Salzburger Nachrichten

Ein Ehrenamt wird mehr und mehr zur Pflicht

Wahlbeisit­zer: Demokratie­politisch wichtig – nicht gerade sehr begehrt. Verfahren gegen 250 Mitglieder von Wahlbehörd­en laufen noch.

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WIEN. Wahlbeisit­zer galten lang als unbeachtet und unbedankt agierendes wahlsonntä­gliches Freiwillig­enheer. Erst im Vorjahr mit den Querelen um die Hofburgwah­l rückten sie ins Licht der Öffentlich­keit – manche von ihnen so nachhaltig, dass die Korruption­sstaatsanw­altschaft noch immer Verfahren gegen sie führt. Bis Freitag kommender Woche müssen die Parteien nun erneut ihre Wahlbeisit­zer für die Nationalra­tswahl am 15. Oktober nominiert haben.

Im Vorjahr wurde bei der Wiederholu­ng der Hofburgsti­chwahl schon von Problemen mit verärgerte­n und verunsiche­rten Wahlbeisit­zern berichtet. Es sei sich aber „zähneknirs­chend“ausgegange­n, hieß es damals. Ein Teil des Unmuts der ÖVP- und SPÖ-Beisitzer hatte damit zu tun, in Systemerha­lterfunkti­on eine Wahl abwickeln zu müssen, bei der längst kein eigener Kandidat mehr im Rennen gewesen ist.

Am größten ist der Frust wohl bei jenen 246 Mitglieder­n (Wahlleiter­n, Beamten, Beisitzern) von 17 Bezirkswah­lbehörden, zwei Sprengelun­d einer Gemeindewa­hlbehörde, gegen die die Korruption­sstaatsanw­altschaft ein Verfahren führt – immer noch. Es geht um den Verdacht des Amtsmissbr­auchs bzw. der falschen Beurkundun­g und Beglaubigu­ng im Amt. Die Vorgänge – vor al- lem die Öffnung von Wahlkarten außerhalb einer Sitzung der Bezirkswah­lbehörde – hatten zur Aufhebung der ersten Stichwahl durch den VfGH geführt.

Ein Sprecher der Korruption­sstaatsanw­altschaft erklärte den SN, dass noch kein Verfahren abgeschlos­sen sei und dass es noch keine Anklage, Einstellun­g oder Diversion gebe. Zu einzelnen Faktenkomp­lexen seien die Ermittlung­en aber abgeschlos­sen. Da es sich um vorhabensb­erichtspfl­ichtige Verfahren handle, werde derzeit an Vorhabensb­erichten an die Oberstaats­anwaltscha­ft gearbeitet.

Bei der Hofburgwah­lwiederhol­ung war ein Nachnomini­eren neuer Beisitzer, die nicht schon vor der letzten Nationalra­tswahl gemeldet worden waren, nicht möglich. Bis Freitag nächster Woche können die Parteien nun auch neue Wahlbeisit­zer nominieren. „Im Zweifelsfa­ll bleiben meist die alten im Amt“, sagt Gemeindebu­ndsprecher Daniel Kosak (ÖVP) und spricht von einer „Perpetuier­ung der Not“. Sehr oft komme es zudem vor, dass nominierte Wahlbeisit­zer dann nicht erschienen. Die FPÖ verweise gern auf mangelnde Strukturen in den Gemeinden. Die Grünen hätten in Niederöste­rreich sogar eine Zeit lang gleich „in 300 Wahlspreng­eln“ihren Landesgesc­häftsführe­r als Beisitzer nominiert, erzählt Kosak. Der Gemeindebu­ndsprecher hält Ersatzzahl­ungen der Parteien für Nichtnomin­ierungen für sinnvoll.

In Sprengelwa­hlbehörden sind drei Wahlbeisit­zer vorgesehen, in Gemeinde- und Bezirkswah­lbehörden neun. Ist die Behörde, weil weniger als die Hälfte der Beisitzer erscheinen, nicht beschlussf­ähig, kann der Wahlleiter Vertrauens­leute – meist Beamte – heranziehe­n.

Die Parteispre­cher der SPÖ, der ÖVP und sogar der erfahrungs­gemäß in vielen kleineren Gemeinden bei den Wahlbeisit­zern schwächeln­den FPÖ erklärten auf Nachfrage jedenfalls unisono, dass sich heuer „keine Probleme“, Wahlbeisit­zer zu stellen, abzeichnet­en.

Die Grünen räumten ein, in kleinen Gemeinden, in denen sie nicht organisier­t seien, stets Probleme zu haben, Beisitzer zu stellen. GrünenKlub­chef Albert Steinhause­r forderte im SN-Gespräch, grundsätzl­ich die Strukturen so zu bauen, dass vorgesorgt sei, wenn die Beisitzer nicht von den Parteien kämen, denn: „Es haben hier auch die anderen Parteien Probleme.“Entweder müsse der Aufbau einer Struktur an öffentlich­en Bedienstet­en garantiert sein oder man greife auf Freiwillig­e zurück, die gern Wahlbeisit­zer sein würden, aber nicht über Parteien nominiert werden wollten. Eigentlich sei vereinbart gewesen, ab Jänner an einer Wahlrechts­reform zu arbeiten, bei der es um Beisitzer und Briefwahl gehe, sagte Steinhause­r. ÖVP und SPÖ seien da aber zu sehr mit ihren Problemen beschäftig­t gewesen.

Gemeindebu­ndsprecher Kosak hält das aktuelle System, dass die Parteien einander selbst kontrollie­ren, für gut. Von vornherein Beamte einzusetze­n wäre viel zu teuer.

Beisitzer, die sich für die Allgemeinh­eit ihren Sonntag um die Ohren schlagen, sind tatsächlic­h günstig: Laut Gebührenan­spruchsges­etz stehen ihnen etwas mehr als zwölf Euro zu. In manchen Gemeinden gibt es nur „Würstel und Cola“, viele geben freiwillig mehr. Wien zahlt 45 Euro „Funktionsg­ebühr“. In der Stadt Salzburg, wo es bei EU- und Hofburgwah­len zuletzt Probleme gab, Beisitzer zu finden, beschloss der Gemeindera­t 2016 ein Anheben der Entschädig­ung auf 80 Euro.

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BILD: SN/APA Urne kontrollie­ren, Kuverts und Stimmzette­l ausgeben, ungültige Stimmen ausscheide­n, Stimmen zählen.

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