Der Heimat größter Sohn
Jakob Pöltl ist der erste Österreicher in der US-Basketball-Profiliga NBA. Was man neben 2,13 Metern Körpergröße noch alles mitbringen muss, um sich dort zu behaupten.
WIEN, TORONTO. Als es in Österreich noch kein Privatfernsehen gab, war der Sonntagabend für Fans von Randsportarten ein absoluter Pflichttermin. Da flimmerten kurze Beiträge über Seitenwagenrennen, Gras-Ski, Faustball oder Badminton über die Bildschirme. Auch Spiele der heimischen Basketball-Bundesliga fielen in diese Kategorie. Man sah für eine knappe Minute je fünf Herren auf und ab laufen. Fiel ein Korb, applaudierten Verwandte und Bekannte am Spielfeldrand. Die Reporterstimme aus dem Off holperte stets und tat sich schwer mit den in der Öffentlichkeit völlig unbekannten Namen der Akteure. Die nordamerikanische Profiliga NBA hingegen galt als mystische, unerreichbare Welt, in der unter anderem ein gewisser Michael Jordan spielte, ein scheinbar überirdisches Wesen.
Wechsel ins Jahr 2017. Im US-TV flippt ein Kommentator aus. In seinen leicht übersteuerten und kaum enden wollenden Jubel streut er die Worte „The Austrian Hammer“. Jakob Pöltl im Trikot der Toronto Raptors hat soeben den Ball aus vollem Lauf und mit voller Wucht über einen Gegenspieler „gestopft“. 20.000 Menschen im Air Canada Centre in Toronto kreischen vor Begeisterung.
Von den maroden Sporthallen der selbst ernannten Sportstadt Wien ins gelobte (Basketball-)Land – wie verarbeitet man so etwas? Jakob Pöltl, Jahrgang 1995, 2,13 Meter groß, tut das mit verblüffender Abgeklärtheit: „Na ja, so wirklich der Sprung ins kalte Wasser war es nicht. Die NBA war immer mein Traum, spätestens mit der Entscheidung für Amerika und den College-Basketball war klar, wohin der Weg führen soll. Alles in allem war es ein bewusster Lern- und Entwicklungsprozess, in dem ich sehr gut auf die NBA vorbereitet wurde“, sagt der Sportler, der stets ruhig und ausgeglichen wirkt.
Vorbereitung – ein Zauberwort. Da wären zuerst einmal Mama und Papa Pöltl, zwei ehemalige Volleyball-Nationalspieler, die von Beginn an dafür sorgten, dass der Filius in die richtigen Beraterhände geriet. Gefragt, was er mit den mehr als zwei Millionen Dollar, die er bei Toronto jährlich verdient, alles anschaffen werde, antwortete der 21-Jährige jüngst: „Es gab nicht so viel. Ich hab jetzt ein Auto, aber das ist auch nicht gekauft, sondern nur geleast. Vermutlich der größte Luxus bis jetzt war die Wohnung, schon eine ganz nette Wohnung, da habe ich mir ein bisserl mehr geleistet als überall anders.“
Es ist nicht nur die Größe, das Gefühl in den Händen, das Auge für den Mitspieler und Nervenstärke. Es sind vor allem Besonnenheit und Bodenhaftung, die Jakob Pöltl – sollte er frei von Verletzungen bleiben – ganz nach oben bringen werden. Was immer „ganz nach oben“auch heißen mag, der Wiener wird die Nerven bewahren. Mentale Stolpersteine wie etwa Heimweh kennt er nicht. Als er 2014 mit nicht einmal 19 Lebensjahren im Gepäck in Salt Lake City aufschlug, hieß das nämlich: Baba, alte Welt, Freunde, Familie, Umfeld, Heimat, Gewohnheiten. Problem? Nicht für Jakob Pöltl: „Die Tage waren mit Lernen und Basketballspielen ausgefüllt, ich habe mich schnell eingefunden und auf Anhieb wohlgefühlt.“
Mittlerweile zählen Heimaturlaube zu den exotischeren Terminen. Langsam beginnen sich die Medien um den „verlorenen Sohn“zu reißen, Blitzlichtgewitter und Dribbeln vor prominenter Kulisse gehören da ebenso dazu wie ein exakter Trainingsplan. Wer von diesem Mega-Kuchen NBA nur ein Krümelchen abbekommen möchte, dem sei geraten, so gut wie keinen Tag ohne Training verstreichen zu lassen. Körperliche Fitness ist die Grundvoraussetzung, das Fundament. Fällt man zurück, ist der hart erkämpfte Platz im Team schnell futsch. Denn die Konkurrenz ist gewaltig und gnadenlos. Und für die Überholspur muss man eben immer einen Tick mehr investieren als der Rest. Kurzum: Für Pöltl ist Leben Basketball und Basketball Leben: „Die NBA war das, was ich wollte und will, damit war klar, dass ich den Großteil des Jahres nicht zu Hause sein werde.“Apropos zu Hause: Das ist jetzt – überspitzt formuliert – der US-amerikanische Luftraum. Von New York über Miami nach Minnesota, von Dallas über Phoenix bis nach Los Angeles erstrecken sich viele Tausend Kilometer lange Flüge. Inklusive der Play-off-Spiele kommt der Jungprofi von November bis Juni auf rund 100 Spiele.
Und wie sind die Amerikaner im Unterschied zu den Österreichern? „Eine Spur offener, im Sinne von neugieriger und leichter zu begeistern. Aber es kommt darauf an, ob wir über New York oder beispielsweise Salt Lake City reden. Und ja, es gibt Dinge, die ich wohl nie verstehen werde, aber die gibt es in Österreich und überall anders auch.“
Derzeit weilt der 2,13-Mann in Österreich. Aber nicht auf Urlaub. Er unterstützt das Nationalteam bei der WM-Vorqualifikation gegen die Niederlande (5. August) und Albanien (12. August). Und es taugt ihm: „Daheim ist immer noch Daheim. Das wird einem spätestens dann bewusst, wenn man wieder für ein paar Tage hier ist.“