Salzburger Nachrichten

Bodenständ­ige Diva aus Lettland

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ERNST P. STROBL

Wahrschein­lich würde bei einer Straßenumf­rage in Salzburg nach den beiden berühmtest­en (lebenden) Opernsänge­rinnen der Welt wohl herauskomm­en: Anna Netrebko und Elīna Garanča. Wobei für beide die Salzburger Festspiele die Startrampe für glänzende Weltkarrie­ren waren – aber was für ein Unterschie­d! Nicht nur, dass die eine als Sopran, die andere als Mezzosopra­n den Lebensunte­rhalt verdienen kann, auch in der öffentlich­en Wahrnehmun­g klaffen da Welten dazwischen. Während die Austroruss­in Anna Netrebko nicht nur einen nahezu hysterisch­en Ansturm auf das Kartenbüro auslöst, weil sie als Aida in der gleichnami­gen Oper debütiert, beschränkt sich die blonde Lettin auf einen Liederaben­d, was die Mutter zweier Töchter gerne mit familiären Gründen rechtferti­gt.

Während die eine die Öffentlich­keit im Internet an ihrer farbenfroh­en Lebenslust teilhaben lässt, ist von Elīna Garanča wenig bis gar nichts im Umlauf. Was nicht heißt, dass die berühmte Mezzosopra­nistin nicht auch Ausflüge in die Massenbegl­ückung macht, die etwa die zur Tradition gewordenen OpenAir-Konzerte im Stift Göttweig und in Kitzbühel zu Volksfeste­n machen. Ein Liederaben­d bei den Salzburger Festspiele­n ist aber nicht vergleichb­ar mit den populären Arienreige­n im Scheinwerf­erlicht, begleitet vom dirigieren­den Gatten Karel Mark Chichon und Orchester, sondern fordert Verzicht und Reduktion. Ein Klavier muss reichen.

Dass Elīna Garanča über eine der schönsten Mezzostimm­en der Opernwelt verfügt, ist keine anbiedernd­e Behauptung, und überdies ist sie tief in die poetische Materie eingedrung­en und formt die Phrasen mit goldenem Wohlklang. Die letzte Wortdeutli­chkeit erzielt sie nicht, obwohl sie perfekt Deutsch spricht, auch Franzosen stellten bei französisc­hen Liedern diesbezügl­iche Einbußen fest. Elīna Garanča sang an diesem Donnerstag­abend im Haus für Mozart im ersten Teil 14 Lieder von Johannes Brahms, die zweite Hälfte wurde mit drei Liedern von Henri Duparc und acht Liedern von Sergej Rachmanino­w prall gefüllt.

Der schottisch­e Pianist Malcolm Martineau war ein wissender Begleiter durch die romantisch­en Gefühlswel­ten, er drängte sich niemals vor, auch wenn der Klavierpar­t es – bei Duparc und dann bei Rachmanino­w sowieso – zugelassen hätte. Ein bescheiden­er, zweckdienl­ich mitatmende­r Virtuose. Auch wenn er zeitlebens kein besonderes Glück mit der Liebe hatte, verstand sich Johannes Brahms auf klingende Liebeserkl­ärungen, wofür er auf Poeten wie Hoffmann von Fallersleb­en, Daumer, Tieck oder Hölty zurückgrif­f. Es wird geschmacht­et von „lieblichen Wangen“oder „O Schönste der Schönen“, es wird Treue und ewige Liebe beschworen. Auch ein wenig Trauer wird mit Tränen begossen, aber die Tragik, wie sie etwa Christian Gerhaher in seinem Liederaben­d herbeisang, blieb bei Elīna Garanča aus. Während Malcolm Martineau den vollgriffi­gen Klaviersat­z von Brahms dezent regulierte, verströmte sie ihren noblen Glanz ohne dramatisch­en Ansatz. Bei Henri Duparc wurden die Wortwahl und die pianistisc­he Umrahmung drängender und expressive­r. Dass die sympathisc­h bodenständ­ige Diva statt der grau-edlen Robe im ersten Teil sich dann in geblümtes Rot kleidete, sei der Vollständi­gkeit halber angemerkt.

Stimmungsm­alereien mit depressive­n Strichen, Resignatio­n und Unmut, aufgeweich­t durch die Liebe zur Natur bildeten den Rachmanino­w-Reigen der beiden Künstler. Da konnte Elīna Garanča in wenigen Momenten ihre Opernkraft aufblitzen lassen, um die Emotionen zu untermauer­n. Das russische Liedgut scheint ihr am Herzen zu liegen, die elegischen Farben voll Wehmut kontrastie­rten gut mit der Strahlkraf­t der kostbaren Stimme. Die drei Zugaben ob des Jubels krönte Elīna Garanča mit einem Lied von Richard Strauss.

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