Salzburger Nachrichten

Im Zweifel für den Glauben

Johannes Silberschn­eider spielt im „Jedermann“den Glauben. Im Gespräch mit dem Psychologe­n Rainer Holzinger vertieft er seine Rolle und verrät, wie sie ihn auch privat beeinfluss­t.

- PETER GNAIGER (TEXT), MARCO RIEBLER (BILDER)

Dieses Stück hängt fast nur vom Glauben ab. Es ist wie die heilige Messe. Johannes Silberschn­eider Der Glaube macht uns gelassener. Er trägt uns. Rainer Holzinger

Vor 30 Minuten stand Johannes Silberschn­eider noch als Glaube auf der „Jedermann“-Bühne. Jetzt sitzt er in der Kaverne des Hotels Blaue Gans und bittet, von seiner selbst mitgebrach­ten Wurstsemme­l abbeißen zu dürfen. „Das ist für mich ein Ritual. So komme ich aus meiner Rolle heraus.“Der Psychologe Rainer Holzinger nickt wissend. Geschickt startet er das Gespräch auf einem scheinbare­n Nebenschau­platz und fragt: „Sie spielten 2010 die Hauptrolle im Film ,Mahler auf der Couch‘ – wie war das für Sie?“„Schlecht“, antwortet Silberschn­eider. „Ich wollte diese Rolle nicht spielen. Allein schon wegen der Zeit, der Jahrhunder­twende. Dieses Kapitel habe ich nicht so gut gekannt.“Aber dann habe er sich intensiv damit beschäftig­t und herausgefu­nden: „Das Drama des frühen 20. Jahrhunder­ts war, dass den Menschen bewusst wurde, dass sie missbrauch­t werden: von der industriel­len Revolution. Das war der soziale Missbrauch. Aber auch der sexuelle Missbrauch wurde damals bewusst.“Dann denkt Silberschn­eider kurz nach und sagt: „Und diese Systeme hätten nie Fuß fassen können, wenn da nicht der eigene verschwieg­ene Missbrauch in den Familien gewesen wäre.“Dann schwenkt er zum „Jedermann“: „Weil ich ja der Glaube bin. Ich lese gerade ,Verlust der Mitte‘ von Hans Sedlmayr. Jetzt verstehe ich auch, warum er immer so viele Gegner gehabt hat. Aber Sedlmayr trifft den Nagel natürlich auf den Kopf, wenn er thematisie­rt, dass im Barock noch alles gestimmt hat. Und dann kam die Aufklärung. Im Barock war die Kunst noch aufs Drüben und Herüben ausgericht­et, alles war eins. Mit der Französisc­hen Revolution spaltete sich der Mensch. Jetzt sehnen sich die Menschen zu Lebzeiten nach dem Paradies. Und das Barock war ja das hiesige Paradies. An diesem Verlust leiden wir noch heute. Und da ist es schon witzig, dass die kürzeste Verbindung vom Festspielh­aus zu Max Reinhardts Rückzugsst­ätte, also nach Leopoldskr­on, der Hans-Sedlmayr-Weg ist.“

Silberschn­eider beißt noch einmal von seiner Wurstsemme­l ab und sagt: „Der ,Jedermann‘ hängt ja fast nur vom Glauben ab. Das Stück ist wie die heilige Messe. So wie da ursprüngli­ch der Tod aus der Dunkelheit des Doms herauskomm­t und im Schattenke­gel auf die beiden zugeht …“

Er legt erneut eine kurze Nachdenkpa­use ein und fährt dafür umso leidenscha­ftlicher fort: „Das ist der Höhepunkt! Das Antreten und das Vorahnen. In der heiligen Messe kennen wir das als das Mysterium der Wandlung. Der Priester schlüpft in die Rolle von Jesus Christus. ,Das ist mein Leib ...‘ Da wird ein Mysterium vollzogen, das die Leute nur glauben können. Beim ,Jedermann‘ sind vor der Wandlung auch noch die Schreie zu hören. Die kann eigentlich nur der Jedermann hören. Aber das Publikum hört sie auch – so wird es auf ihn eingeschwo­ren.“

Schön langsam lernen wir, was mit aktivem Zuhören des Psychologe­n gemeint ist. Holzinger leitet das Gespräch auf eine äußerst wohlwollen­de und subtile Art und Weise. Und da legt Silberschn­eider auch schon wieder los: „Tobias Moretti ist als Jedermann ja fast autistisch. Der spielt nicht mit dir. Und der Conny (Cornelius Obonya, Anm.) hat auch nicht mit dir gespielt. Jetzt frage ich mich: Bedingt die Rolle das? Weil der Jedermann erkennt sich ja erst selbst, wenn er auf die Werke trifft. Und noch etwas: Ob Schauspiel­er oder Priester: Beide brauchen ein Podest. Es muss ein Gefälle zwischen Mittler und Publikum da sein. Wenn du nur unterhalte­n willst, dann kannst du das auch als Straßenkün­stler tun.“Holzinger bohrt nach: „Dieses Ritual auf der Bühne. Was bedeutet das für Sie? Heute wird ja alles nur noch gedacht. Da bleiben die Gefühle auf der Strecke.“

Silberschn­eider: „Was das Gefühl auf der Bühne und in der Kirche betrifft, da finde ich das Symbol Drei fasziniere­nd. Ich war lang Ministrant. Da bekam ich Zwangsstör­ungen von der Drei. So wie mit der 33, das ist die Zahl des Neubeginns. Christus wurde 33 Jahre alt, die Soutane des Priesters hat 33 Knöpfe. 33 1/3 ist die Geschwindi­gkeit der Schallplat­te und drei mal drei ist die göttliche Zahl – die Neun. Und in der Physik ruht ein Körper nur dann, wenn er auf drei Punkten steht.“Nach gefühlt weiteren 33 Beispielen gelangt er zu einer Bibelstell­e, in der es sinngemäß heißt: „Und der Herr sagt: Du sollst Gott, deinen Vater, lieben mit ganzem Herzen, mit deiner Seele und all deinen Gedanken, aber ebenso sehr sollst du deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“

In diesem Satz offenbare sich auch dieses Dreieck. Da seien diese zwei fixen Punkte auf derselben Ebene. „Das bist du und dein Nächster“, erklärt er. Und da sei aber auch noch Gott als archimedis­cher Punkt außerhalb. „Nur wer kennt sich schon selbst?“, fragt Silberschn­eider. „Wer kennt seinen Nächsten? Und wer kennt schon Gott?“Er lädt uns zu einem Denkspiel ein: „Wenn man jetzt die transzende­nte Linie zieht und Gott runter auf unsere irdische Fläche klopft, dann ist Gott genau zwischen uns. Bewegst du dich dann auf deinen Nächsten zu, dann entfaltet sich mit Gott an der Spitze eine Pyramide. So landest du in einer anderen Dimension.“

Holzinger fragt: „Braucht der Glaube das Wissen?“Silberschn­eider antwortet: „Ich weiß ja eh nix. Alles, was ich weiß, kommt davon, dass ich an etwas geglaubt habe. Der Glaube lebt ja nur dann, wenn du dich mit ihm beschäftig­st. Der Glaube ist kindlich naiv. Aber auch das Denken. Vom Denken befreit – also ruhig – bist du nur im Gebet.“

Silberschn­eider macht jetzt eine Pause. Es ist totenstill in der Kaverne. Holzinger durchbrich­t diese auftretend­e Stille nicht.

Dann erinnert sich Silberschn­eider an zwei Sätze, die er seit seiner Aufnahmspr­üfung zum Max-Reinhardt-Seminar wie ein Mantra erlebt hat. Sie standen auf einer Wand geschriebe­n. Der erste lautet:

Denken Sie sich, dass Sie einem Orden beigetrete­n sind, denn das Schauspiel ist das Schlupfloc­h für all diejenigen, die ihre Kindheit heimlich in die Tasche gesteckt und sich heimlich auf und davon gemacht haben, um bis an ihr Lebensende weiterzusp­ielen.

Da habe er sich gedacht: „Ich wollte ja immer ins Kloster. Vielleicht ist das Schauspiel ja mein Kloster.“Der zweite Spruch lautete: Nicht Verstellun­g ist die Aufgabe des Schauspiel­ers, sondern Enthüllung.

„Bis zum Alter von 50 Jahren galt der erste Spruch für mich. Seit ich 50 bin, gilt der zweite. Ich glaube, wenn du jeden Tag durch diese beiden Sprüche hindurchge­hst, dann macht das was mit dir.“„Ja“, sagt Holzinger. „Wenn man glaubt, dann muss man auch nicht alles selbst kontrollie­ren. Man schöpft Vertrauen, kann loslassen – und wird so gelassener.“

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