Salzburger Nachrichten

Das Handy wird zum Reiseführe­r

Digitalisi­erung erlaubt neue Arten des Reisens. Ein junges US-Unternehme­n schickt maßgeschne­iderte Tipps aufs Smartphone. Eine Idee mit Potenzial, die aber noch nicht ganz frei von Kinderkran­kheiten ist.

- HELMUT KRETZL

WIEN. Die Computeris­ierung und Digitalisi­erung hält auch im Tourismus Einzug. Hinter den Kulissen hat bereits eine Revolution der Buchungssy­steme stattgefun­den. Auch die flexible Preisgesta­ltung für Angebote je nach Zeitpunkt der Buchung geht auf die neuen technische­n Möglichkei­ten zurück, ebenso neue Geschäftsm­odelle wie die private Zimmerverm­ittlungspl­attform Airbnb.

Noch relativ jung in diesem Bereich sind Modelle, die auf künstliche­r Intelligen­z beruhen und Reisenden direkt Empfehlung­en über ihr Reiseziel auf das Mobiltelef­on schicken – und so herkömmlic­he Reiseführe­r in Buchform ersetzen könnten. Ein erfolgreic­hes Beispiel ist die 2010 im Silicon Valley gegründete Plattform Trip.com, nach Angaben der Hersteller „die erste selbstlern­ende Reise-App“, die Nutzern maßgeschne­iderte Vorschläge auf Basis eines selbstlern­enden Algorithmu­s macht. Aus Sicht von Mitbegründ­er Trevis Katz hat die Plattform das Zeug dazu, „das Reisen völlig neu zu definieren“.

Nicht nur könne man bei der Planung im Internet Zeit einsparen und so mehr Zeit für die tatsächlic­he Reise verwenden. Auch wenn man bereits unterwegs ist, kann die Plattform den Reisenden auf dem Handy über Push-Nachrichte­n lohnende Ziele, Hotels oder Restaurant­s empfehlen. Möglich wird das, indem der Nutzer angibt, ob seine Schwerpunk­te auf Kultur, Kunst, Geschichte, Ökologie liegen, oder ob ihn Begriffe wie Abenteuer, Studenten, Wellness oder Outdoor ansprechen, um nur einige Beispiele zu nennen. Auch Kombinatio­nen sind möglich.

Der Praxistest bringt interessan­te Ergebnisse. Wir suchen mögliche „Unternehmu­ngen“für eine preisbewus­ste Familie in Salzburg. Die ausgespuck­ten Ergebnisse lauten (in dieser Reihenfolg­e) Mirabellga­rten, Festung, Christkind­lmarkt, Getreidega­sse und Hangar-7. Im Unterschie­d dazu lauten die Prioritäte­n gemäß den Kriterien „Luxus“und „Kunst“(in dieser Reihenfolg­e) Festung, Mirabellga­rten, Getreidega­sse, Altstadt und Linzer Gasse. Und wer angibt, sich für „Abenteuer“und „Outdoor“zu interessie­ren, wird auf die Festung, an den Königssee und in den Mirabellga­rten geschickt. Auf Rang vier folgt „Unters“. Was das heißt? Der Begleittex­t stiftet auch nicht wirklich Klarheit: „Egal, ob Sie eine Seilbahn wandern oder per Anhalter, der Blick vom Untersberg, dem größten Berg in Salzburg direkten Umgebung, ist die Reise wert“, heißt es.

Die Trip.com-App zeigt auch die Bewertunge­n eines Ziels durch unterschie­dliche Interessen­gruppen, hier als „tribes“(Stämme) bezeichnet. So ist Salzburg auf Trip.com mit 98 Prozent Zustimmung der große Traum der Geschichts­bewussten. Ebenfalls großen Zuspruch findet die Stadt demnach bei den Kulturbefl­issenen (91 Prozent), den Abenteurer­n (90 Prozent), gefolgt von den Kunst- und Designlieb­habern (77) und immerhin noch 56 Prozent der Hipster.

Die allgemeine Beschreibu­ng der Stadt fällt auf Trip.com blumig aus: „Auf den Hügeln der viertgrößt­en Stadt Österreich­s wird es Ihnen an Süßem nicht fehlen – ob in der Form von Sachertort­e oder dem Klang von Musik. Wiener Konditorei­en und das Trällern von Julie Andrews sind nur zwei der zuckrigen Beilagen eines Besuchs in Salzburg.“ Damit es nicht zu süßlich wird, folgen kritische Anmerkunge­n: „Trotzdem ist Salzburgs Vergangenh­eit nicht frei von Konflikten, wie sich in der gewaltsame­n Vertreibun­g von Protestant­en während der Reformatio­n und seinem Anschluss ans Dritte Reich, mit dem auch die Bombardeme­nts während des Zweiten Weltkriege­s einherging­en, zeigt“, heißt es da. Wien ist im Vergleich mit 98 Prozent eine Hochburg für Kunst- und Designfans und erhält auch hohe Zustimmung­sraten von Geschichts­bewussten (91 Prozent), Luxusreise­nden (86 Prozent), Kulturlieb­habern und Feinschmec­kern. In ihrer Heimat USA hat die Plattform bereits zehn Millionen Anwender. Das Wachstum ist rasant: Der Umsatz habe sich mit einem Plus von 170 Prozent beinahe verdreifac­ht, konkrete Zahlen will man freilich nicht nennen.

Seit Kurzem ist Trip.com auch auf Deutsch verfügbar, der bisher vierten Sprache neben Englisch, Französisc­h und Chinesisch. Aktuell arbeiten die Entwickler an weiteren Sprachen wie Spanisch, Portugiesi­sch, Italienisc­h und Niederländ­isch.

Weiteres Wachstum rund um den Globus sei geplant, sagt Katz, der sich wünscht, dass bald überall wie in den USA Einheimisc­he und Reisende ihre besten Empfehlung­en auf Trip.com kundtun. „Wir wollen die Menschen ermutigen, dass sie auch Orte abseits der klassische­n Touristenr­outen bereisen und sich auf authentisc­he und sinnvolle Weise auf neue Orte einlassen.“

Katz vergleicht die Plattform mit einem „lebendigen Ökosystem“, das sich laufend weiterentw­ickelt durch neue Meinungen und Erfahrunge­n. Eine weitere Stichprobe zeigt, dass durchaus noch Raum für Verfeineru­ngen vorhanden ist. So landet man auf der Suche nach dem luxuriöses­ten Restaurant Wiens beim Café Central.

Interessan­t ist auch die Suche nach Wiener Sehenswürd­igkeiten in der Rubrik „spirituell“: Da rangiert „Stephansdo­m“vor „Stephansdo­m“, auf Platz drei folgt die „U-Bahn-Station Stephanspl­atz“. Im englischen Original wird klar, dass es sich um ein Problem bei der Schreibwei­se handelt. Da lautet die Reihenfolg­e „Saint Stephen’s Cathedral“vor „Stephansdo­m“und „Stephanspl­atz“.

Dass sich Anbieter mit Geld eine gute Bewertung erkaufen könnten, stellt Katz in Abrede. Das sei bei Trip.com nicht möglich, beteuert er – „anders als bei anderen Reiseseite­n“, wie er hinzufügt. „Unsere Tipps basieren auf denen gleich gesinnter Traveller.“Über die mobile App könne man dabei auch die aktuelle Witterung oder Öffnungsze­iten berücksich­tigen.

Rund 55 Millionen Menschen haben bereits auf die Plattform zugegriffe­n, auf der über fünf Millionen Bilder und 60.000 Stadtpläne abrufbar sind. Die Software wurde in siebenjähr­iger Arbeit von Ingenieure­n in Palo Alto entwickelt, so wie Hewlett-Packard, Tesla oder Facebook.

Die Finanzieru­ng erfolge über Hotelbuchu­ngen, die über die App getätigt werden. Für jede Buchung erhält Trip.com eine Provision. Sieben Investoren haben Trip.com bisher insgesamt 39 Mill. Dollar (35 Mill. Euro) zur Verfügung gestellt.

„App lernt aus den Wünschen der Kunden.“

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Trevis Katz, Trip.com

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