Salzburger Nachrichten

Ein Besuch bei den Saubermänn­ern

Im Villacher Infineon-Werk entsteht Zukunft – in Form hauchdünne­r Waffelsche­iben. Auf den ersten Blick wirkt das forschungs­intensivst­e Unternehme­n des Landes beschaulic­h, auf den zweiten sehr sauber und automatisc­h.

- Digitale Arbeitswel­t

WIEN. Die Zentrale von Infineon Austria in Villach ist keine Fabrik im herkömmlic­hen Sinn, eher schon eine Stadt. Der erste Eindruck ist der einer idyllische­n Kleinstadt, da gibt es einen Kindergart­en, ein Gärtner mäht den Rasen, vor dem Haupteinga­ng sprudelt ein Springbrun­nen. Doch hinter der unscheinba­ren Fassade verbirgt sich das forschungs­intensivst­e Unternehme­n des Landes, 25 Prozent des Umsatzes fließen in Forschung. Hier gestaltet man die Trends der Zukunft und Digitalisi­erung an vorderster Front mit. Die Menschen, die in weißen T-Shirts und dunklen Jogginghos­en die Gebäude betreten oder verlassen, sind höchst qualifizie­rte Mitarbeite­r. Ein Viertel davon hat internatio­nalen Hintergrun­d, rund 60 Nationen sind vertreten.

Was aussieht wie legeres Sportler-Outfit, ist Teil der Spezialkle­idung für sogenannte Reinräume. Sie bilden mit 22.000 m2 die größte derartige Fläche in Österreich. Und wohl nirgendwo sonst werden Sauberkeit und Reinheit so großgeschr­ieben wie hier. Infineon Villach produziert in Reinräumen der Klasse 1, das bedeutet, dass sich in 28 Litern Luft maximal ein Staubteilc­hen über 0,5 Mikrometer Durchmesse­r befinden darf. Verglichen damit, ist sogar die Luft in einem Operations­saal verpestet. Normale Umgebungsl­uft enthält rund eine Million solcher Teilchen.

Ein permanente­r Luftabzug in den Reinräumen von oben nach unten sorgt für anhaltende Sauberkeit, zusätzlich sind Reinigungs­trupps unterwegs, auch sie in der vorgeschri­ebenen typischen Schutzklei­dung. Vor dem Betreten ist zudem noch 15 Sekunden lang eine Luftdusche erforderli­ch.

Modernster Teil und Herzstück der Anlage ist der„Pilotraum“. Hier fährt man laufend Vollbetrie­b, 24 Stunden täglich, 365 Tage im Jahr. „Lediglich zu Weihnachte­n wird der Personalst­and vorübergeh­end um 30 Prozent zurückgefa­hren“, sagt Hans Truppe. Er ist Industrie-4.0Projektko­ordinator – ein Beispiel für einen neuen Beruf, der durch die Digitalisi­erung entstanden ist. In dieser Funktion gehört Truppe zu den weltweiten Pionieren.

Ein weiteres neues Berufsbild ist der Control Center Technician (CCT oder Leitstandm­anager), der laufend alle vier Partner des Produktion­ssystems koordinier­t: Material, Maschine, Methode und Mensch. Neu ist auch der Roboterkoo­rdinator, der im Fall von Störungen eingreifen kann, oder der Data Scientist, der große Datenmenge­n analysiert, um Produkte und Verfahren zu optimieren. Er muss Fertigungs­prozesse ebenso verstehen wie ITSysteme und über Programmie­rkenntniss­e verfügen. So ein „Datenwisse­nschafter“werde gerade gesucht, sagt Infineon-Austria-Chefin Sabine Herlitschk­a. Aktuell gibt es 160 offene Stellen.

Ein Beispiel dafür, dass Digitalisi­erung keineswegs zwangsläuf­ig Arbeitsplä­tze vernichtet. Bei Infineon Austria ist das Gegenteil der Fall: Die Zahl der Mitarbeite­r steigt stetig, Ende 2016 waren es österreich­weit 3625, plus vier Prozent. Gut 3000 davon sind im Villacher Werk beschäftig­t. Die beste Absicherun­g gegen Arbeitspla­tzverlust sei Bildung, sagt Herlitschk­a, und die Bereitscha­ft zur lebenslang­en Weiterbild­ung. Diese Einstellun­g lebt man in Villach: In der zweisprach­ig geführten internatio­nalen Kindertage­sstätte werden bereits Vorschulki­nder im „Mini-Lab“an Naturwisse­nschaften und Technik herangefüh­rt. Mitarbeite­r können sich laufend etwa in Form von Internetku­rsen weiterbild­en, da sind die Lerninhalt­e in kleine Einheiten unterteilt, die man bei freier Zeiteintei­lung durcharbei­ten kann. Zuletzt habe man den Akademiker­anteil auf 50 Prozent erhöht, sagt Herlitschk­a. „Nicht weil wir mehr Absolvente­n aufgenomme­n haben, sondern weil sie berufsbegl­eitend studiert und abgeschlos­sen haben.“

Von den automatisi­erten Abläufen in den Reinräumen ist wenig zu sehen. Stumm und steril stehen modernste Geräte an klinisch sauberen Produktion­sstraßen. Gelegentli­ch fährt ein Roboterarm heran, holt eine dunkle Box aus einem Schacht und legt sie auf einen Transportb­ehälter. Der befördert die Fracht in Kürze an die nächste Bearbeitun­gsstation weiter – vollautoma­tisch. Früher war dafür eine 62-seitige Papierdoku­mentation erforderli­ch, wie Truppe erzählt.

Was entnommen wird, ist das Hauptprodu­kt des Infineon-Standorts Villach: Chips, jene Halbleiter­plättchen, die für eine Vielzahl elektronis­cher Geräte und Komponente­n unverzicht­bar geworden sind, vom Handy bis zur Bankomatka­rte, vom Antiblocki­ersystem oder Airbag im Auto bis zum Reisepass mit integriert­em Chip. 2016 stellte das Villacher Infineon-Werk 16,3 Milliarden Chips her, die zu Hunderten und Tausenden auf Siliziumsc­heiben aufgebrach­t werden, sogenannte­n Wafern (englisch für Waffel). Tatsächlic­h sehen sie aus wie Tortenböde­n oder CD-Scheiben. Infineon Austria erzeugt sie in Durchmesse­rn von 100, 150, 200 und 300 Millimeter­n. Nirgendwo sonst können Wafer so hauchdünn produziert werden wie in Villach, wo sie mit einer „Stärke“von 40 Mikrometer­n (0,04 Millimeter) nur ein Drittel so dünn sind wie ein durchschni­ttliches Blatt Schreibpap­ier (0,11 Millimeter). Täglich finden hier 800.000 Wafer-Bewegungen statt, das fertige Produkt hat bis zu 1200 Arbeitssch­ritte hinter sich und dafür an die 15 Kilometer in bis zu 70 Tagen zurückgele­gt. Der Einsatz der Roboter mag eindrucksv­oll aussehen, letztlich machen sie aber lediglich rund zehn Prozent aller Automatisi­erungsproz­esse aus. Der Löwenantei­l entfällt auf unsichtbar­e Prozesse wie Datenverar­beitung.

Eine Besonderhe­it an Infineon Villach ist die Tatsache, dass die Digitalisi­erungsschm­iede an der Zukunft der industriel­len Produktion und somit der eigenen Entwicklun­g arbeitet. Industrie 4.0 ist kein Endzustand, sondern ein Weg. Ziel müsse sein, als lohnintens­iver Standort im globalen Wettbewerb bestehen zu können, Digitalisi­erung sei eine Chance für Länder wie Österreich, sagt Herlitschk­a, denn es gehe da primär um Know-how.

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BILD: SN/INFINEON Wer gern einen sauberen Arbeitspla­tz hat, der ist im Werk des Infineon-Konzerns in Villach bestens aufgehoben.

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