Ein Luftballon hat ihr Leben verändert
1977 ließ die kleine Stefanie einen Luftballon steigen. Dieser landete in Ostdeutschland. Damit begann eine lebenslange Freundschaft.
Manchmal fragt sich Stefanie Wally, ob sie so mutig gewesen wäre wie ihre Freundin in Ostdeutschland. Als sie Teenager waren, stand Anke Behrendt 1988 vor einer schweren Entscheidung. Eine SED-Parteisekretärin ließ sie wissen, dass sie ihren Traumjob bekommen könne. Aber nur, wenn sie ihre Verbindung zu Freundin Stefanie in Westdeutschland abbreche. Behrendt entschied sich gegen die Ausbildung. Für Wally war und ist die Entscheidung ihrer Freundin ein „Riesengeschenk“.
Die ungewöhnliche und tiefe Freundschaft begann, als Stefanie 1977 auf einem Volksfest in Dossenheim nahe Heidelberg einen Luftballon mit einer Postkarte steigen ließ. Darauf stand: „Bin sechs Jahre alt und habe zurzeit das Bein gebrochen. Würde mich freuen, wenn ich Antwort bekäme.“Der Wind trieb den gelben Ballon vor 40 Jahren über die innerdeutsche Grenze. Drei Tage später ging ihm nahe Meißen die Luft aus. Stefanie erhielt Ankes Antwort in Kinderschönschrift: „Mein Opa fand den Luftballon heute auf einem Feld bei unserem Dorf. Ich wohne in Dennschütz bei Lommatzsch. Ich bin sechs Jahre alt und gehe in die erste Klasse. Für Dein gebrochenes Bein wünsche ich Dir gute Besserung. Über einen Brief von Dir würde ich mich sehr freuen.“So begann die Verbindung, von der Stefanie Wally sagt: „Die hält lebenslang.“
Für Psychotherapeut und Buchautor Wolfgang Krüger liegen die beiden Frauen im Trend. „Wir leben in einer Blütezeit der Freundschaft“, sagt er der Deutschen Presse-Agentur vor dem Internationalen Tag der Freundschaft am 30. Juli. Krüger definiert Freundschaften als Sympathiebeziehungen, in denen Menschen offen und vertrauensvoll über sich selbst reden können. „Wir leben in einer Zeit, in der wir in der Lage sind, über uns selbst nachzudenken. Das war unseren Eltern und Großeltern in den Kriegs- und Nachkriegszeiten kaum möglich, sie waren mit Überleben und Wiederaufbau beschäftigt.“
Bei Stefanie Wally und Anke Behrendt wurde aus Mädchenbriefen über die Schule und Postkarten aus dem Urlaub ein tagebuchartiger Austausch junger Frauen. Mit 17 trafen sie sich das erste Mal in Ostberlin. Das war 1988. Danach wurde die Freundschaft noch inniger. „Wir haben bald Fluchtpläne für Anke geschmiedet. Ich dachte an einen doppelten Boden im Auto bei Ferien in Ungarn“, erzählt Wally. Die Geschichte war schneller als die Freundinnen. Rund ein Jahr nach ihrem ersten Treffen fiel die Mauer.
Die Geschichte dieser außergewöhnlichen Freunde hat Stefanie Wally in dem Buch „Akte Luftballon“verarbeitet.
Dass eine Frauenfreundschaft über Jahrzehnte hält, hat für Forscher Wolfgang Krüger nicht allein mit Glück zu tun. Frauen investierten viel in Freundschaften, Zeit und Fantasie, sagt er. „Über zwei Drittel aller Frauen haben eine intensive Freundschaft, in der sie über alles reden können.“