Das Fischstäbchen-Fiasko
Hochrangige Politiker sprechen in Sitzungen plötzlich über Schinken, Nutella und Fischstäbchen. Der Grund: Osteuropa behauptet, Produkte zweiter Klasse zu bekommen.
Den Stellenwert von Nutella kennt jeder, der morgens schon einmal seinen Löffel in die Tiefen eines mit Schokoladecreme gefüllten Glases getaucht hat. Dass Nutella nun aber so wichtig ist, dass sich sogar EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker damit befasst – fachlich, nicht beim Frühstück –, hätte bis vor wenigen Tagen noch niemand gedacht.
Grund für die ungewöhnliche Agenda in Brüssel ist, dass sich Slowaken, Tschechen, Polen und Ungarn im Supermarkt diskriminiert fühlen. Der Vorwurf: Produkte internationaler Konzerne seien in ihren Ländern von schlechterer Qualität als in Westeuropa. Was ist dran an den Vorwürfen? Ist Europa tatsächlich eine Zwei-Esser-Gesellschaft?
Vladimír Machalík, Mitarbeiter des slowakischen Landwirtschaftsministeriums, behauptet: Ja. Sein Ministerium testete Mitte Februar dieses Jahres 22 Produkte identischer Marken, erhältlich in Österreich und in der Slowakei. „Die Hälfte der Produkte wird in der Slowakei in schlechterer Qualität verkauft“, sagt Machalík. Bei einigen Produkten wurden tatsächlich messbare Qualitätsunterschiede gefunden. So enthielten Fischstäbchen in der Slowakei weniger Fisch als in Österreich, Schinken weniger Fleisch und Teebeutel weniger Tee.
Andere Untersuchungsergebnisse wirkten eher vage. So soll Mozzarella-Käse einer bestimmten Sorte in Österreich weißer sein und Manner-Waffeln würden knuspriger schmecken.
Manner etwa schmeckt die Kritik gar nicht. Die Rezeptur ihrer Schnitten sei unabhängig vom Zielmarkt einheitlich, lässt das Unternehmen auf SN-Anfrage wissen. „Mit einer Exportquote von etwa 60 Prozent und hohen Qualitätsansprüchen schaden die Anschuldigungen der doppelten Qualitätsstandards unserem Ansehen“, sagt Pressesprecherin Karin Steinhart. Manner hat nun im Gegenzug Einladungen an die Ministerien in der Slowakei und Ungarn geschickt und Vertreter nach Wien zum Naschen eingeladen. „Sie sollen sich vor Ort von der einheitlichen Rezeptur überzeugen können“, sagt Steinhart.
Das Thema, mit dem der slowakische Regierungschef Robert Fico vergangene Woche in Brüssel vorstellig wurde, ist nicht neu. Seit Jahren weist die tschechische Europaabgeordnete Olga Sehnalová auf die Zwei-Esser-Gesellschaft in Europa hin. Besonders betont sie die Unterschiede bei Fleischdosen. Das Frühstücksfleisch der dänischen Firma Tulip etwa enthalte in Deutschland nur Schweinefleisch, in Tschechien aber 39 Prozent abgeschabtes Knochenfleisch vom Huhn, so das Ergebnis eines Vergleichs, den Sehnalová schon 2015 in Auftrag gegeben hat. Enorme Unterschiede auch beim Preis: In Deutschland kostete das Frühstücksfleisch 44 Cent pro 100 Gramm, in Tschechien 86 Cent pro 100 Gramm.
Auch die ungarische Lebensmittelsicherheitsbehörde NEBIH verglich 24 Produkte, die sowohl in Ungarn als auch in Österreich vertrieben werden. Ungarisches Nutella sei nicht so cremig wie das österreichische Pendant, bemängelten die Prüfer zum Beispiel.
Der slowakische Regierungschef kam vergangene Woche in Brüssel auch auf Waschmittel zu sprechen. Gemeinsam mit den Regierungen der drei anderen Visegrád-Staaten wirft er den Konzernen Henkel und Unilever vor, ihre Bevölkerung mit zweitklassigem Waschpulver zu beliefern. Das enthalte 20 Prozent weniger waschaktive Substanzen – aber zum gleichen Preis wie in Westeuropa. Nach der Devise: Weniger Tenside im Waschpulver seien kein Problem, wenn der Verbraucher die Waschtemperatur erhöhe. „Wir haben sogar zu hören bekommen, dass die Flecken auf slowakischen Hemden eben anders seien“, sagt Vladimír Machalík. „Unglaublich. Dabei geht es uns nur um eines: Wir haben einen gemeinsamen Markt mit freiem Warenverkehr. Da verlangen wir, dass Produkte der gleichen Marke mit der gleichen Verpackung und dem gleichen Preis auch die gleiche Qualität aufweisen.“
Hersteller reagieren auf die Anschuldigungen gern mit dem Argument: „Wir passen unsere Produkte der Nachfrage des Marktes an.“In diese Kerbe schlägt etwa auch Dirk Jacobs von FoodDrinkEurope, dem Dachverband der Lebensmittelindustrie in der EU: „Den europäischen Konsumenten gibt es nicht. Die Geschmäcker sind verschieden. Und darauf gehen die Hersteller ein.“Beispiel Fischstäbchen: „Die Rezeptur für die Slowakei wird auch in Großbritannien, in den Niederlanden und in Portugal verkauft.“Es stimme also: Fischstäbchen ist nicht gleich Fischstäbchen. „Aber die Grenze verläuft nicht zwischen Ost- und Westeuropa, sondern kreuz und quer durch Europa.“
Den Unternehmen sei mit den Tests großer Schaden zugefügt worden, sagt Jacobs und kritisiert: „Die Hersteller wurden vorab nicht informiert. Dabei gibt es oft ganz logische Gründe, wieso Produkte von Land zu Land variieren. Geschmäcker, lokale Beschaffung von Zutaten, nationale Regulierungen oder die Kaufkraft der Konsumenten im jeweiligen Land.“
Vladimír Machalík lässt sich mit solchen Argumenten nicht abspeisen. „Die Slowaken sind sehr proeuropäisch eingestellt. Mit dieser Sache könnte das aber kippen. Wir brauchen doch nur bei Hainburg oder Bruck an der Leitha über die Grenze zu fahren und zu vergleichen.“
EU-Kommissionspräsident Juncker gibt den Osteuropäern nun Rückendeckung. Die EUKommission werde die Vorwürfe prüfen. Da die Slowaken weder Sunlicht noch Persil essen würden, gebe es auch keine geschmacklichen Gründe für eine andere Produktzusammensetzung in Osteuropa, argumentierte Juncker. Im September will die EU Leitlinien zur Klarstellung vorlegen.