US-Diplomatie löst sich auf
In turbulenten Zeiten hätte Amerika seine Diplomaten und ihr Wissen bitter nötig. Warum andere Nationen in Washington keine Ansprechpartner finden.
Nachbesetzungen werden nicht nominiert
WASHINGTON. Eigentlich bräuchte der US-Präsident die Expertise seiner Diplomaten dringender denn je. Die Entschärfung der brandgefährlichen Situation in Nordkorea, die Spannungen mit Russland oder das Pulverfass im Mittleren Osten verlangen eine Menge Fingerspitzengefühl – und Wissen, das in den Fachabteilungen des „Department of State“einmal sein Zuhause hatte.
Stattdessen ignoriert das Weiße Haus seine 8000 Berufsdiplomaten und deren Minister an der Spitze. Dabei ist Rex Tillerson ein Außenminister ganz nach Trumps Geschmack. Der mit dem russischen Freundschaftsorden dekorierte ehemalige Chef des Ölkonzerns ExxonMobil teilt die Weltsicht des Präsidenten.
Gerade erst ließ Tillerson eine neue Richtlinie für die Mission seines Ministeriums zirkulieren, in der die USA ihren Anspruch aufgeben, für Demokratie und Gerechtigkeit einzutreten. „Das wird Diktatoren rund um die Welt gefallen“, ätzt Elliott Abrams, der unter George W. Bush als stellvertretender Nationaler Sicherheitsberater tätig war. „Diese Sicht entspricht der von Wladimir Putin, der auch denkt, dass Großmächte sich exklusiv um die eigene Sicherheit und Wohlstandsmehrung statt um Demokratie kümmern sollten“, kritisiert Tom Malinowski, der als Sektionschef für Demokratie, Menschenrechte und Arbeit im US-Außenministerium zuständig war.
Der Verdacht steht im Raum, Tillerson sei mit dem Auftrag gekommen, das Ministerium massiv zurechtzustutzen. Dafür sprechen die vorgesehenen Kürzungen des Budgets im Haushaltsentwurf des Weißen Hauses um ein Drittel.
Die wichtigen AbteilungsleiterJobs für die Ländergruppen und Spezialaufgaben bleiben weitgehend unbesetzt. Für 20 der 22 Vakanzen, die der Zustimmung des Senats bedürfen, gibt es nicht einmal Nominierungen. Davon betroffen sind die für die Krise in Nordkorea so wichtigen Positionen der drei Chefs für Ostasien und den Pazifik, Rüstungskontrolle sowie Nichtweiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen.
Nicht anders sieht es bei der Besetzung wichtiger Botschafterstellen aus. Von Berlin über Paris bis Neu-Delhi bleibt jede dritte amerikanische Vertretung unter Trump bisher ohne Botschafter. Für Deutschland ist der Ex-Diplomat Richard Grenell im Gespräch, aber noch nicht nominiert.
Während Tillerson den Fachabteilungen einen strikten Sparkurs verordnet, bläht er seinen eigenen Mitarbeiterstab auf. Die Rede ist von einer Verdreifachung seines Personals, das bisher aus etwa 25 Mitarbeitern besteht. Diese werden von seiner Stabschefin Margaret Peterlin und dem politischen Direktor Brian Hook gemanagt.
Insider sprechen von einer Parallelstruktur, mit der Tillerson eine Art Ministerium im Ministerium schafft. Dazu gehöre, dass respektierte Experten aus den Fachabteilungen nicht mehr bis zum Büro des Ministers durchdrängen, Anfragen aus den Botschaften unbeantwortet und Entscheidungen liegen blieben. „Diese Prätorianergarde hat keinerlei Erfahrung“, klagt einer von Dutzenden Diplomaten, die im außenpolitischen Fachmagazin „Foreign Policy“Alarm schlagen. „Sie sind völlig desinteressiert.“Die Moral im Ministerium sei auf einem absoluten Tiefpunkt angelangt.
„Ein amerikanisches Juwel steht auf dem Spiel“, warnt auch der außenpolitische Kolumnist der „New York Times“, Roger Cohen, der zu den vielen Stimmen gehört, die vor den Konsequenzen für Ansehen und Rolle der USA in der Welt warnen. Da ausländische Diplomaten oft keine Ansprechpartner mehr haben, wenden sie sich in ihrer Not inzwischen an den Nationalen Sicherheitsrat im Weißen Haus.
Tillerson selbst, so ein Mitarbeiter aus seinem Umfeld, „hasst den Job“. Er hat sich in den sechs Monaten seiner Amtszeit ein einziges Mal in seinem Ministerium Fragen von Reportern gestellt und nimmt das diplomatische Pressekorps nicht mit auf Reisen. Seine Sprecherin Heather Nauert hat die täglichen Briefings auf zwei in der Woche reduziert.
Amerikas Diplomaten sehen sich zwischen Trump und ihrem gelähmten Ministerium auf verlorenem Posten. Der ehemalige stellvertretende Außenminister und heutige Präsident der Carnegie-Stiftung, William Burns, bringt die Krise auf den Punkt: „Unterhalb der Oberfläche ist nichts mehr, das normal ist.“