Ein Bild ist erst der Anfang
Aus Skizzen werden Filme, aus Filmen werden Opern: In William Kentridges imposantem Werk ist alles immer in Bewegung.
SALZBURG. Der Tod kommt mit leichten Schritten. Tänzelnd erscheint die dunkle Prozession auf der Bildfläche und bewegt sich zum fidelen Klang einer Marschkapelle. Wie Schattenrisse tauchen immer mehr Figuren auf: Musizierende, Tanzende, Werkende und Kranke ziehen durch eine Landschaft, die mit düsteren Strichen skizziert ist. Zum intensiven Eindruck dieser Totentanzszenerie tragen auch ihre Dimensionen bei: Mehr als 40 Meter lang ist die Leinwandstrecke, die den Betrachter mitten in die Welt von William Kentridge führt.
„More Sweetly Play The Dance“ist eine der jüngsten Installationen des südafrikanischen Künstlers, der sich in seinem Schaffen stets zwischen allen Medien bewegt. Bei den Salzburger Festspielen inszeniert Kentridge Alban Bergs Oper „Wozzeck“. Im Museum der Moderne ist dem 62-Jährigen zeitgleich eine Retrospektive gewidmet, die sich über beide Häuser (Mönchsberg und Rupertinum) erstreckt. Den „Kontinent Kentridge“, der sich zwischen Zeichnung, Film, Bühne und Installation finden lässt, steckt sie in imposanter Fülle ab.
Für die Schau würde wohl auch der Verkauf von Wochentickets Sinn ergeben: So dicht und so vielgestaltig sind Installationen wie „More Sweetly Play The Dance“oder das für die documenta geschaffene „Refusal of Time“jeweils für sich allein, dass sie den Zeitrahmen eines einzelnen Ausstellungsbesuchs sprengen. Dabei, erzählte Kentridge beim Pressegespräch am Freitag auf dem Mönchsberg, wo seine Installationen aufgebaut sind, sei in seinen Projekten die Zeichnung immer der Ursprung. „Alles ist bei mir eine Form von Zeichnung. Manchmal setzen sich die Bilder eben in Bewegung und werden ein Film. Oder es kommen Schauspieler dazu, und sie werden ein Bühnenbild.“
Jedes Medium verlange freilich einen anderen Umgang mit Zeit: Bei einer Zeichnung steuere der Betrachter die Zeit allein. Er bestimme, wie lange er das Bild betrachte. „Aber sobald sich das Bild bewegt, kehrt sich das Verhältnis um: Dann absorbiert das Bild die Zeit.“
Der Titel „Thick Time“steht über der Retrospektive, die Museumsdirektorin Sabine Breitwieser mit der Londoner Whitechapel Gallery kuratiert hat. Für Salzburg hat Breitwieser die Schau deutlich erweitert: Im Rupertinum, vis-à-vis des Hauses für Mozart, sind seine Theaterarbeiten aus 40 Jahren zu sehen: Von seiner Inszenierung der BergOper „Lulu“oder Monteverdis „Ulisse“bis zu seiner Puppenversion von Büchners „Woyzeck“, den er in die Zeit der Apartheid versetzte, eröffnen sich da auch Bezüge zum diesjährigen Festspielprogramm.
Einige wiederentdeckte Zeichnungen und Plakate zu seinen frühesten Theaterarbeiten zeigt das Museum der Moderne erstmals. Der Schock des Künstlers beim Betrachten seiner Frühwerke bestehe nicht im Erblicken von Jugendsünden, scherzte Kentridge, sondern im Erkennen, „wie sehr die neuen Arbeiten eigentlich immer noch so aussehen wie die alten“.
Tatsächlich funktionieren die Elemente, die in seinem Bilderkosmos immer wiederkehren – Schattenfiguren, Tuschezeichnungen, Kohleskizzen, Megafone als Symbole brüllender Macht – wie Bindeglieder: Sie tauchen in „More Sweetly Play The Dance“ebenso auf wie in den „Notes Towards a Model Opera“oder der „Zauberflöte“. Auch spielerische Leichtigkeit und abgründige Schwere sind enge Verwandte: Das Wort „Laughter“(Gelächter) bleibt in einer seiner Installationen nicht lang allein stehen. Einen Buchstaben später wird daraus ein „Slaughter“(Gemetzel).
Seine Herkunft machte Kentridge früh zum politischen Künstler, die lange Isolation des Landes ließ ihn aber auch seine eigenständige Sprache entwickeln: „Ich wuchs zur schlimmsten Zeit der Apartheid auf. Niemand erwartete, dass Südafrika einen Beitrag zur internationalen Kunstwelt leisten würde.“
Collageartig überlagern sich in vielen seiner Arbeiten Geschichte und Gegenwart – ob in der atmosphärisch intensiven Installation „Refusal of Time“oder im Animationsfilm „Second Hand Reading“, für den er eine Enzyklopädie mit neuen Botschaften überschrieben hat. Auch in Salzburg seien historische Bezüge stark präsent: „Man kann kaum im Festspielbezirk proben, ohne daran zu denken, dass sich gleich gegenüber im Kloster das Gestapo-Hauptquartier befand“, sagte Kentridge. Seinen Salzburger „Wozzeck“siedelt er indes in der herandrohenden Atmosphäre des I. Weltkriegs an.
Seine komplexen Werke erarbeitet der Teamarbeiter meist in Studioworkshops. In welche Richtung sich eine Idee bewege, bleibe dabei bewusst offen. „Aus einem Einfall, der für ,Wozzeck‘ entstand, könnte letztlich genauso gut ein Film werden.“Den Unterschied zwischen Bühne und Museum sieht Kentridge ohnehin pragmatisch. Bei der Arbeit an einer Inszenierung werde das Material handfest angepackt: „Wir sind auf der Bühne ständig am Hämmern, Schrauben und Werken. Was für ein schöner Kontrast, zu sehen, dass im Museum jedes Exponat vorsichtig mit weißen Handschuhen angefasst wird!“ Ausstellung:
„Bei der Arbeit ist Offenheit sehr wichtig.“