Papst appelliert an Präsident Maduro
Umstrittene verfassungsgebende Versammlung in Venezuela dennoch einberufen. Die Stimmung spitzt sich zu, die politische Lage wird immer hoffnungsloser. Inflationsrate von 720 Prozent erwartet.
CARACAS. In einem Klima höchster Spannung hat Präsident Nicolás Maduro am Freitag in Venezuela die umstrittene verfassungsgebende Versammlung erstmals einberufen. Die 545 Mitglieder des umstrittenen Gremiums wählten die frühere Außenministerin Delcy Rodriguez, eine loyale Anhängerin des sozialistischen Präsidenten, zur Vorsitzenden. Zuvor hatte ein Priester die Versammlung gesegnet – obwohl der Vatikan zu den Kritikern des Gremiums gehört. Die Opposition demonstrierte zunächst friedlich gegen die Versammlung. Bei den Protesten der vergangenen vier Monate sind 120 Menschen gestorben.
Papst Franziskus hatte Maduro im Vorfeld aufgerufen, auf die Einberufung der Versammlung zu verzichten. Der Heilige Stuhl bitte, diese Initiative zu stoppen oder auszusetzen sowie Menschenrechte und fundamentale Freiheitsrechte zu achten. Rund 95 Prozent der 31 Millionen Einwohner Venezuelas sind katholisch, der Vatikan hat bereits mehrfach zwischen Regierung und Opposition vermittelt.
Die verfassungsgebende Versammlung (ANC) soll auf unbestimmte Zeit in den Räumlichkeiten der Nationalversammlung im Zentrum von Caracas tagen. Dort ist aber der Sitz des Parlaments, das seit den Wahlen 2015 von der Opposition dominiert wird. Es ist davon auszugehen, dass das Parlament nicht nur seinen Sitz verliert, sondern gleich geschlossen wird. Am Mittwoch besetzten erste Einheiten der Nationalgarde das neoklassizistische Gebäude. Unterdessen forderte Generalstaatsanwältin Luisa Ortega die Annullierung der Wahl zur ANC. Grund ist der Verdacht auf Verstöße gegen das Wahlgesetz und Manipulationen bei der Abstimmung am Sonntag.
Die Versammlung soll ein neues Grundgesetz für Venezuela ausarbeiten, das die kapitalistische und demokratische Grundordnung westlichen Musters durch ein sozialistisches Modell ersetzen soll. Die Versammlung hat aber auch umfassende Vollmachten, kann Institutionen auflösen, die Immunität der Parlamentarier aufheben und ermöglicht dem Präsidenten so, ohne Kontrolle zu regieren.
International ist die ANC auf breite Ablehnung gestoßen. Die USA, die EU und viele Staaten Lateinamerikas erkennen das Gremium, das eine Art regierungstreues Parallel-Parlament ist, nicht an. Russland, ein wichtiger Wirtschaftspartner Venezuelas, hat die ANC hingegen sehr wohl anerkannt. China, Venezuelas größter Gläubiger, verhält sich neutral, lehnt jedoch Einmischungen in die Angelegenheiten des Landes ab.
Indessen dreht sich die Inflationsspirale immer schneller. Allein am Donnerstag verlor die Nationalwährung Bolivar auf dem Schwarzmarkt fast 15 Prozent ihres Werts und wurde dort zum Wechselkurs von 17.000 Bolivar pro Dollar getauscht. Am Freitag lag der Wechselkurs schon bei fast 18.000 Bolivar. Der von der Regierung festgesetzte Kurs von 2870 Bolivar wird nicht beachtet. Das erdölreiche Venezuela befindet sich infolge von Ölpreisverfall und Misswirtschaft in einer der schlimmsten Wirtschaftskrisen seiner Geschichte. Der Internationale Währungsfonds (IWF) rechnet für dieses Jahr mit einer Inflationsrate von 720 Prozent. südamerikanischen