Jetzt ist nichts mehr unmöglich
Vom Außenseiter zum Gruppensieger: Österreichs Fußballerinnen erleben bei der EURO ein Märchen. Wie gefeiert wurde und warum der Teamchef an Schmetterlinge denkt.
Wenn jemand in der Beschaulichkeit des Hotels De Wageningsche Berg nicht zur Ruhe kommt, muss schon etwas Besonderes passiert sein. Im Teamquartier der österreichischen Fußballerinnen bei der EURO in den Niederlanden, gelegen in einem Wald am Rande der Kleinstadt Wageningen, wurde in der Nacht auf Donnerstag wenig geschlafen. Wer braucht noch Träume, wenn gerade das richtige Leben wie im Märchen verläuft? „Da gehen einem so viele Szenen und Emotionen durch den Kopf“, schilderte Mittelfeldspielerin Sarah Zadrazil ihr Gefühlsleben.
Als Gruppensieger war der Turnierneuling zu später Stunde im „Partybus“von Rotterdam in die Unterkunft gefahren. Wie gewohnt mit lauter Musik, Lichtorgel und Jubelgesängen, allerdings etwas ruhiger als zuletzt. „Wir waren alle ziemlich erledigt“, sagte „Laufmaschine“ Laura Feiersinger. Der 3:0Sieg gegen Island war die Krönung einer unglaublichen Gruppenphase. Ungeschlagen Erster vor Frankreich: „Wenn mir das vorher jemand gesagt hätte, hätte ich ihm gesagt, er spinnt“, bekannte Defensivspielerin Sarah Puntigam. Stürmerin Nina Burger fürchtete, irgendwann aufzuwachen: „Das ist ein bisschen wie ein Traum.“
Teamchef Dominik Thalhammer hatte eine einfache Begründung für den Erfolg: „Sie haben daran geglaubt, hierher zu kommen.“Als es in der Vorbereitung deftige Lektionen von starken Gegnern gab, hatte der 46-Jährige den Vergleich mit einer Raupe gezogen, die zum Schmetterling wird. Nun sieht er sich bestätigt: „Der Schmetterling hat gezeigt, dass er fliegen kann, und er fliegt hier hoffentlich noch sehr lange.“
Der Schmetterling und die Träume fliegen zumindest bis zum Viertelfinale am Sonntag. „Unter den besten acht ist das Niveau schon so hoch, dass egal ist, gegen wen wir spielen“, gab Sarah Zadrazil zu bedenken. Die Salzburgerin hat gegen Island den Torreigen mit dem 1:0 eröffnet. Ihre beste Freundin im Team, Laura Feiersinger, sagte: „Träumen dürfen wir. Wir wussten, dass wir stark sind, bisher haben wir es gut verstecken können.“
SN-THEMA Women’s EURO 2017
Auf der Euphoriewelle könnten die Österreicherinnen nun tatsächlich in ungeahnte Sphären vorstoßen. Ein kleiner Vorteil kann sein, dass sie einen Tag länger regenerieren können als ihr Viertelfinalgegner. Die Spanierinnen kamen trotz eines enttäuschenden 0:1 gegen Schottland mit nur drei Punkten weiter. Das Duell steigt am Sonntag um 20.45 Uhr (live ORF eins).
Geht das Märchen weiter, würde im Halbfinale vermutlich Deutschland warten – aber Torfrau Manuela Zinsberger, bei Bayern München engagiert, warnt vor dem totalen Abheben der Erwartungen: „Wir wollen jetzt nicht übers Ziel hinausschießen.“
Bis zu eine Million Zuseher waren via ORF im Fernsehen mit dabei. Der ÖFB hat auf das enorme Interesse reagiert und organisiert Fanbusreisen zum Viertelfinale nach Tilburg. Bundeskanzler Christian Kern gratulierte mit der Botschaft: „Auftrag ,Haut die Isländer rein‘ erfüllt.“Sportminister Hans Peter Doskozil war sogar eigens nach Rotterdam angereist. Das ewige Mauerblümchen Frauenfußball ist plötzlich salonfähig geworden.
„Es ist der 27. Juli 2017, und wir packen nicht die Koffer, sondern acht andere“, stellte Dominik Thalhammer am Donnerstag zufrieden fest, und Sarah Zadrazil ergänzte: „Alles, was jetzt noch kommt, ist Zugabe.“