalf ihm auch gleich selbst zu unverhoffter Popularität. Im Netz probierte er einen der Anbieter aus, die künstliche Klicks für YouTube, Spotify und andere Plattformen in Tausendereinheiten verkaufen. Binnen kurzer Zeit sei der Song vom unbeachteten Stück zum 15.000-fach gestreamten Werk geworden, schreibt MBWAutor Tim Ingham: „Vergessen Sie die Fake-Künstler, reden wir über Fake-Streamingzahlen.“