12 Stufen bis ins Konzert
Ruhe kommt, wenn im Konzertsaal das Licht erlischt. Vorher geht es den ganzen Tag um Bewegung – in den Beinen und im Kopf. Zwölf Fixtermine und Unvorhersehbares: Unterwegs mit der Festspiel-Präsidentin.
Bei der Feuerwehr könnte die Präsidentin auch gut sein, sagte ihr Chauffeur einmal. Sie kann sich nämlich so schnell umziehen. Drei, vier Mal am Tag muss sie das. „Kommen S’, gehen wir“, sagt Helga RablStadler. Zum Essen mit dem Honorarkonsul aus Brasilien. Zum Geburtstag eines wichtigen Unternehmers. Zur Probe von „Aida“. Und weil ein bisserl Zeit bleibt – auch zum Kaffeekaufen. „Damit ich morgen aufwache“, sagt sie und lacht. Stets ist der nächste Termin der einzige, der zählt.
Jeder ihrer Tage im Sommer hat einen genauen Takt. Zwölf fixe Taktschläge sind es an diesem Tag. Daraus wird im Idealfall ein Teil der Melodie, die als Salzburger Festspiele klingt. Heuer bewege sie sich in so einem „Idealfall“. Sie spüre besonderen Zusammenhalt. Der hilft beim Entscheiden. Und das muss am Ende sie.
Vor 22 Jahren wurde Rabl-Stadler Präsidentin. Da habe sie Misstrauen gespürt. Eine Frau. Journalistin. Politikerin. Kauffrau. Das Misstrauen verschwand in jenem Maß, in dem sie ihre Rolle fand und ausfüllte. Außenministerin jenseits der Hofstallgasse, akribische Arbeiterin im Inneren – das Ereignis ist ohne ihre Energie schwer denkbar.
Flink muss sie sein. Oft auf den Beinen – und stets im Kopf. „Das muss aus dem Kopf“, sagt sie. Themen müssen abgeschlossen werden. Sie stellt sich schnell auf neue Gesprächspartner ein. Das kann sie gut. Und das sei ein Vorteil, „ohne den es nicht geht“.
Rabl-Stadler zieht sich nicht nur schnell um wie die Feuerwehr. Sie könnte auch bei der Feuerwehr sein, weil sie löscht. Allein geht das nicht immer. Manchmal sucht sie sich einen Helfer. Da muss dann auch Franz Welser-Möst einspringen. „Kannst du ihm das geben?“, sagt die Präsidentin in der Felsenreitschule zu dem Dirigenten. Alle warten auf Regisseur Simon Stone, der vor ein paar Tagen geheiratet hat. Rabl-Stadler hat ein Geschenk für ihn. Kleine Aufmerksamkeiten gehören zu ihrem Geschäft genauso wie die Pflege von Mäzenen und Sponsoren. Im Präsidentinnenjob geht es um kleine Häppchen und große Summen.
Vor fünf Minuten hätte die Probe mit Stone beginnen sollen. „Meine Frau sagt das auch immer: Kannst du das mitnehmen?“, sagt WelserMöst lächelnd und übernimmt den Übergabejob. Stone verspätet sich. Fünf Minuten sind nicht viel. Aber zu lange für Rabl-Stadler. Sie muss weg. Durchs Festspielhaus. Die zwölf Stufen hinauf vom Konzertbüro in die Direktion. Dort wird Peter Gelb, Chef der Metropolitan Opera in New York, erwartet. Gelb verspätet sich ein bisschen. Pause bringt das keine. Es gibt Reibereien wegen der „Aida“-Probe, zu der viele Journalisten und Adabeis möchten. Gut, dass der Dienstweg kurz ist. Nur eine Tür weiter sitzt Intendant Markus Hinterhäuser. Niemand darf zur Probe, die Künstler sollen in Ruhe arbeiten können – rasch herrscht Einigkeit. Das ist der „Idealfall“, in dem sie in diesem Sommer lebt. „Zwischen den Intendanten und mich passt kein Blatt Papier“, sagt sie. Das macht Entscheidungen leichter. Kurze Wege. Klare Ansagen. Voller Überblick. Zum Dutzend fixer Termine kommt immer genug Unvorhersehbares.
Das wird eingeschoben – wie der Anruf wegen des Besuchs eines Staatschefs. Es geht um Protokoll und Sicherheit. „Glauben Sie mir, wir haben Erfahrung mit der Sicherheit unserer Gäste“, sagt RablStadler. „Wünsche sollen erfüllt werden, so gut es geht. Wir können das“, sagt sie. Aber immer ist sie auch Hüterin der Grenzen. Die Festspiele sind kein Schaulaufen für Selbstdarstellung. Es geht um die Kunst. Damit die sich entfalten kann, baut die Präsidentin diskret Freiräume. Da wird sie ganz diplomatisch zur Geheimnisträgerin. Und gleich darauf denkt sie dann wieder wie einst als Journalistin.
„Das muss zu einer redaktionsfreundlichen Zeit ausgeschickt werden“, sagt sie bei der Vorbereitung einer Pressekonferenz. „Und ich mache die Talkshow“, sagt RablStadler. „Das geht aber nur mit eurer Hilfe“, sagt sie zu den Mitarbeiterinnen des Pressebüros. Sie braucht Informationen, die saugt sie schnell auf und spielt sie aus im richtigen Moment. „Dann ist das auch schon wieder weg“, sagt sie, fragt, wer als Nächstes kommt, legt den Schalter um: Meeting mit Sponsoren wegen einer Gala.
Danach kommt eine Vertreterin der Salzburg Festival Society in New York. Dazwischen bringt sie sich bei Büroleiterin Katharina Lindsberger auf den letzten Stand. Stehen alle Termine? Bleibt alles, wie es in der Früh gedacht war? Wie schaut es die nächsten Tage aus? Die beiden scannen den Terminplan auf dem Computer. Rabl-Stadler zeigt auf einen Tag im August. „Vielleicht geht es sich da ja aus, dass ich ausschlafen kann“, sagt sie. Acht Stunden Schlaf – „das, was ich bräuchte“– gehen sich nicht aus im Sommer. Müdigkeit geht sich aber auch nicht aus. Erledigt sein sollen die Termine und nicht sie. Erholung bringt der Abend.
Da kommt Grigory Sokolov. Zum Konzert mit dem russischen Pianisten begleitet sie Ban Ki Moon. Zuvor gibt es für den ehemaligen UNOGeneralsekretär und seine Begleiter ein kleines Essen – freundschaftlich und diskret im zum Restaurant umgebauten Büro der Präsidentin.
Im Stehen vor dem Büro diktiert sie schnell zwei E-Mails. „Dann habe ich das auch aus dem Kopf“, sagt sie wieder. „Gleich fertig machen“, sagt sie. Aufschieben. Vertrösten. Zerreden. Das liegt ihr nicht. Frühaufsteherin ist sie. Sie beginnt, wenn es noch ruhig ist im Direktorium. Da gibt es noch keine Anfragen vom Pressebüro. Es schwappen keine Organisationsprobleme in die Hofstallgasse. Die können aber ruhig kommen. „Ich habe kein Talent zur Frustration“, sagt die Präsidentin. Jürgen Flimm, einer der Intendanten ihrer Präsidentinnen-Ära, habe ihr gesagt, dass man das „Nein“schon habe, wenn man nicht frage. Also fragt sie. Sie fragt Gönner vorsichtig nach Unterstützung. Sie fragt, ob’s allen gut geht. Sie fragt, wie die Proben laufen. Sie fragt den Honorarkonsul nach der Wirtschaftslage in Brasilien. Und sie fragt „Ist das die fertige Liste?“.
Am Schreibtisch in der Früh arbeitet sie Namenslisten ab. Sie weiß, wann wer in der Stadt ist, wer welche Aufmerksamkeit bekommt. Das neue Buch von Julian Barnes für einen Stammgast. Blumen für treue Besucher. Rabl-Stadler lenkt einen Kulturdampfer mit einem Budget von 60 Millionen Euro. Wie die „Chefin einer Schraubenfabrik“fühle sie sich da bisweilen. Nur wenn das Gewinde der kleinsten Schraube akkurat verarbeitet ist, läuft das Werk. „Ich bin serviceorientiert“, sagt sie, während sie in einem Brief eine Freundlichkeit direkt aus dem Herz des Maschinenraums formuliert. „Dienstleisterin“– das sei ihre Arbeit. Sie habe das von ihrer Mutter gelernt „Da ist im Geschäft auch herumtelefoniert worden, damit eine Kundin genau das richtige Kleid bekommt.“
Jetzt geht es nicht mehr um Kleider. Jetzt geht es um Karten für eine Premiere, ums Protokoll beim Kanzlerbesuch, um Worte für eine kurze Rede, um einen Interviewtermin. Immer Dienst leisten. Im Büro. Bei Empfängen. Und unten in der Gasse auch. Dort grüßt die Präsidentin zuerst. Sie erkennt Menschen früher, als die sie erkennen. Freundlich und professionell – und auch so, dass sie schnell weiterkommt, damit wieder etwas aus dem Kopf ist. Der nächste Termin ist der wichtigste und der letzte des Tages oft der angenehmste. Das Licht geht aus im Großen Festspielhaus.
Sokolov kommt. Niemand mehr, der eine Entscheidung von ihr braucht. Keiner da, der etwas braucht. Nur Musik. „Das ist die Ernte“, sagt sie. Anspannung verfliegt. „Müde bin ich manchmal, wenn ich um halb zwei in der Früh noch bei einer Nachspeise sitze“, sagt sie. Sie wünsche sich dann nicht weg. Dazu wisse sie zu genau, dass der Moment zählt, dass die Konzentration dem Jetzt gelten muss. Doch sie denke dann schon daran, „dass ein Extrawurstbrot und ein leichter Spritzer daheim auch was sehr Feines sein könnten“.
„Wünsche sollen erfüllt werden, so gut es geht.“Helga Rabl-Stadler, Präsidentin