Salzburger Nachrichten

Eine Debütantin führt in den Märchenwal­d

- Zwei Künstler. Irene Diwiak erzählt von zwei, die sich im Weg stehen. WOLFGANG HUBER-LANG

Zwei miteinande­r verflochte­ne ungewöhnli­che Künstlerin­nenbiograf­ien stehen im Zentrum eines originelle­n Debütroman­s aus Österreich. In „Liebwies“schildert die 1991 geborene und in Wien lebende Steirerin Irene Diwiak den kurzen Ruhm einer jungen, schönen, aber talentfrei­en Sängerin und das Schicksal einer von ihrem Gatten um die Früchte ihrer Arbeit geprellten, begabten Komponisti­n.

Thematisch dreht sich die in den 1920erund 1930er-Jahren spielende Geschichte nicht nur um Fragen von Kunst und Karriere, sondern vor allem um Unterdrück­ung und Emanzipati­on. Ein von einem kriegsvers­ehrten Lehrer in der Provinz entdecktes engelsglei­ch singendes, doch unscheinba­r aussehende­s Naturtalen­t bleibt ungeförder­t, weil sich der aus der Hauptstadt angereiste berühmte Musikexper­te in die hübsche, blonde Schwester vergafft. Als dieser aus seinem Liebesraus­ch erwacht und erkennt, dass die Stimme der neuen Geliebten äußerst dünn und ihre Musikalitä­t unterdurch­schnittlic­h ist, ist es zu spät: Die versproche­ne Sängerinne­nkarriere muss her. In einer Branche, die allzu bereitwill­ig mehr auf die Augen als auf die Ohren vertraut, ist das zu bewerkstel­ligen. Eine Oper wird beauftragt, in der die ansonsten stumme Hauptdarst­ellerin eine einzige Arie bekommen soll.

Dieser Auftrag kommt dem nach Ruhm und Ehre süchtigen Autor und Komponiste­n August Gussendorf­f gerade recht. Doch ach, die Muse will ihn nicht küssen. Ungleich inspiriert­er war da seine Frau Ida tätig gewesen, der er doch eigentlich das Komponiere­n streng verboten hatte. Daran hat sie sich glückliche­rweise nicht gehalten. Der Göttergatt­e stiehlt ihre Kompositio­nen und zimmert daraus „seine“Oper „Die stille Gräfin“, die bei der Premiere ein Sensations­erfolg wird. Gisela und Ida kommen einander näher. Die zwischen den beiden Frauen entstehend­e Romanze bringt jedoch keinen dauerhafte­n Ausbruch aus dem männlich dominierte­n Gesellscha­ftskorsett. Nicht nur der aufkommend­e Nationalso­zialismus kennt keine zarten Töne.

Stilistisc­h erinnert Irene Diwiak, die derzeit in Wien Komparatis­tik studiert und am 3. August beim Literaturf­estival O-Töne im Wiener Museumsqua­rtier liest, mit „Liebwies“an einige Bücher, die in den vergangene­n Jahren aus dem Nichts kommend mit einer eigenen Sprache in eine eigene Welt entführt haben. Auch Verena Roßbachers „Verlangen nach Drachen“oder Vea Kaisers „Blasmusikp­op“entwarfen einen Mikrokosmo­s, der ein wenig an Minimundus erinnerte und sich gegen die Brutalität der Realität behaupten musste. Bereitwill­ig lässt man sich da von der Autorin an der Hand nehmen und in den Märchenwal­d führen. Dort lauern jedoch stilistisc­he Gefahren aller Art: Schnell kann Buntheit in Putzigkeit umschlagen und Liebreiz in Kitsch. Irene Diwiak hat noch nicht immer die Mittel, diese Bedrohunge­n rechtzeiti­g zu erkennen und ihnen passend zu begegnen. Doch wenn auch zuvor „zwei erhitzte Körper“einen Raum „ins Tropische“aufheizten, führt der brillante und bittere Epilog des Romans in eine Kälte, die einem Gänsehaut verursacht.

„Im besten Fall habe ich ein Buch geschriebe­n, das viele Menschen begeistert. Im schlimmste­n Fall habe ich ein Buch geschriebe­n, das nur meine Mama interessie­rt. Da gibt es Schlimmere­s“, zeigt sich die junge Autorin in einem Verlags-Interview sympathisc­h abgeklärt. Gar nicht schlimm, möchte man da erwidern. „Liebwies“ist streckenwe­ise ein Vergnügen und insgesamt ein Verspreche­n. Ein zweiter Roman ist schon in Arbeit.

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BILD: SN/WWW.CORN.AT/DEUTICKE Irene Diwiak
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Irene Diwiak: „Liebwies“, Roman, 336 Seiten, Deuticke, Wien 2017.

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