Klang-Alchemie zerstört die Magie
Das Klangforum Wien spielte Musik von Gérard Grisey und Weggefährten.
SALZBURG. Aus dem Nichts der Stille tritt ein fast unhörbarer Klang. Es ist der Sound einer Elektro-Orgel – hier: der Hammond XK-7. Auf einem Teppich aus Atemgeräuschen vom Tonband führt dieses Instrument hochfrequent modulierend in eine ferne Welt. Es ist die Welt des alten Ägyptens, als die Götter noch zwischen Sonnen- und Schattenreich umherwandern konnten.
„Jour, contre-jour“nannte Gérard Grisey seine Komposition aus dem Jahr 1979: ein Spiel mit Licht und Gegenlicht. Das Orchester tritt in eine Zwiesprache mit den Orgelsounds, die – von allerlei Effektgeräten verfremdet – wie ein fremder Kommentar aus anderen Welten hineinschwirren. Aus tagheller Klanglandschaft lässt der Komponist das Orchester hinabsinken in dunkelste Nachtbereiche.
In der Salzburger FestspielReihe „Zeit mit Grisey“präsentierte das Klangforum Wien am Donnerstagabend in der Kollegienkirche Instrumentalwerke des Komponisten, der sonst oft mit der menschlichen Stimme experimentierte. Auch „Le Temps et l’écume“, ein gewichtiges Werk aus dem Jahre 1989, scheint indes den Vokalklang nicht zu benötigen. Vielmehr reichen zwei Synthesizer, Marke Yamaha DX-7, den ohnehin massiven Orchesterklang an. In mächtigen Schüben setzte das Klangforum, umsichtig geleitet von Peter Rundel, Griseys Klangvorstellungen um.
Die Klangsynthese, die Grisey in früheren Werken durch raffinierte Überlagerungseffekte weniger Instrumente oder auch gezielt eingesetztes Tonband erreicht, wirkt in der alchemistischen Verbindung aus großem Orchester und digital erzeugten Synthie-Klangflächen jedoch redundant und überladen – und verliert dadurch ihre Magie.
Luftig-leichten Klangzauber versprühte hingegen das Stück „L’Esprit des dunes“von Tristan Murail. Zwar setzt Griseys Weggefährte aus der Gruppe „L’Itinéraire“in diesem 1994 entstandenen Kammerwerk auch auf die Klangwirkung des Digital-Synthies. Doch er verwendet die artifiziellen Farben behutsamer und integriert sie organischer in den Gesamtklang. Geradezu kulinarisch brachten die Holzbläser des Klangforums ein Werk zum Erblühen, das so gar nicht wüstenartig gleichförmig erscheint. Schon zu Beginn schaffen Oboe und Synthie eine wahre Klangoase, auch die entfesselten Kontrabass-Pizzicatos treiben das Werk voran. Ein Werk, das zum Wiederhören anregt.
Das Klangforum Wien gewährte den Festspiel-Besuchern ein Wiederhören mit dem Klangkosmos von Giacinto Scelsi, dem Intendant Markus Hinterhäuser 2007 die erste „Kontinent“-Reihe gewidmet hatte. Damals waren Griseys Werke Wegstationen in der Scelsi-Erkundung gewesen, am Donnerstag wiederum fand der Italiener Einzug in die Konzertreihe für Grisey. Immerhin war dieser in seiner Zeit als RompreisStipendiat einige Male mit Scelsi zusammengetroffen.
Giacinto Scelsis fast fünfzig Jahre altes „Natura renovatur“ließ vor allem die Geiger und Bratschisten des Klangforums mikrotonal um ein Zentrum kreisen, ehe die Tieftöner die Spannung mit satten Akkorden auflösten. Hier zeigt sich erneut: je minimaler die Mittel, desto größer die Wirkung dieser Musik.
Das gilt auch für die Miniaturen „Chute“und „Movement“für HornDuo. Christoph Walder und Reinhard Zmölnig duellierten sich wie von der Hummel gestochen. Entdeckungen, die ein aufmerksames Publikum dankbar aufnahm.