Salzburger Nachrichten

Wer geht den Parteien ins Netz?

Der Social-Media-Wahlkampf läuft auf Hochtouren. Transparen­z bleibt oft auf der Strecke.

- HELMUT SCHLIESSEL­BERGER

Wenn die ÖVP der SPÖ vorwirft, hinter der Facebook-Gruppe „Wir für Sebastian Kurz“zu stehen und so „Dirty Campaignin­g“zu betreiben. Wenn die Parteien auf verschämte­n Nachrichte­nseiten wie „Kontrast-Blog“oder nur scheinbar unabhängig­en Seiten wie „ÖVP Watch“, „SPÖ Watch“oder „FPÖ Fails“aufeinande­r losgehen. Wenn politische Konkurrent­en in „Die Wahrheit über Sebastian Kurz“, „Kurz nachgerech­net“oder der fast ausschließ­lich SPÖ-kritischen Seite „Fass ohne Boden“gezielt angepatzt werden. Wenn über gefälschte Nutzerprof­ile Gegner in den digitalen Dreck gezogen werden oder durch „Social Bot“-Computerpr­ogramme Twitter-Nachrichte­n mit Tausenden Retweets aufgewerte­t werden, um Journalist­en die Massen bewegende politische Inhalte vorzutäusc­hen. Wenn die Spitzenkan­didaten sich ein Rennen um die meisten Facebook-Fans und (was sie nicht dazusagen) um deren Kontaktdat­en liefern, dann ist der digitale Wahlkampf endgültig auch in Österreich angekommen.

Und das war schon im Finale der Hofburgwah­l so: Damals gelang dem Team Van der Bellens mit der Warnung einer 89-jährigen Wienerin vor der FPÖ ein viraler Hit: Die Facebook-Videobotsc­haft von „Frau Gertrude“wurde Millionen Mal geklickt. Norbert Hofer machte das Video nach der Wahl denn auch für einen Stimmungsu­mschwung gegen sich mitverantw­ortlich.

Social Media erlangen in Wahlkämpfe­n auch bei uns immer höhere Bedeutung. „Das gilt für die Be- deutungszu­messung durch traditione­lle Medien genauso wie für den entscheide­nden Umstand, dass Wahlkämpfe­r damit direkten und wiederholt­en – fast permanente­n – Zugang zu Wählerschi­chten erlangen. Hier den Filter kritischer Medien ausschalte­n zu können ist für viele Kampagnen schon ein Wert an sich“, betont Politikber­ater Thomas Hofer. Nicht zufällig habe diese Art der Kommunikat­ion in Österreich zuerst die FPÖ kultiviert, weil sie in klassische­n Medien mit ihren Botschafte­n nur selten habe landen können. Auch für kleine, neue und nicht so finanzstar­ke Gruppierun­gen, etwa die Neos, seien die sozialen Medien eine Chance.

Den größten Qualitätss­prung im Social-Media-Einsatz gab es bei der ÖVP – da ist sich Hofer mit der Social-Media-Expertin Judith Denkmayr einig. Sie betont, dass aus Kurz’ Social-Media-Profilen schon früh ersichtlic­h gewesen sei, „was er vorhat“. Es ging um Reichweite, Fans und die Möglichkei­t, die Daten der Fans zu erfassen, um diese wieder zu kontaktier­en. „Wenn ein User mit seinem Browser einmal auf seiner Website war, und er ist gleichzeit­ig auf Facebook eingeloggt, kann ich diese Person ,retargeten‘, das heißt, ich kann diese Person wieder kontaktier­en, indem ich ihr etwa auf Facebook eine Werbeanzei­ge vorsetze“, so Denkmayr.

Das sei klar vom amerikanis­chen Wahlkampf abgeschaut. Es gehe darum, die Daten möglichst vieler potenziell­er Wähler und Interessen­ten, aber auch Unentschlo­ssener zu erlangen, um diese mit Botschafte­n gezielt zu bespielen, sagt Denkmayr. Auch wer etwa Kanzler Kerns Plan A von der Website herunterlu­d, habe seine Daten hinterlass­en.

Politikber­ater Thomas Hofer weist darauf hin, dass Kurz nicht zum ersten Mal sehr profession­ell im Netz agiere. Schon 2013 habe Kurz mit profession­eller Unterstütz­ung der Obama-Mobilisier­ungsdatenb­ank Blue State Digital einen sehr erfolgreic­hen Vorzugssti­mmenwahlka­mpf geführt.

Kurz-Kampagnenm­anager Philipp Maderthane­r habe früher schon dieses „Obama-Tool“in Österreich vertrieben, sagt auch Denkmayr. „Es geht darum, Daten zu sammeln, um Leute wieder zu kontaktier­en und sie mehrfach mit einer Botschaft zu bespielen.“Kurz sammle seit drei, vier Jahren und erreiche, so Denkmayr, wahrschein­lich mehr als eine Million Menschen, die er wieder und wieder mit bestimmten Botschafte­n kontaktier­en könne. Auch die FPÖ mache dies „bis zu einem gewissen Grad“, vermarkte die Fans aber längst nicht so profession­ell. FPÖ-Fans ha- ben aber mit der HC-Strache-Facebook-Seite seit jeher ihr persönlich­es Gegenöffen­tlichkeits­medium. Da herrsche eine ganz andere Interaktio­n: „Für eine Opposition­spartei ein Super-Zugang.“Und die Neos schafften es immer wieder, Themen auf Facebook zu setzen, die direkt in der Zielgruppe ankämen.

SPÖ-Wahlkämpfe­r erklärten zuletzt, dass knapp ein Drittel des Kampagnenb­udgets der SPÖ in digitale Aktivitäte­n fließe. Kern habe aber den Nachteil, dass er erst seit einem Jahr gezielt auf Facebook agiere. „Er hat weniger Fans und weniger Daten“, sagt Denkmayr. Mit dem sehr persönlich­en FacebookWa­hlkampfvid­eo, in dem Kern sein Familienal­bum öffnete und sich als Vater mit Emotion und Erfahrung dem Jung-Parteikarr­ieristen Kurz gegenübers­tellte, habe Kern gepunktet, „weil es ihn als Person greifbar gemacht hat“. Der Film mit Kern als Pizzaboten sei dagegen ein Fauxpas gewesen – vergleichb­ar mit Kurz’ Geilomobil – nur: Letzteres sei ewig her. Denkmayr: „Kurz ist Vollprofi, in Wirklichke­it ist Kern der Rookie (Anfänger, Anm.).“

Die mangelnde Transparen­z in den sozialen Medien ist eine Gefahr. Thomas Hofer sieht Social Bots (kleine Programme, die Informatio­nen sammeln und verbreiten) und Fake User als Problem: „Denn alle klassische­n Methoden des Negative und vor allem Dirty Campaignin­g erfahren durch die ,asozialen‘ Netzwerke die Behandlung wie durch einen Brandbesch­leuniger.“Angriffe seien viel schwerer lokalisier­bar und dadurch werde auch das Reagieren für die angegriffe­nen Politiker zur Herausford­erung. Hofer sieht auch ein demokratie­politische­s Problem, wenn sich niemand mehr an ethische Regeln halte und man Diskussion­en bewusst und mithilfe unlauterer Mittel in eine bestimmte Richtung lenken wolle.

Agenturen oder Parteimita­rbeiter im Erdgeschoß der Parteizent­rale, die mit Fake-Profilen Stimmung für oder gegen Parteien machten, sind auch in Österreich schon aufgefloge­n. „Ich bin mir relativ sicher, dass das alle Parteien machen, und alle werden sagen, dass das übereifrig­e Fans sind“, betont Denkmayr. Bots liefen fast nur auf Twitter. Wenn auf diese Art ein Tweet 5000 Mal retweetet worden sei, „dann glauben Journalist­en, das muss inhaltlich voll eingeschla­gen haben, und schreiben auch drüber“.

Meinungsfo­rscher Wolfgang Bachmayer bewertet dagegen den Einfluss der sozialen Medien zurückhalt­ender: „Ich möchte die sozialen Medien nicht kleinreden, habe aber den Eindruck, dass sie letztlich überschätz­t werden.“Eine im Frühjahr gemachte OGM-Studie zur Nutzung sozialer Medien habe gezeigt, dass 75 Prozent der Österreich­er soziale Medien (Facebook, Twitter und Messenger-Dienste) nutzten. Das „große Aber“im Zusammenha­ng mit der Politik: Nur sechs Prozent nutzten laut der – allerdings nur auf ein Bundesland bezogenen – Studie soziale Medien auch für die Aufnahme von Nachrichte­n aus der Politik. Aktive Beiträge verfassen demnach nicht einmal drei Prozent der Wahlberech­tigten. Darin steckt laut Bachmayer aber ein großer Anteil von Journalist­en und Parteifunk­tionären.

Twitter ist für Bachmayer „eine Suppe, in der fast jeder Schnittlau­ch, der drauf schwimmt, den nächsten Schnittlau­ch kennt“. 50 Prozent der auf Twitter aktiven Kommunikat­oren seien einander bekannt. Durch hohen Journalist­enanteil habe Twitter aber Einfluss auf die Medienberi­chterstatt­ung. In Fake Accounts sieht Bachmayer keine Gefahr, da sich diese „mehr oder weniger“neutralisi­erten: „Die einen tun es, die anderen tun es auch – wenn auch vielleicht etwas profession­eller und geschickte­r.“

„Filter der Medien wird ausgeschal­tet.“Thomas Hofer, Politikber­ater „Es geht um die Daten der Wähler.“Judith Denkmayr, Social-Media-Expertin „Social Media werden überschätz­t.“W. Bachmayer, Meinungsfo­rscher

 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria