Wer Wohlstand will, braucht den Kapitalmarkt „Zahlen Kunden zu viel bezahlte Zinsen zurück“
RICHARD WIENS
Die Erste Group kann sich zwar nicht darüber beklagen, dass ihr die Kunden zu wenig Geld anvertrauen – im Gegenteil: die Einlagen sind in den ersten sechs Monaten im Vergleich zum Vorjahr um 11,6 Prozent auf 145,6 Mrd. Euro gestiegen, allein neun Mrd. Euro stammen von Privatkunden. Aber in der jetzigen und voraussichtlich noch länger währenden Niedrigzinsphase könnten die Kunden damit kein Vermögen aufbauen, sagt Erste-Group-Chef Andreas Treichl.
Die Tatsache, dass man über den Zinsertrag nicht mehr zu einem gewissen Wohlstand gelangen kann, müsse zu einem Umdenken führen – bei den Anlegern, aber auch bei der Politik. Letztere sieht Treichl gefordert, sich für eine Kapitalmarktkultur im Land stark zu machen. „Diesem Thema muss sich die nächste Regierung jedenfalls widmen.“Solange Unternehmen mehrheitlich als Gesmbh & Co KG oder atypisch stille Gesellschaft konstruiert seien und es vorwiegend darum gehe, Steuern zu sparen, fehle es an Transparenz, betont der ErsteChef. Die wäre zu erreichen, wenn es eine einfache Aktiengesellschaft gäbe und man Privatpersonen ermöglichte, am Wachstum der Betriebe zu partizipieren.
Dass viele Menschen angesichts der niedrigen Zinsen auf den Immobilienmarkt auswichen, sei kein Wunder, sagt Treichl, allerdings sei diese Anlageform jungen Menschen wegen fehlender Sicherheiten oft gar nicht zugänglich. Deshalb hinke Österreich bei der Wohlstandsbildung international nach.
Anders als beim Anlegen sieht es beim Verschulden aus, da sind die Österreicher durchaus bereit, Risiko einzugehen. Nicht nur bei den Fremdwährungskrediten war Österreich ganz vorn, auch der Anteil der variabel verzinsten Kredite ist hierzulande hoch. Hier dürfte sich das Blatt wenden, mit dem Urteil des OGH zum Verbot einer Zinsuntergrenze wird sich der Trend zu fix verzinsten Krediten verstärken.
Dass der OGH entschieden hat, dass ein dem Kreditvertrag zugrunde liegender Indikator (wie Libor oder Euribor), der ins Negative dreht, mit dem vereinbarten Zinsaufschlag gegenverrechnet werden muss, „ist ein Urteil, das wir akzeptieren“, sagt Treichl. Alle Kunden mit variablen Krediten, denen zu viel Zinsen verrechnet worden seien, erhielten diese bis Ende September zurück, sagt Treichl. Für die Gruppe macht das 45 Mill. Euro aus, zwei Drittel entfallen auf die Sparkassen. Die sind, was die Kredite und Einlagen angeht, der wichtigste Geschäftsbereich der Gruppe, sie sind dabei aber wenig effizient. Die Kosten-Ertrags-Relation hat sich zwar im Jahresvergleich leicht verbessert, liegt mit 70 Prozent aber zehn Prozentpunkte über dem Durchschnittswert der Gruppe. Die Kosten der Erste Group sind im ersten Halbjahr um 1,2 Prozent auf 2 Mrd. Euro gestiegen, die Betriebserträge hingegen um 0,7 Prozent auf 3,29 Mrd. Euro gesunken, das liege am Niedrigzinsumfeld, sagt Finanzvorstand Gernot Mittendorfer.
Gute Nachrichten gibt es hingegen bei den Risikokosten, die sich weiter auf historisch niedrigem Niveau bewegen. Risikovorstand Willibald Cernko streicht die gute Entwicklung bei den Non-performingLoans hervor, die absolut um 200 Mill. Euro gesunken sind, der Anteil der faulen Kredite an sämtlichen Ausleihungen der Bank reduzierte sich von 4,9 auf 4,7 Prozent.
Unterm Strich erzielte die Erste Group bis Juni einen Nettogewinn von 624,7 Mill. Euro, das ist ein Vierteil weniger als im ersten Halbjahr 2016. Damals gab es aber einen Sondererlös von 138,7 Mill. Euro aus dem Verkauf des Anteils an VISA Europa, wie Treichl betont.
Was die Kapitalausstattung betrifft, sieht er die Gruppe gut gerüstet, die Kernkapitalquote liege unter Berücksichtigungen sämtlicher regulatorischer Regeln (Basel 3) bei 12,8 Prozent. Seit der Finanzkrise 2008 (fünf Prozent) habe sich die Kapitalquote der Erste Group mehr als verdoppelt, man verfüge mittlerweile über fast 20 Mrd. Euro regulatorisches Kapital, sagte Treichl.