Salzburger Nachrichten

In Havanna wird es eng

Mieten und Bodenpreis­e steigen rasant an. Alteingese­ssene ziehen weg oder verkaufen, Touristen und Business kommen.

- ALEXANDER KNOBLOCH

HAVANNA. Auf seine Wohnungssu­che angesproch­en verzieht Osbel Sanabria nur das Gesicht. „Havanna ist extrem teuer geworden“, sagt er. Seit Monaten versucht er, eine kleine Ein- oder Zweizimmer­wohnung im beliebten Stadtteil Vedado zu finden. Dabei kann sich sein Mietbudget mit 150 CUC pro Monat für kubanische Verhältnis­se – ein CUC entspricht ungefähr einem Dollar – durchaus sehen lassen. „Aber ich finde einfach nichts für diesen Preis“, sagt der Anfang Dreißigjäh­rige, der als Koch in einem Privatrest­aurant und nebenbei als Tätowierer arbeitet.

Die Schauspiel­erin Mabel Torres berichtet über ähnliche Erfahrunge­n. Auch sie hat Schwierigk­eiten, in Vedado, wo sie seit Jahren wohnt, eine bezahlbare Mietwohnun­g zu finden. „Vor sechs Jahren habe ich für eine Zweizimmer­wohnung mit Balkon 140 CUC im Monat bezahlt. Heute ist es selbst für 300 oder 400 fast unmöglich, eine Wohnung zu bekommen“, klagt sie. „Meine Freunde ziehen nach und nach weg, da sie die Mieten nicht mehr zahlen können.“Ähnliches lässt sich in der Altstadt und in abgeschwäc­hter Form auch im Stadtteil Centro Habana beobachten.

Die Gründe sind vielfältig. Seit der Regierungs­übernahme durch Raúl Castro im Jahr 2008 ist Kuba im Umbruch. Die Wirtschaft wurde für ausländisc­hes Kapital geöffnet, der Staatssekt­or reduziert und mehr Privatinit­iative zugelassen. Zudem erlaubte die Regierung Kauf und Verkauf von Autos und Immobilien.

Das führte zum einen dazu, dass Häuser und Wohnungen heute wieder Kapitalanl­age und Produktion­smittel sind – als Bars oder Ferienwohn­ungen. Zum anderen haben im Zuge der Ausweitung des Kleinunter­nehmertums – in Kuba „Arbeit auf eigene Rechnung“genannt – viele Haus- und Wohnungsbe­sitzer ihr bisher schwarzes Geschäft legalisier­t, trotz relativ hoher Steuern. Dies fällt zusammen mit einem Tourismusb­oom. Im vergangene­n Jahr besuchten erstmals mehr als vier Millionen Touristen Kuba. 14.000 privat vermietete Zimmer gibt es heute auf der Insel, der größte Teil davon in Havanna. „Nochmal nach Kuba reisen, bevor es sich verändert.“Diesen oder ähnliche Sätze hört man von Kuba-Touristen immer wieder. Dass sie selbst Teil dieser Veränderun­g sind und diese sogar beschleuni­gen, ist den wenigsten bewusst. Der Strukturwa­ndel trifft Kubas Städte kaum vorbereite­t. „Einzelne Gebäude oder Wohnungen werden teils aufwändig renoviert, um als Restaurant­s oder Pensionen für Touristen genutzt zu werden, während parallel dazu – oft in unmittelba­rer Nachbarsch­aft – der Verfall der Bausubstan­z ungebremst weitergeht“, sagt Gert Hoffmann, Kuba-Experte am German Institute of Global and Area Studies (GIGA). In attraktive­n Lagen verzeichne­ten Wohnungsbe­sitzer einen hohen Wertzuwach­s, mit den Wirtschaft­sreformen konnte er nun realisiert werden.

Besonders betroffen ist Havannas Altstadt. Die Preise sind stark gestiegen, alteingese­ssene Bewohner ziehen weg, überall eröffnen neue Ferienwohn­ungen, Bars und Restaurant­s. Die Lebenshalt­ungskosten steigen. „Die Altstadt gehört den Ausländern“, sagt Maykel (Name von der Redaktion geändert, Anm.), der illegal als Immobilien­scout arbeitet. Da Ausländer in der Regel nicht legal Immobilien auf Kuba erwerben können, tun sie dies über kubanische Strohmänne­r.

„Havannas Altstadt entvölkert sich.“Maykel, Immobilien­scout

Bewohner verkaufen ihre Häuser und ziehen in günstigere (Außen-)Bezirke. Die frei werdenden Räume werden zu Ferienapar­tments. „Habana Vieja entvölkert sich“, sagt Maykel mit einem bitteren Lächeln.

Eine Möglichkei­t, Verdrängun­g und der Disneysier­ung der Altstadt entgegenzu­wirken, wäre die Vergabe von Lizenzen für Ferienwohn­ungen und Bars. Doch die Regierung steht vor einem schwierige­n Spagat: Einerseits den Tourismus fördern, um Einnahmequ­ellen für die Bevölkerun­g zu schaffen, gleichzeit­ig aber die Schere zwischen Arm und Reich nicht zu groß werden zu lassen.

Mabel Torres wenigstens hat nach langer Suche eine renovierun­gsbedürfti­ge Zweizimmer­wohnung in Centro Habana für 250 CUC pro Monat gefunden. Osbel sucht noch immer und freundet sich langsam mit dem Gedanken an, dass das in Vedado wohl nichts mehr werden wird.

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BILD: SN/STRICK Die Altstadt und das Viertel Vedado sind einem besonders starken Strukturwa­ndel unterworfe­n.

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