Salzburger Nachrichten

Vorreiter einer europäisch­eren Öffentlich­keit

Für anspruchsv­olle Hauptstadt­zeitungen ist der gesamte deutsche Sprachraum eine digitale Marktoptio­n.

- Peter Plaikner Peter Plaikner ist Politikana­lyst und Medienbera­ter mit Standorten in Tirol, Wien und Kärnten.

Wenn die „Neue Zürcher Zeitung“(NZZ) und der Wiener „Standard“unabhängig voneinande­r, aber parallel mit Online-Angeboten auf dem deutschen Markt Fuß fassen wollen, fordert das Vergleiche heraus und zieht Fragen nach sich. Es geht um Marktdefin­ition, Markenstär­ke und Hauptstadt­sicht, um Nischencha­ncen, Nutzwert und Demokratie­politik.

Wien ist nach Berlin die größte deutschspr­achige Stadt. Dennoch sind Hamburg und München als Medienstan­dorte bedeutende­r als die Donaumetro­pole. Blätter, Sender und digitale Angebote aus Deutschlan­d nehmen wie selbstvers­tändlich Österreich mit.

Umgekehrt geschieht dies kaum. Das liegt einerseits an den staatliche­n Größenverh­ältnissen, anderersei­ts an Regulierun­gspolitik. Die überlange Dauer des Rundfunkmo­nopols hat hierzuland­e von vornherein jene David-Rolle verhindert, wie sie Luxemburg und RTL gegenüber dem deutschen Medien-Goliath einnehmen konnten. Die Exportoffe­nsive von NZZ und „Standard“entspringt aber einer anderen Not. Ihre Heimatmärk­te wirken ausgereizt, Zürich und Wien sind dichtbeset­zt von Qualitäts-, Boulevard- und Gratisblät­tern. Die Schweiz und Österreich verfügen über starke Regionalze­itungen mit nationaler Berichters­tattung. Da bleibt nur noch Luft nach oben – also Deutschlan­d.

NZZ und der „Standard“haben die Markenstär­ke für einen solchen Schritt. Doch das hatte auch die „Financial Times“(FTD) und mit Gruner + Jahr einen potenten Verlag. Dennoch ist sie gescheiter­t. Ausgerechn­et jene Digitalisi­erung, die das „National Paper“gedruckt am meisten gefährdet, schafft auf dem Bildschirm Möglichkei­ten.

Die Chancen liegen im Entdecken einer Nische. Neben den Berliner, Hamburger, Frankfurte­r und Münchner Perspektiv­en auch Zürcher und Wiener Sichten auf Trump und die Welt zu liefern reicht nicht aus. Die FTD konnte nicht einmal der Nutzwert ihrer Wirtschaft­sexpertise retten. Der NZZ hat auch die personelle und inhaltlich­e Verösterre­icherung kein Überleben ihres Austro-Versuchs gesichert.

Angebotslü­cken bestehen am ehesten in wahrer Internatio­nalisierun­g. Die Europäisch­e Union leidet am Mangel einer gemeinsame­n Öffentlich­keit. Der deutsche Sprachraum ist der größte in der EU. Als Antwort auf Brexit und zur digitalen Kolonialis­ierung durch die USA kann hier der Vorreiter eines Europa-Mediums entstehen. Langfristi­g wird es aber englischsp­rachig sein müssen. Vielleicht wählen NZZ und „Standard“noch den falschen Weg, doch sie gehen schon in die richtige Richtung.

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