„Die Maschine weiß mehr als wir“
Künstliche Intelligenz löst in der Wirtschaft Probleme, wie wir es uns manchmal erträumt hatten. Dass sie auch für Albträume taugt, hat seine Gründe. Hans-Peter Haberlandner ist Erschaffer künstlicher Intelligenz – und kritisch.
KARIN ZAUNER Sie haben ein Problem? Softwareentwickler erstellen und trainieren dafür Vorhersagemodelle. Dank dieser maschinellen Leistungen werden Unternehmen „intelligenter“– auf künstliche Art und Weise. Hans-Peter Haberlandner, Mitgründer von blumatix, hat mit seinem Team gerade einen künstlich intelligenten Service entwickelt, der unstrukturierte Rechnungen automatisch erkennt und einliest. Gefördert wird das von der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft. Gehörigen Respekt vor den neuen Möglichkeiten durch künstliche Intelligenz hat Softwareentwickler Haberlandner dennoch.
SN: Künstliche Intelligenz gehört bereits zu unserem Alltag. Wo finden wir sie?
Haberlandner: Bei E-Mails ist künstliche Intelligenz heute schon für jeden Nutzer relevant, wenn es zum Beispiel um Spam-Erkennung, also die Erkennung unerwünschter Mails, geht. Da wird aufgrund von Mustern erkannt, dass dies kein seriöses Mail ist. Grundsätzlich ist es das Prinzip der künstlichen Intelligenz, dass man keine fixen Regeln definiert oder versucht, Algorithmen zu entdecken, sondern man sucht nach Mustern und Gemeinsamkeiten. Das System bekommt E-Mails zum Lernen und erkennt selbst Gemeinsamkeiten zwischen der Gruppe der seriösen Mails und der unseriösen. Darauf basierend kann die Maschine dann für neue Mails eine Entscheidung treffen.
SN: Heute ist künstliche Intelligenz (KI) ein Modewort geworden. Aber nicht jeder Algorithmus ist künstliche Intelligenz. Wo sehen Sie hier die Abgrenzung?
Manchmal verschmelzen die Methoden. Neuronale Netzwerke sind künstliche Intelligenz, das hat mit Statistik nichts zu tun, das sind Modelle, die dem Gehirn nachempfunden sind. Sie haben die Eigenschaft, dass sie eine Blackbox bleiben, man weiß dann eigentlich nicht, warum eine Entscheidung getroffen worden ist, man kann nur messen, wie gut die Entscheidung ist.
SN: Sie sprechen von neuronalen Netzwerken, auch unser Gehirn funktioniert über neuronale Netze. Ist es in der Folge denkbar, künstliche Intelligenz mit so etwas wie Bewusstsein und der Fähigkeit für ein Wertesystem zu schaffen?
Ich weiß nicht, ob es denkbar ist, dass Maschinen so etwas wie Bewusstsein ausbilden können. Indizien dafür gibt es. 2020 bis 2025 wird man beim Diskonter für 1000 Euro eine Rechnerleistung kaufen können, wie sie unserem Gehirn entspricht. Das wäre also kein Kriterium. Wir haben jetzt KI, die vom Bewusstsein entkoppelt ist. Um sich zu fürchten, genügt aber auch eine Superintelligenz, egal ob da Bewusstsein dabei ist oder nicht.
SN: Fürchten wovor?
Das Risiko, das mit Superintelligenz und künstlicher Intelligenz verbunden ist, ist enorm. Daher ist es unbedingt notwendig, sich jetzt zu überlegen, wie wir damit umgehen können. Wie kann ich ein allgemein gültiges Wertesystem als Basis vorgeben, damit man die Kontrolle behalten kann?
SN: Wer arbeitet daran?
Es gibt Organisationen und die globalen Player wie Google oder Facebook, die sich damit beschäftigen, etwas zu entwickeln. Man ist sich einig, dass Vorbereitungen zu treffen sind. Wie das konkret wird und wie verbindlich, weiß niemand.
SN: Aber was sind die konkreten Ängste?
Ich persönlich fürchte mich nicht. Aber was ist, wenn etwas viel intelligenter ist, als wir es sind? Würden wir dann an Bedeutung verlieren? Werden wir Menschen so bedeutungslos, dass möglicherweise ein wichtiges Ziel von uns so bedeutungslos wird wie ein Ameisenbau, der für eine Straße weichen muss?
SN: Aber das ist ja genau das, was die Menschen bei der Digitalisierung generell fürchten, dass sie bedeutungslos werden, ihren Job verlieren. In Ihrer Szene wiederum halten viele entgegen, dass künstliche Intelligenz die Menschen frei macht für Dinge, die sie wirklich machen wollen, etwa kreativ sein. Was denken Sie?
Jobverlust durch Automatisierung ist eine konkrete Angst. Wir können heute etwa Vertragstexte automatisch analysieren. Da geht es längst nicht mehr nur um Jobs, für die keine oder wenig Qualifikation nötig ist. Grundsätzlich ist es aber nichts Schlechtes, weniger oder nichts zu arbeiten. Aber wir definieren uns in unserer Gesellschaft entscheidend über die Arbeit. Ein Ausweg wäre das bedingungslose Grundeinkommen. Die dahinter stehende Idee ist, dass ich dann das machen, mich dafür engagieren oder lernen kann, was mich wirklich interessiert.
SN: Trotz aller Ungewissheiten erschaffen Sie künstliche Intelligenz. Warum?
Ich bin überzeugt, dass in der Zukunft in sämtlichen EDV-Anwendungen künstliche Intelligenz stecken wird. Unser Einstieg in die künstliche Intelligenz war überraschend einfach, wir hatten schnell Ergebnisse. In unserem Unternehmen haben wir einen strategischen Schwerpunkt maschinelles Lernen. Wir kommen aus der Auftragsprogrammierung und haben einen Service entwickelt, der aus unstrukturierten Rechnungen die Rechnungsmerkmale automatisch extrahiert. 95 Prozent der Rechnungen sind Scans oder Dateien, die man nicht automatisch weiterverarbeiten kann, die werden großteils getippt. Unser Service kann Merkmale wie Rechnungsdatum, Rechnungsnummer oder Bruttogesamtbetrag automatisch auslesen. Das beruht auf maschinellem Lernen und ist künstliche Intelligenz. Wir wollen das so weit ausbauen, dass das Produkt wirtschaftlich tragfähig ist. Bei einem großen Salzburger Konzern ist es bereits im Einsatz.
SN: Wollen Kunden mit Ihnen über die Konsequenzen des Einsatzes von künstlicher Intelligenz, wie etwa Personalabbau, reden?
Ein großer Immobilienhändler in Hamburg, dem wir unser automatisiertes Rechnungssystem vorgestellt haben, hat sofort gesagt, er brauche das, und im nächsten Atemzug: „Aber bei mir geht es nicht um Entlassungen, ich brauche meine Leute für wichtigere Dinge.“
SN: Wo sehen Sie die Vorteile und Nachteile von künstlicher Intelligenz?
Künstliche Intelligenz bietet eine neue Problemlösungsmöglichkeit. Sie passt auf viele Probleme, die es schon lange gibt, viel besser als ein Ansatz, der rein algorithmisch erfolgt. Ein Beispiel ist Brustkrebserkennung anhand von Bildern. Man konnte feststellen, dass diese KISysteme Dinge berücksichtigen, die Ärzte nie berücksichtigt haben. Da kann der Mensch auch von der Maschine etwas lernen. In der Wirtschaft können Sie mit künstlicher Intelligenz zum Beispiel vorhersagen, welche Kunden wahrscheinlich demnächst abwandern. Da kann man anhand von Daten der Vergangenheit Muster erkennen und Prognosen für die Zukunft erstellen, was wiederum die Möglichkeit zu handeln eröffnet. Solche KISysteme können Unternehmen übrigens verwenden, ohne dass sie Kenntnisse von maschinellem Lernen haben. Das sind fertige Services wie etwa Empfehlungssysteme oder Kundenabwanderungssysteme, die man ins eigene Unternehmen einbinden kann.
SN: Maschinen wissen also etwas, was ich noch nicht über mich weiß. Ist das nicht beängstigend?
Ja, das ist aber schon Realität. Schauen Sie, wie viele Menschen völlig freiwillig in sozialen Medien all ihre Daten hergeben. Es fehlt das Bewusstsein, wie wertvoll persönliche Daten wirklich sind.
Hans-Peter Haberlandner
ist Mitgründer des Salzburger Unternehmens blumatix, das auf maschinelles Lernen spezialisiert ist. Das Unternehmen hat zehn Mitarbeiter und ist Kooperationspartner des Masterlehrgangs „Data Science“an der Uni Salzburg.