Salzburger Nachrichten

Die Quadratur des Nachthemds

- Alexander Purger

ICHweiß nicht, wie der Baum heißt. Aber wenn ich seinen Duft rieche, muss ich sofort an meine Kindheit denken. Ein solcher Baum stand in dem Dorf, in dem ich als Kind meine Sommerurla­ube verbrachte. Kaum spüre ich den Geruch in der Nase, steigt in mir das herrliche Gefühl von Sonne, Bergluft und endlosen Schulferie­n auf.

Keine Angst, ich schreibe jetzt keinen Roman über meine Kindheitse­rinnerunge­n, wie es Marcel Proust getan hat. Der hatte als Erwachsene­r in ein Stück Kuchen gebissen, das ihn derart an einen Kuchen aus seiner Kindheit erinnerte, dass ihn dazu noch eine ganze Lawine an sonstigen Kindheitse­rinnerunge­n ereilte. Diese Lawine schwoll zu einem siebenbänd­igen Roman an, der „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“heißt und 5000 Seiten umfasst. Na bumm.

Aber wie gesagt: keine Angst. Ich habe hier keine 5000 Seiten Platz, behalte daher meine weiteren Erinnerung­en für mich und möchte nur in aller gebotenen Kürze einen dreifachen Protest anmelden, der allerdings schon mit meinen Erinnerung­en zu tun hat.

Ich protestier­e erstens gegen die vielen Krimis im Fernsehen. Zweitens protestier­e ich dagegen, dass in jedem Krimi eine Spitalszen­e vorkommt. Und drittens erhebe ich wirklich schärfsten Protest dagegen, dass in jeder Spitalszen­e der oder die Bettlägeri­ge ein weißes Nachthemd mit kleinen bunten Quadraten trägt. Das geht so nicht! Ich fühle mich von diesen kleinen Krimispita­lsnachthem­dquadraten persönlich verfolgt!

Noch dazu, wo sie seit Neuestem auch abseits von Krimis auftauchen. Fernsehber­icht über einen gestürzten Skifahrer in der Klinik Innsbruck: kleine bunte Quadrate. Bild von einem verunfallt­en Radrennfah­rer in einem spanischen (!) Spital: kleine bunte Quadrate. Es scheint sich um eine weltweite Nachthemdv­erschwörun­g zu handeln.

Warum mich das so stört, ist nicht wirklich schwer zu erraten. Vor ein paar Jahren lag ich eine kriminell lange Zeit in einem Spital, trug ein Eh-schon-wissen-Nachthemd und hatte viele Wochen Zeit, mir darüber den Kopf zu zerbrechen, warum alle Patienten die gleichen weißen Nachthemde­n mit kleinen bunten Quadraten tragen müssen. Ich weiß es bis heute nicht. Vielleicht wegen des Erinnerung­sfaktors?

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