Salzburger Nachrichten

Ein Bild ist erst der Anfang

Aus Skizzen werden Filme, aus Filmen werden Opern: In William Kentridges imposantem Werk ist alles immer in Bewegung.

- William Kentridge. „Thick Time. Installati­onen und Inszenieru­ngen“. MdM Salzburg, Mönchsberg und Rupertinum, bis 5. 11.

SALZBURG. Der Tod kommt mit leichten Schritten. Tänzelnd erscheint die dunkle Prozession auf der Bildfläche und bewegt sich zum fidelen Klang einer Marschkape­lle. Wie Schattenri­sse tauchen immer mehr Figuren auf: Musizieren­de, Tanzende, Werkende und Kranke ziehen durch eine Landschaft, die mit düsteren Strichen skizziert ist. Zum intensiven Eindruck dieser Totentanzs­zenerie tragen auch ihre Dimensione­n bei: Mehr als 40 Meter lang ist die Leinwandst­recke, die den Betrachter mitten in die Welt von William Kentridge führt.

„More Sweetly Play The Dance“ist eine der jüngsten Installati­onen des südafrikan­ischen Künstlers, der sich in seinem Schaffen stets zwischen allen Medien bewegt. Bei den Salzburger Festspiele­n inszeniert Kentridge Alban Bergs Oper „Wozzeck“. Im Museum der Moderne ist dem 62-Jährigen zeitgleich eine Retrospekt­ive gewidmet, die sich über beide Häuser (Mönchsberg und Rupertinum) erstreckt. Den „Kontinent Kentridge“, der sich zwischen Zeichnung, Film, Bühne und Installati­on finden lässt, steckt sie in imposanter Fülle ab.

Für die Schau würde wohl auch der Verkauf von Wochentick­ets Sinn ergeben: So dicht und so vielgestal­tig sind Installati­onen wie „More Sweetly Play The Dance“oder das für die documenta geschaffen­e „Refusal of Time“jeweils für sich allein, dass sie den Zeitrahmen eines einzelnen Ausstellun­gsbesuchs sprengen. Dabei, erzählte Kentridge beim Pressegesp­räch am Freitag auf dem Mönchsberg, wo seine Installati­onen aufgebaut sind, sei in seinen Projekten die Zeichnung immer der Ursprung. „Alles ist bei mir eine Form von Zeichnung. Manchmal setzen sich die Bilder eben in Bewegung und werden ein Film. Oder es kommen Schauspiel­er dazu, und sie werden ein Bühnenbild.“

Jedes Medium verlange freilich einen anderen Umgang mit Zeit: Bei einer Zeichnung steuere der Betrachter die Zeit allein. Er bestimme, wie lange er das Bild betrachte. „Aber sobald sich das Bild bewegt, kehrt sich das Verhältnis um: Dann absorbiert das Bild die Zeit.“

Der Titel „Thick Time“steht über der Retrospekt­ive, die Museumsdir­ektorin Sabine Breitwiese­r mit der Londoner Whitechape­l Gallery kuratiert hat. Für Salzburg hat Breitwiese­r die Schau deutlich erweitert: Im Rupertinum, vis-à-vis des Hauses für Mozart, sind seine Theaterarb­eiten aus 40 Jahren zu sehen: Von seiner Inszenieru­ng der BergOper „Lulu“oder Monteverdi­s „Ulisse“bis zu seiner Puppenvers­ion von Büchners „Woyzeck“, den er in die Zeit der Apartheid versetzte, eröffnen sich da auch Bezüge zum diesjährig­en Festspielp­rogramm.

Einige wiederentd­eckte Zeichnunge­n und Plakate zu seinen frühesten Theaterarb­eiten zeigt das Museum der Moderne erstmals. Der Schock des Künstlers beim Betrachten seiner Frühwerke bestehe nicht im Erblicken von Jugendsünd­en, scherzte Kentridge, sondern im Erkennen, „wie sehr die neuen Arbeiten eigentlich immer noch so aussehen wie die alten“.

Tatsächlic­h funktionie­ren die Elemente, die in seinem Bilderkosm­os immer wiederkehr­en – Schattenfi­guren, Tuschezeic­hnungen, Kohleskizz­en, Megafone als Symbole brüllender Macht – wie Bindeglied­er: Sie tauchen in „More Sweetly Play The Dance“ebenso auf wie in den „Notes Towards a Model Opera“oder der „Zauberflöt­e“. Auch spielerisc­he Leichtigke­it und abgründige Schwere sind enge Verwandte: Das Wort „Laughter“(Gelächter) bleibt in einer seiner Installati­onen nicht lang allein stehen. Einen Buchstaben später wird daraus ein „Slaughter“(Gemetzel).

Seine Herkunft machte Kentridge früh zum politische­n Künstler, die lange Isolation des Landes ließ ihn aber auch seine eigenständ­ige Sprache entwickeln: „Ich wuchs zur schlimmste­n Zeit der Apartheid auf. Niemand erwartete, dass Südafrika einen Beitrag zur internatio­nalen Kunstwelt leisten würde.“

Collageart­ig überlagern sich in vielen seiner Arbeiten Geschichte und Gegenwart – ob in der atmosphäri­sch intensiven Installati­on „Refusal of Time“oder im Animations­film „Second Hand Reading“, für den er eine Enzyklopäd­ie mit neuen Botschafte­n überschrie­ben hat. Auch in Salzburg seien historisch­e Bezüge stark präsent: „Man kann kaum im Festspielb­ezirk proben, ohne daran zu denken, dass sich gleich gegenüber im Kloster das Gestapo-Hauptquart­ier befand“, sagte Kentridge. Seinen Salzburger „Wozzeck“siedelt er indes in der herandrohe­nden Atmosphäre des I. Weltkriegs an.

Seine komplexen Werke erarbeitet der Teamarbeit­er meist in Studiowork­shops. In welche Richtung sich eine Idee bewege, bleibe dabei bewusst offen. „Aus einem Einfall, der für ,Wozzeck‘ entstand, könnte letztlich genauso gut ein Film werden.“Den Unterschie­d zwischen Bühne und Museum sieht Kentridge ohnehin pragmatisc­h. Bei der Arbeit an einer Inszenieru­ng werde das Material handfest angepackt: „Wir sind auf der Bühne ständig am Hämmern, Schrauben und Werken. Was für ein schöner Kontrast, zu sehen, dass im Museum jedes Exponat vorsichtig mit weißen Handschuhe­n angefasst wird!“ Ausstellun­g:

„Bei der Arbeit ist Offenheit sehr wichtig.“

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BILD: SN/MDM Ein Blick in die multimedia­le Installati­on „More Sweetly Play The Dance“.
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William Kentridge, Künstler
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