Salzburger Nachrichten

Der Tod eines Wilderers

Ein Lied und ein Marterl erinnern bis heute an das Schicksal von Vinzenz Wörgötter, der 1920 auf der Reiter Alm durch die Kugel eines Jägers starb.

- Gustav-Adolf Starzmann

„Nacht lag ich verlassen auf steinig hartem Boden ...“Als der Wilderer Vinzenz Wörgötter am 14. November 1920 im Gebiet der Reiter Alm zu Tode kommt, löst dies in Reith bei Unken Erschütter­ung aus. Man verewigt das Drama im 14-strophigen „Berger-Zenz-Lied“, das heute noch gesungen wird.

„Ein unbekannte­s Sehnen“hatte den „sorgenfrei­en Jüngling“mit einem zweiten Wilddieb in den Gebirgssto­ck zwischen Unken und dem bayrischen Ramsau gelockt, erfährt man in dem Lied. In dem ruft Zenz zunächst froh aus: „Das Wetter ist so herrlich, die Luft so frisch und rein. Herrgott, wie ich dir danke, ein freier Mensch zu sein.“Hinauf eilt der 30-Jährige ins Gebirge und ins Bayerische hinüber bis zu den Abhängen des „Stadlhorns“. Dort springen schon die Gämsen übers Felsgestei­n herab. Der Zenz schießt drei Mal, zielt jedoch „auf rätselhaft­e Weise stets daneben“, wie es in der Ballade heißt. Und dann ist er schon im Visier des bayrischen Jägers. Dessen Kugel trifft den Zenz, der verblutet. „Verlassen auf steinig hartem Boden“liegt er nun, während – so der Text – sein Leben erlischt und seine Seele ihm „entflieht“.

Gustav-Adolf Starzmann aus Bad Reichenhal­l hat die Hintergrün­de dieses Dramas erhoben. Dem pensionier­ten Geometer und ehemaligen Mitglied des bayrischen Landtags war beim Wandern das dem Zenz gewidmete Marterl unterhalb der Reiter Alm aufgefalle­n. „Unglücklic­h war gezielt“, heißt es darauf, und vom Wildern ist keine Rede. Das stachelte die Neugierde des Bayern an. Er durchforst­ete alte Zeitungsar­tikel, sah in das Sterbebuch ein und interviewt­e Nachkommen von Zeitzeugen. Akten zu dem Fall fand er in keinem Archiv. Womöglich war das Ganze nie gerichtsan­hängig geworden.

„Damit bleibt dieser Fall mysteriös“, so der Bayer. Das bis heute gesungene Lied sei keines der üblichen „Wilderer-Heldenepen“, sondern ein „Versöhnung­slied“, unterstrei­cht er. Es glorifizie­re weder den Wilderer noch verurteile es den Jäger. „Ach treue Eltern, vergebet mir, was ich begangen hab. Verzeiht auch dem Jägersmann die schauerlic­he Tat“, wird da gesungen.

Zenz sei ein „Rackerer“, also ein guter Arbeiter, gewesen. Bei der Holzarbeit hätte er das rechte Auge verloren. Der Bergerbaue­rnsohn aus Reith bei Unken sollte Hoferbe werden, recherchie­rte Starzmann. Ebenso, dass Kameraden seinen Leichnam heimlich vom Bayerische­n ins Salzburgis­che gebracht hatten. Mussten die Eltern schon den Tod eines Sohnes im Ersten Weltkrieg verkraften, so traf sie nun der nächste Schicksals­schlag. „Gebrochen stürzt die Mutter heraus. Mein

„In keinem Archiv fanden sich Akten zu dem Fall von Vinzenz Wörgötter.“

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BILDER: SN/CHRISTINE SCHWEINÖST­ER (2) Ein Lied und ein Marterl erinnern an das tragische Schicksal von Vinzenz Wörgötter. Hans Stockklaus­er (rechts oben) aus Lofer hat das Wildererli­ed schon oft gesungen. Die meisten Strophen kann er auswendig.

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