Salzburger Nachrichten

Nicht nur auf dem Berg vergisst der Mensch die Grenzen

Top ausgerüste­t zieht es immer mehr Menschen in die Berge. Was oft im Tal bleibt, ist die Akzeptanz für die Regeln der Natur.

- Anja Kröll ANJA.KROELL@SALZBURG.COM

30.500 Euro kostet der Fullservic­e. Geworben wird mit Einzelzelt­en, persönlich­en Köchen, Trägern und einer 100-prozentige­n Erfolgsgar­antie. Was sich liest wie ein Luxusausfl­ug, ist ein Angebot für die Besteigung des höchsten Berges der Welt: des Mount Everest. Perfekte Kommerzial­isierung auf 8848 Metern Seehöhe, die das Gefühl von Unbesiegba­rkeit vermittelt. Wie trügerisch dies ist, verdeutlic­hen jährlich zahlreiche Bergunglüc­ke. Doch nicht nur auf dem Everest, auch auf Österreich­s höchstem Berg, dem Großglockn­er, überschätz­ten in den vergangene­n Wochen immer mehr Alpinisten ihr Können.

Die Berge, sie werden zusehends zum Ausdruck des Zeitgeists unserer Gesellscha­ft. In einer Welt, in der alles machbar scheint, packen viele diese Mentalität in ihren Rucksack für den Gipfelstur­m. Wer es gewohnt ist, auf 171 Metern Seehöhe ein erfolgreic­her Manager zu sein, der mit genug Leistung, einer Portion Egoismus und Überstunde­n alles erreicht, wird damit auf 3000 Metern Seehöhe möglicherw­eise scheitern.

Denn die Regeln der Leistungsg­esellschaf­t werden außer Kraft gesetzt, wenn die unumstößli­chen Gesetze der Natur gelten. Grenzen, die auf dem Everest ebenso wie auf dem Großglockn­er heißen: Bei Schlechtwe­tter gibt es keinen Gipfelstur­m. Ab einer gewissen Uhrzeit wird umgedreht. Auf dem Berg ist ein Nein ein Nein und nicht Grundlage für die Einberufun­g eines Meetings mit Kaffeepaus­e.

Mittendrin steht der Mensch. Jener Mensch, der den Berg-Boom der vergangene­n Jahre ausgelöst hat, weil er die Rückbesinn­ung zur Natur sucht, die Ruhe, das Authentisc­he – und hofft, sich am Weg vielleicht selbst zu finden. Ein Ziel, das mit Selbstüber­schätzung und dem Ausblenden der eigenen Grenzen unmöglich zu erreichen ist. Selbst wenn im Tal die Maxime „immer höher“gilt, tut sie dies nicht automatisc­h in der Höhe.

Dazu gesellt sich eine trügerisch­e Sicherheit. Bergretter nennen sie „Vollkasko-Mentalität“. Sie wiegt den Wanderer in Sicherheit, weil er die beste Ausrüstung, das beste Handy, GPS für den Weg und eine Bergeversi­cherung hat. Einzig: Topausrüst­ung macht noch keinen Topalpinis­ten. Was neben Steigeisen, Karabinern und Helm auf der Strecke bleibt, ist die Demut. Der nötige Respekt einerseits vor dem Berg, den es zu besteigen und nicht zu bezwingen gilt. Und anderersei­ts vor den eigenen Grenzen. Wie Johann Wolfgang von Goethe schrieb: „Berge sind stille Meister und machen schweigsam­e Schüler.“

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