Nicht nur auf dem Berg vergisst der Mensch die Grenzen
Top ausgerüstet zieht es immer mehr Menschen in die Berge. Was oft im Tal bleibt, ist die Akzeptanz für die Regeln der Natur.
30.500 Euro kostet der Fullservice. Geworben wird mit Einzelzelten, persönlichen Köchen, Trägern und einer 100-prozentigen Erfolgsgarantie. Was sich liest wie ein Luxusausflug, ist ein Angebot für die Besteigung des höchsten Berges der Welt: des Mount Everest. Perfekte Kommerzialisierung auf 8848 Metern Seehöhe, die das Gefühl von Unbesiegbarkeit vermittelt. Wie trügerisch dies ist, verdeutlichen jährlich zahlreiche Bergunglücke. Doch nicht nur auf dem Everest, auch auf Österreichs höchstem Berg, dem Großglockner, überschätzten in den vergangenen Wochen immer mehr Alpinisten ihr Können.
Die Berge, sie werden zusehends zum Ausdruck des Zeitgeists unserer Gesellschaft. In einer Welt, in der alles machbar scheint, packen viele diese Mentalität in ihren Rucksack für den Gipfelsturm. Wer es gewohnt ist, auf 171 Metern Seehöhe ein erfolgreicher Manager zu sein, der mit genug Leistung, einer Portion Egoismus und Überstunden alles erreicht, wird damit auf 3000 Metern Seehöhe möglicherweise scheitern.
Denn die Regeln der Leistungsgesellschaft werden außer Kraft gesetzt, wenn die unumstößlichen Gesetze der Natur gelten. Grenzen, die auf dem Everest ebenso wie auf dem Großglockner heißen: Bei Schlechtwetter gibt es keinen Gipfelsturm. Ab einer gewissen Uhrzeit wird umgedreht. Auf dem Berg ist ein Nein ein Nein und nicht Grundlage für die Einberufung eines Meetings mit Kaffeepause.
Mittendrin steht der Mensch. Jener Mensch, der den Berg-Boom der vergangenen Jahre ausgelöst hat, weil er die Rückbesinnung zur Natur sucht, die Ruhe, das Authentische – und hofft, sich am Weg vielleicht selbst zu finden. Ein Ziel, das mit Selbstüberschätzung und dem Ausblenden der eigenen Grenzen unmöglich zu erreichen ist. Selbst wenn im Tal die Maxime „immer höher“gilt, tut sie dies nicht automatisch in der Höhe.
Dazu gesellt sich eine trügerische Sicherheit. Bergretter nennen sie „Vollkasko-Mentalität“. Sie wiegt den Wanderer in Sicherheit, weil er die beste Ausrüstung, das beste Handy, GPS für den Weg und eine Bergeversicherung hat. Einzig: Topausrüstung macht noch keinen Topalpinisten. Was neben Steigeisen, Karabinern und Helm auf der Strecke bleibt, ist die Demut. Der nötige Respekt einerseits vor dem Berg, den es zu besteigen und nicht zu bezwingen gilt. Und andererseits vor den eigenen Grenzen. Wie Johann Wolfgang von Goethe schrieb: „Berge sind stille Meister und machen schweigsame Schüler.“