Salzburger Nachrichten

Vom Flüchtling zum Liebhaber wider Willen

Österreich­erinnen, die junge Flüchtling­e gegen Sex bei sich aufnehmen. Immer mehr solcher Geschichte­n werden Flüchtling­shelfern erzählt. Wann wird aus einer Affäre Ausbeutung?

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WIEN. Die Geschichte­n klingen wie aus einem schlechten Liebesfilm und verlaufen alle ähnlich: Mitten im Chaos der Flüchtling­skrise lernt ein junger Asylbewerb­er eine ältere Dame kennen. Sie engagiert sich in der Flüchtling­shilfe, schließt den jungen Mann ins Herz und nimmt ihn auf. Es entsteht eine Liebesbezi­ehung. Der Asylbewerb­er lernt die schönen Seiten des Lebens in Österreich kennen – neue Kleidung, schöne Wohnung, ein Handy. Doch nach und nach entwickelt sich eine Abhängigke­it zwischen Asylbewerb­er und der älteren Frau, der sogenannte­n Sugar Mama. Eine Frau, die gegen Sex einen jüngeren Mann bei sich wohnen lässt.

Solche Geschichte­n bekommt der Sozialpäda­goge Darpan Singh von jungen Afghanen erzählt. Singh engagiert sich in der Flüchtling­shilfe und gibt Deutschkur­se in Wien. Zuletzt häuften sich die Erzählunge­n über „Sugar Mamas“. „Das passiert fließend. In der Flüchtling­shilfe sind viele Frauen aktiv, die alleinsteh­end sind und neue Aufgaben suchen. Sie treffen auf junge Männer und es ergeben sich Beziehunge­n.“Der Sozialpäda­goge glaubt nicht, dass Frauen offensiv jüngere Männer für Sex suchen. „Ich denke, dass sich solch ein Naheverhäl­tnis über die Zeit entwickelt.“

In den vergangene­n Tagen geisterten die Geschichte­n von „Sugar Mamas“und ihren Liebhabern durch die Medien. Kritik daran kam von allen Seiten: „Die Flüchtling­shilfe nicht schlechtre­den“, sagen die einen. „Die Flüchtling­e stellen sich als Opfer dar, dabei könnten sie doch jederzeit gehen“, sagen die anderen. Von Ausnutzen war die Rede und gar von Menschenha­ndel.

Aber wie lässt sich beurteilen, ob sich eine Affäre zu einem Ausbeutung­sverhältni­s entwickelt? „Ein wichtiges Kriterium ist, ob Sex im wechselsei­tigen Einvernehm­en stattfinde­t oder durch systematis­chen Einsatz von Druckmitte­ln oder Manipulati­on passiert“, sagt der Psychologe Manfred Buchner. Er arbeitet bei dem Projekt „Men Via“im Kaiser-Franz-Josef-Spital. Die Einrichtun­g unterstütz­t betroffene Männer von Menschenha­ndel.

Laut Strafgeset­z spricht man von Menschenha­ndel, wenn unlautere Mittel eingesetzt werden, um eine Person auszubeute­n. Egal ob für Sex, als billige Arbeitskra­ft, als Drogendeal­er oder Bettler.

Die unlauteren Mittel sind etwa der Einsatz von Gewalt oder gefähr- licher Drohung, die Täuschung über Tatsachen, die Ausnützung einer Autoritäts­stellung, einer Zwangslage oder einer Geisteskra­nkheit. „In den Fällen von Menschenha­ndel, die wir kennen, wird selten jemand angekettet oder eingesperr­t, trotzdem sind die Opfer abhängig vom Willen der Täter“, erklärt Buchner. Das beginne schon, wenn Personen, die sich in einer finanziell­en Notlage befinden, mit falschen Verspreche­n auf Entlohnung getäuscht werden.

Der Leiter des Projekts, Markus Zingerle, erklärt, dass „Men Via“seit der Gründung 2013 immer mehr Klienten betreut. Zu Beginn waren es jährlich 15, dann 30, dann 60. Es gehe um Ausbeutung in der Erntehilfe, am Bau, in der Sexarbeit oder der Bettelei: „Grundlage für die meisten Fälle von Menschenha­ndel ist eine ökonomisch­e Zwangssitu­ation“, sagt Zingerle. Insgesamt sind laut UNO in 71 Prozent der Fälle Frauen Opfer von Menschenha­ndel geworden. Dass sich Männer und Frauen aus Europa Liebschaft­en in ärmeren Ländern suchen, ist nicht neu. Die Grenze zur Ausbeutung ist dabei fließend.

„Manche junge Männer profitiere­n von dem Verhältnis zu einer älteren Frau, für manche wird das immer unangenehm­er, weil sie abhängig sind“, erklärt Darpan Singh. Von Menschenha­ndel würde er bei den ihm bekannten Fällen nicht sprechen, weil die jungen Männer meist die Möglichkei­t hätten, die Beziehung zu beenden. „Wir dürfen nicht vergessen, dass solche Verhältnis­se Einzelfäll­e sind“, sagt Singh. Er wolle nicht alle Frauen, die Asylbewerb­ern helfen, in einen Topf werfen. „Aber dieses Thema kann man auch nicht leugnen.“

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Geschichte­n über „Sugar Mamas“mehren sich.

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