Eine Debütantin führt in den Märchenwald
Zwei miteinander verflochtene ungewöhnliche Künstlerinnenbiografien stehen im Zentrum eines originellen Debütromans aus Österreich. In „Liebwies“schildert die 1991 geborene und in Wien lebende Steirerin Irene Diwiak den kurzen Ruhm einer jungen, schönen, aber talentfreien Sängerin und das Schicksal einer von ihrem Gatten um die Früchte ihrer Arbeit geprellten, begabten Komponistin.
Thematisch dreht sich die in den 1920erund 1930er-Jahren spielende Geschichte nicht nur um Fragen von Kunst und Karriere, sondern vor allem um Unterdrückung und Emanzipation. Ein von einem kriegsversehrten Lehrer in der Provinz entdecktes engelsgleich singendes, doch unscheinbar aussehendes Naturtalent bleibt ungefördert, weil sich der aus der Hauptstadt angereiste berühmte Musikexperte in die hübsche, blonde Schwester vergafft. Als dieser aus seinem Liebesrausch erwacht und erkennt, dass die Stimme der neuen Geliebten äußerst dünn und ihre Musikalität unterdurchschnittlich ist, ist es zu spät: Die versprochene Sängerinnenkarriere muss her. In einer Branche, die allzu bereitwillig mehr auf die Augen als auf die Ohren vertraut, ist das zu bewerkstelligen. Eine Oper wird beauftragt, in der die ansonsten stumme Hauptdarstellerin eine einzige Arie bekommen soll.
Dieser Auftrag kommt dem nach Ruhm und Ehre süchtigen Autor und Komponisten August Gussendorff gerade recht. Doch ach, die Muse will ihn nicht küssen. Ungleich inspirierter war da seine Frau Ida tätig gewesen, der er doch eigentlich das Komponieren streng verboten hatte. Daran hat sie sich glücklicherweise nicht gehalten. Der Göttergatte stiehlt ihre Kompositionen und zimmert daraus „seine“Oper „Die stille Gräfin“, die bei der Premiere ein Sensationserfolg wird. Gisela und Ida kommen einander näher. Die zwischen den beiden Frauen entstehende Romanze bringt jedoch keinen dauerhaften Ausbruch aus dem männlich dominierten Gesellschaftskorsett. Nicht nur der aufkommende Nationalsozialismus kennt keine zarten Töne.
Stilistisch erinnert Irene Diwiak, die derzeit in Wien Komparatistik studiert und am 3. August beim Literaturfestival O-Töne im Wiener Museumsquartier liest, mit „Liebwies“an einige Bücher, die in den vergangenen Jahren aus dem Nichts kommend mit einer eigenen Sprache in eine eigene Welt entführt haben. Auch Verena Roßbachers „Verlangen nach Drachen“oder Vea Kaisers „Blasmusikpop“entwarfen einen Mikrokosmos, der ein wenig an Minimundus erinnerte und sich gegen die Brutalität der Realität behaupten musste. Bereitwillig lässt man sich da von der Autorin an der Hand nehmen und in den Märchenwald führen. Dort lauern jedoch stilistische Gefahren aller Art: Schnell kann Buntheit in Putzigkeit umschlagen und Liebreiz in Kitsch. Irene Diwiak hat noch nicht immer die Mittel, diese Bedrohungen rechtzeitig zu erkennen und ihnen passend zu begegnen. Doch wenn auch zuvor „zwei erhitzte Körper“einen Raum „ins Tropische“aufheizten, führt der brillante und bittere Epilog des Romans in eine Kälte, die einem Gänsehaut verursacht.
„Im besten Fall habe ich ein Buch geschrieben, das viele Menschen begeistert. Im schlimmsten Fall habe ich ein Buch geschrieben, das nur meine Mama interessiert. Da gibt es Schlimmeres“, zeigt sich die junge Autorin in einem Verlags-Interview sympathisch abgeklärt. Gar nicht schlimm, möchte man da erwidern. „Liebwies“ist streckenweise ein Vergnügen und insgesamt ein Versprechen. Ein zweiter Roman ist schon in Arbeit.