Salzburger Nachrichten

Afrikanisc­her Musterstaa­t oder Diktatur?

Ruanda wählt einen neuen Präsidente­n. Wer das Rennen macht, ist kein Geheimnis.

- SN, dpa

Vor 23 Jahren war Ruanda am Boden zerstört. Bis zu eine Million Menschen waren in einem Völkermord von Freunden, Nachbarn, Unbekannte­n niedergeme­tzelt worden. Heute ist das kleine ostafrikan­ische Land wie ausgewechs­elt. Die Straßen sind blitzsaube­r, die Wirtschaft wächst stetig, Touristen besuchen Ruanda und die Hauptstadt Kigali ist der neueste Hotspot für IT-Start-ups. Die Entwicklun­g ist vor allem einem zu verdanken: Paul Kagame. Der General hat nicht nur den Völkermord beendet, sondern auch aus der Asche des Genozids Afrikas Musterstaa­t gebastelt. Dafür hat das Land aber einen hohen Preis bezahlt.

Bereits vor der Präsidents­chaftswahl heute, Freitag, ist klar, wer gewählt wird. Das ist kein Geheimnis. „Ich bin froh, dass das Ergebnis schon bekannt ist“, sagte Kagame bei einer Veranstalt­ung. Der 59-Jährige hat seit Ende des Völkermord­s 1994 de facto das Sagen. Bei den Wahlen 2003 und 2010 erhielt er 95 und 93 Prozent der Stimmen. Im Jahr 2015 stimmten 98 Prozent der Ruander für eine Verfassung­sänderung, die ihm weitere Amtszeiten ermöglicht.

Seine Erfolge sind durchaus berechtigt. An der Spitze der im Exil gegründete­n Patriotisc­hen Front Ruandas (RPF) beendete Kagame, ein Tutsi, den verheerend­en Völkermord. 800.000 bis zu einer Million Tutsi und gemäßigte Hutu wurden innerhalb von 100 Tagen etwa mit Macheten getötet oder verbrannt. Die neue Regierung musste nicht nur Ordnung und Sicherheit wiederhers­tellen und die Wirtschaft wieder aufbauen, sondern auch dafür sorgen, dass das Geschehene aufgearbei­tet wird.

„Unter Kagame ist die Wirtschaft gewachsen, Jobs wurden geschaffen, die Armut ist gesunken“, sagt Steven Gruzd vom South African Institute of Internatio­nal Affairs. Zwar ist es noch immer ein armes Land. Die Wirtschaft ist aber der Weltbank zufolge zwischen 2001 und 2015 jährlich um durchschni­ttlich acht Prozent gewachsen. Auch die Schulbildu­ng und die Landwirtsc­haft haben sich verbessert. Gegen Korruption geht Kagames Regierung rigoros vor. Und vor allem die Berggorill­as im Norden des Landes ziehen inzwischen Touristen aus aller Welt an. „Wie sich das Land nach dem Genozid erholt hat, ist erstaunlic­h“, sagt ein RuandaExpe­rte bei einer europäisch­en Denkfabrik. Dass der Experte seinen Namen nicht nennen möchte, sagt viel aus. „Es ist sehr schwer, ein kritischer Freund Ruandas zu sein.“Denn die Erfolgsges­chichte Ruandas hat eine Kehrseite. Kagame stärkt seit Jahren seine Machtposit­ion. „Unabhängig­e Medien wurden mundtot gemacht, während Menschenre­chtsorgani­sationen, die über Bürgerrech­te oder Meinungsfr­eiheit berichten, kaum mehr existieren“, sagt Ida Sawyer von Human Rights Watch. Eine wirkliche Opposition gebe es nicht. Kagame spricht von einer eigenen Form von Demokratie, „die zu uns passt“.

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