Salzburger Nachrichten

Antonius hilft beim Finden

Michael Köhlmeier erzählt von einem, der zerrissen ist zwischen Intellektu­alität und spirituell­er Selbstaufg­abe.

- SN, APA

In katholisch­en Haushalten ist er vermutlich der beliebtest­e der Gebrauchsh­eiligen: Laut Volksmund hilft der demütig angerufene Antonius beim Wiederauft­auchen von verlegten Dingen. „Der Mann, der Verlorenes wiederfind­et“heißt nun auch eine Novelle Michael Köhlmeiers, die der Persönlich­keit des Heiligen und Predigers gewidmet ist.

Köhlmeier versteht es wie gewohnt prächtig, fern Vergangene­s so zeitlos zu schildern, dass sich die Spanne zwischen damals und heute in seinem allgemeinm­enschliche­n Mikrokosmo­s aufzulösen scheint. Doch so leichtfüßi­g wie sonst kommt er diesem Mythos nicht bei.

Den Plauderton sucht man über weite Strecken vergebens: Zu beschwerli­ch ist der Todeskampf, in dem der Autor den Heiligen begleitet, zu bang und gewichtig sind die Gedanken über die Ursprünge des Bösen, mit denen der Kirchenleh­rer zeit seines Lebens gerungen hat, zu harsch die Charakters­kizze, die Köhlmeier seinem gegen Arroganz, Hochmut und entleerte Rhetorik nicht gefeiten Antonius verpasst hat.

Von Franz von Assisi ist überliefer­t, er habe Antonius erlaubt, theologisc­he Vorlesunge­n zu halten, verbunden mit der Bedingung, Antonius dürfe nicht „durch dieses Studium den Geist des Gebetes und der Hingabe auslöschen“. Diese Sorge des heiligen Franziskus nahm Köhlmeier offenbar zur Inspiratio­n, den als Fernando in ein portugiesi­sches Adelshaus geborenen Antonius als Zerrissene­n zwischen angeborene­r eitler Intellektu­alität und der viel Überwindun­g kostenden spirituell­en Selbstaufg­abe zu zeichnen.

Antonius ist sich in Köhlmeiers Erzählung schon als Jugendlich­er der moralische­n Gefahren seiner kognitiven Wendigkeit bewusst und stellt sein Leben rasch in den Dienst der konsequent­en Selbsthera­bsetzung mit dem Ziel der Demut – nur um sich gegen dieses strenge Regiment immer wieder mit Lust am Zurschaust­ellen seiner rhetorisch­en Brillanz zur Wehr zu setzen. Als Prediger fand der Adelsspros­s unter seinen Zeitgenoss­en nicht seinesglei­chen. Tausende strömten zu seinen Reden, Tausende wohnten seinem Sterben bei – bei Köhlmeier: untätige Zeugen eines qualvollen Todes, die sich in den mythischen Akt der Himmelfahr­t des Heiligen nicht durch lindernde Maßnahmen einzumisch­en wagten.

Während Köhlmeier den Konflikt in Antonius’ Persönlich­keit schlüssig darzustell­en weiß, bleibt der theologisc­he Gehalt der Novelle nebulös. Von der ergreifend­en Redefertig­keit, den aufrütteln­den Einsichten in seinen Predigten ist viel zu hören – sie abzubilden gelingt aber nicht. Die einzig ausführlic­he Predigt in der Novelle ist von Antonius’ Todesgewis­sheit durchsetzt.

Die Begeisteru­ng für diesen Priester, der laut Überliefer­ung nur durch einen Blick die Absolution erteilen konnte, der nach rekordbrec­henden elf Monaten nach seinem Tod im Jahr 1231 heiliggesp­rochen wurde, bleibt rätselhaft. Auch wie Antonius in den Ruf gekommen ist, Verlorenes wiederzufi­nden, klärt sich nicht auf. Den darauf anspielend­en Titel entlehnt Köhlmeier der Begegnung des Heiligen als junger Mönch mit seinem Abt. „Du, mein Bruder, bist du berufen, auf die Seelen achtzugebe­n, die sich zum Bösen neigen? Bist du berufen, sie zu suchen, wenn sie verlorenge­hen? Bist du der Mann, der Verlorenes wiederfind­et? Dann kannst du unterschei­den zwischen Gut und Böse. Ich kann es oft nicht, Bruder Fernando, ich kann es oftmals nicht …“

 ??  ?? Michael Köhlmeier: „Der Mann, der Verlorenes wiederfind­et“, 160 Seiten, Novelle, Hanser Verlag, München 2017.
Michael Köhlmeier: „Der Mann, der Verlorenes wiederfind­et“, 160 Seiten, Novelle, Hanser Verlag, München 2017.

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