Leben zwischen Hochkultur und Outlaw-Status
Stefanie Sargnagel veröffentlicht ihre „Statusmeldungen“als politisch inkorrektes Tagebuch.
Als Schlüsselroman taugen Stefanie Sargnagels „Statusmeldungen“nicht. Die Wahrheit über das „Babykatzengate“, zu dem sich im Frühjahr ihre literarischen Reisemeldungen aus Marokko auswuchsen, oder eine Abrechnung mit dem Bachmann-Wettlesen, darf man sich von ihrem Onlinetagebuch nicht erwarten. Doch ihr Genre hat die 31-jährige Wienerin beeindruckend perfektioniert.
Die „Statusmeldungen“beschreiben den Zustand der Welt, den persönlichen Lebens- und Leidensstatus der Autorin und die vielen Verbindungen zwischen dem einen und dem anderen anhand einer von Juli 2015 bis Februar 2017 reichenden Timeline. Der permanente Wechsel zwischen Introspektive und Außenwahrnehmung, demonstrativer Sehnsucht nach Normalität und stilisiertem Außenseitertum („Ich muss mich jetzt ganz viel duschen, um diesen bürgerlichen Schmutz abzuwaschen, in dem ich mich die letzten Tage gesuhlt habe“, lautet eine Eintragung nach dem Bachmann-Preis) gibt der Abfolge der kurzen Texte eine erstaunliche Spannung.
Der Gegensatz zwischen Hochkultur und Outsidertum wird gepflegt: Das Kokettieren mit Vulgarismus und kalkulierten Schockelementen kontrastiert mit dem anfallsartigen Verzweifeln über sich und die Welt. Political Correctness? Darauf wird geschissen.
Was ist Leben, was ist Literatur? Ist die wirklich so? Erfindet die das alles nur? Mit diesen Fragen führt Sargnagel ihre Leser immer wieder auf den Holzweg. Im Internet, das der Facebook-Gemeinde das Lagerfeuer ersetzt, an dem Geschichten gesponnen werden, lässt sich alles behaupten und nichts beweisen. Dort lässt sich auch abtauchen, sodass man fürs Auftauchen in der realen Welt kaum mehr Atem hat. In ihrem internetlosen Quartier im marokkanischen Essaouira, das sie mit zwei Kolleginnen gemietet hat, entdeckt Sargnagel eine Ecke, in der man von einem benachbarten WLAN profitieren kann: „Seit einer Stunde sitze ich hier versteckt und bin heimlich online, extrem connected. Ich bin gespannt, wie lang sie brauchen, um es rauszufinden. Dann wird sich alles verändern.“
Diese „Statusmeldungen“sind mitsamt ihren Höhen und Tiefen, pointierten Unsinnigkeiten und staunenden Erkenntnissen ein Abbild der Gegenwart. Sie beschreiben und kommentieren schlaglichtartig Ereignisse von der Flüchtlingskrise bis zur Bundespräsidentenwahl, mal böse, mal zynisch, mal witzig, aber meistens treffend. Sie erzählen aber auch mit viel Selbstironie („Ich schaue auch immer mehr aus wie Houellebecq“) von der Entwicklung der im Callcenter beschäftigten Nebenerwerbsautorin zum gehypten Literaturstar mit Steuerberater und dichtem Terminplan.
Sargnagels erstes bei einem deutschen Großverlag erschienene Buch ist nicht nur adrett in Leinen gebunden und mit Lesebändchen versehen, sondern auch mit Zeichnungen und einem Glossar, das Nichtwienern Orte wie das Flex, Begriffe wie Haberer oder Persönlichkeiten wie Ursula Stenzel näherbringt. Die „Statusmeldungen“haben auch einen Epilog: Er führt direkt in jene Shitstorms, mit denen die feministische Autorin nicht erst seit ihren Marokko-Berichten konfrontiert ist, und richtet sich „an all die rechtskonservativen Männer, die mich mit Gewalt bedrohen, diese legitimieren oder darüber diskutieren, wie man dafür sorgen könnte, dass ich meine Wohnung verliere“. „Ich bin euer schlimmster Albtraum, und das spürt ihr! (…) Ihr seid nichts. Ich bin alles. Ich bin Gott. Ich bin Allah. Ich bin größer als Buddha. Ich bin Trump. Ich bin Kali, die Göttin der Zerstörung und der Erneuerung …“Große Klappe! Gutes Buch. Lesung: