Bilderbuch der Götter
Zypern. Besuch bei der Göttin Aphrodite und in der Kulturhauptstadt 2017.
Reiseführer Stelios ist manchmal auch Philosoph: „Wer noch eine alte Kamera zu Hause hat, der weiß, wie man früher Filme entwickelt hat. Ganz langsam entstand das Bild in der Dunkelkammer, als ganz persönliche Erinnerung.“Genau so solle auch die Seele die Bilder der Erinnerung an Zypern entwickeln.
Auf Zypern lassen sich zudem Bilder von Bildern machen: Die Antike hatte ihre eigene Kunstform, Liebe, Lust und Leid, die Träume und die Realitäten der damaligen Menschen abzubilden – in Mosaiken, vornehmlich auf den Böden religiöser Kultstätten oder in Patrizierhäusern. Was davon auf Zypern erhalten geblieben ist, erstaunlich viel sogar, bildet eine Art „Fotoalbum“aus Jahrtausenden. Für einen Besuch in der antiken Welt beginnt man am besten in Paphos.
Die antike Stadt im Westen der „Insel zwischen drei Kontinenten“, also Asien, Afrika und Europa, war im dritten vorchristlichen Jahrhundert Hauptstadt und prächtigste Stadt Zyperns. Heute gibt es das neue Paphos. Aus dem einstigen Stadtkönigtum wurde ein Tourismus-Hotspot, dessen Hauptanziehungspunkt der „Archäologiepark“ist. Das Zentrum des Besucherinteresses bilden die römischen und frühchristlichen Mosaike aus dem Palast eines römischen Statthalters und in den Villen der einstigen Oberschicht.
Die UNESCO zählt dies seit 1980 zum Weltkulturerbe, in diesem Jahr ist Paphos (oder Pafos) gemeinsam mit dem dänischen Aarhus europäische Kulturhauptstadt.
Die Küstenstadt mit knapp 33.000 Einwohnern und dem stets angenehmen Klima will sich mit einem großen Kulturangebot in eine „Freiluftfabrik“verwandeln und damit Besucher anziehen. Natürlich kommen die meisten der jährlich drei Millionen Touristen in der griechischsprachigen Republik Zypern – der Norden der Insel ist seit 1974 türkisch – zum Baden hierher. In erster Linie wegen der sandigen und felsigen Strände. Und die Gewässer zählen zu den saubersten des Mittelmeers. So war Agia Napa im Südosten einst ein kleines Fischerdorf im Niemandsland – bis die Tourismus-Industrie ein Hotel nach dem anderen aus dem kargen Boden stampfte.
Immer schon zogen Eroberer und Einwanderer über die Insel hinweg, aber keine „Immigrantin“hinterließ so einen nachhaltigen Eindruck wie Aphrodite, die griechische Göttin der Liebe. Am traumhaft schönen Strand von Petra tou Romiou, zwischen sandigen Buchten und felsigen Klippen, nicht weit von Paphos entfernt, soll die „Schaumgeborene“den azurblauen Fluten entstiegen sein. Ihr Heiligtum mit „schimmernden Toren“und einem „duftenden Altar“, entstanden im zwölften Jahrhundert vor Christus, galt den Menschen bis ins vierte Jahrhundert nach Christus als „Nabel der Welt“. Tausende von Pilgern kamen Jahr für Jahr, um der Göttin zu huldigen.
Neben Aphrodite wählten sich zwei weitere Götter Zypern zu ihrer „irdischen“Heimat: Apollon und Dionysos. Apollon – dem anmutigen Gott der feinen Künste – kann man in den Überresten eines riesigen Heiligtums nachspüren. Gelegen im antiken Kourion, ehemals eines der wichtigsten und prächtigsten Königtümer in Zypern. Und nur eine kurze Wegstrecke von der Hafenstadt Limassol, dem alten Lemesos, entfernt, sieht man Ausgrabungen des antiken römischen Curium.
Das meiste Augenmerk der Besucher findet wohl ein Gegenentwurf zur heidnischen Götterwelt: Das „Haus des Eustolios“, gleich neben dem antiken Theater, bietet mit seinen teilweise großartig erhaltenen Mosaikfußböden eine Art „Bilderbuch“des Lebensgefühls der antiken Welt und ein Zeugnis des Triumphs des Christentums über die griechischen Götter.
Dieser Eustolios war Christ: Das zeigen nicht nur in Mosaik gefasste Glaubensbekenntnisse, sondern auch die gewählte Symbolik der Darstellung von Fischen und bestimmten Vögeln des Paradieses. „Tritt ein mit dem Glück des Hauses“: Ungewöhnlich persönlich wirkt die Begrüßung des Eustolios aus dem fünften nachchristlichen Jahrhundert sogar in unserer Zeit.
Der Gott des Weines und der Lebensfreude, Dionysos, hat im antiken Paphos sogar ein „eigenes“Haus. Ein römischer Statthalter hat in seiner 2000 Quadratmeter großen Villa die Fußböden mit prächtigen Mosaiken ausstatten lassen, die zum Großteil Szenen der griechischen Mythologie gewidmet sind – vor allem aber dem Dionysos. Im Triumphzug erscheint der mit Weinlaub bekränzte Gott auf einem von zwei schwarzen Panthern gezogenen Wagen, umrankt von Weinreben und traubenpflückenden Figuren.
Doch wer war Dionysos? Im Weinbaudorf Omodos am Fuße des Troodos-Gebirges, dem angeblich schönsten Dorf Zyperns, hat man eine pragmatische Erklärung: Der „Gott“könnte ein König aus dem Kaukasus gewesen sein, der in grauer Vorzeit den Weinbau auf die Vulkanböden Zyperns brachte. Doch wohin sind die Götter entschwunden? Oder haben sie sich nur zurückgezogen? Verstecke gibt es genug. Wer die malerische Küste im Südosten mit dem Schiff entlangfährt, kommt zu einsamen Landstrichen bis Kap Greco, zu geheimnisvollen Meereshöhlen, zur Blauen Lagune oder in die Konnos-Bucht. Göttliche Rückzugsgebiete.