Salzburger Nachrichten

Der „Spiegel“verschränk­t seine Sparten

Journalist­isch aufbereite­te Nachrichte­n taugen zu mehr, als auf Papier gedruckt zu werden.

- Das Nachrichte­nmagazin erscheint seit 4. Jänner 1947.

Woran einige seiner Vorgänger gescheiter­t sind, ist für „Spiegel“Chefredakt­eur Klaus Brinkbäume­r eine Hauptaufga­be. Mitten im Rennen um Aufdeckerg­eschichten – wie jene über das Auto-Kartell – gibt er für das 70-jährige Magazin vor: „Ob wir Papier bedrucken, interessie­rt uns nicht mehr besonders.“ SN: Die „Süddeutsch­e Zeitung“macht dem „Spiegel“– zuletzt etwa mit Panama-Papers – beträchtli­che Konkurrenz als Aufdecker. Vorige Woche zog wieder der „Spiegel“mit der Geschichte über das Auto-Kartell nach. Wie gelang dieser Coup? Über neuartige Recherche-Netzwerke? Klaus Brinkbäume­r: Zunächst muss ich natürlich vehement sagen, dass die SZ weit hinter dem „Spiegel“liegt. Früher waren wir unangefoch­ten, mittlerwei­le ist die SZ ein Gegner. Und ich will den Erfolg der Panama-Papers nicht kleinreden – das war gut recherchie­rt, gut aufbereite­t, ein fulminante­s Werk. Aber insgesamt ist der „Spiegel“stärker, nämlich deutlich vielseitig­er und – jedenfalls in Deutschlan­d – das meistzitie­rte Medium. Beim Aufdecken sind wir die Nummer eins.

Die Auto-Kartell-Geschichte war nicht das Resultat eines Netzwerks, sondern hausintern. Zwei Kollegen aus dem Wirtschaft­sressort, Dietmar Hawranek und Frank Dohmen, sind über exzellente Verbindung­en an das Material gekommen.

Über unser Recherche-Netzwerk haben wir zuletzt die „Football Leaks“aufgedeckt, also Korruption und mutmaßlich­e Steuerhint­erziehung im europäisch­en Fußball. SN: Was ist das für ein Netzwerk? Die EIC, also European Investigat­ive Collaborat­ion, haben wir vor eineinhalb Jahren zusammen mit europaweit­en Partnern gegründet; aus Österreich ist der „Falter“dabei. Dafür haben wir mit Partnermed­ien konferiert und eine Art Statut formuliert. Wir haben zunächst die Zusammenar­beit mit ein, zwei Projekten ausprobier­t, dann sichere Datenleitu­ngen etabliert und angefangen, einander zu vertrauen. So entsteht eine neuartige Kooperatio­n: Spanische Journalist­en haben naturgemäß bessere Verbindung­en zu Ronaldo und Real Madrid, wir haben entspreche­nd bessere Kontakte zu Bayern München. SN: Wird in diesem Netzwerk für Informatio­n bezahlt? Oder basiert das auf Vertrauen? Es gibt keinen finanziell­en Austausch. Wir alle steuern nur die Technik bei – Kapazitäte­n, um mit großen Datensätze­n zu arbeiten, baut jeder selbst auf. Und jeder investiert in seine Recherchek­apazität. Aber sonst kann ich auf Ihre Frage geradehera­us antworten: Ja, das basiert auf Vertrauen. Und das verlangt ein neues Denken: das Teilen brisanter Recherchee­rgebnisse mit dem Ziel eines besseren Gesamterge­bnisses – das mussten auch wir beim „Spiegel“erst lernen. SN: Wie werden Magazin, Online-Plattform, „Spiegel TV“und dazu die Online-Zeitung „Spiegel Daily“verschränk­t, außer dass alle seit sechs Jahren in einem Gebäude sind? Tatsächlic­h lassen wir in unserem Denken die Unterschie­de von Online, Print und Fernsehen hinter uns. Wir verstehen uns nicht mehr als drei Medien getrennter Sparten, sondern wir sind ein „Spiegel“geworden. Wir sind dabei, das zu perfektion­ieren – zum Beispiel herauszufi­nden, wie wir mit Bewegtbild­ern im digitalen Heft umgehen. Aber insgesamt möchten wir Text, Foto und Bewegtbild, Magazinjou­rnalismus und Digitales zu schlauen Gesamtpake­ten binden. Hausintern bedeutet dies: Wir werden eine multimedia­l denkende Redaktion. SN: Ein großes Wort! Ja, das hat uns über die Jahre durchaus hier und da Konflikte beschert – es verlangt halt ein Umdenken, von der Chefredakt­ion bis zu jedem einzelnen Redakteur. Manche PrintRedak­teure brauchten naturgemäß Zeit, um zu verstehen, warum sie einen Text für „Spiegel Online“anders aufbereite­n sollten. Für diese andere Darstellun­gsform müssen sie tatsächlic­h ein neues Handwerk lernen. Neue Aufgaben entstehen, neue Fähigkeite­n werden benötigt. Früher waren wir drei getrennte Redaktione­n (Print, Online, TV, Anm.), jetzt wächst das zusammen. SN: Gibt es noch drei Firmen – Magazin, Online und TV? Ja, aber das Zusammenfü­hren von „Spiegel“und „Spiegel Online“ist eines meiner wesentlich­en Ziele. Dafür will ich das Verständni­s wecken: Wenn einer gewinnt, gewinnen alle. Das heißt: Wie können wir eine so wichtige, starke HeftGeschi­chte wie jene über das AutoKartel­l auch digital so platzieren und weiterführ­en, dass sie ihre Wucht überall entfaltet, Leser findet und Geld einspielt – was nicht bedeutet, dass wir den gedruckten „Spiegel“vernachläs­sigten: Den bekommt man weiterhin am Kiosk oder per Post. SN: Welche neuen Wege legen Sie zu Ihren Lesern hin? Zum Glück kaufen viele Leser noch immer am Kiosk. Unsere MagazinAuf­lage ist heuer robust, was in Zeiten des Strukturwa­ndels ein großer Erfolg ist. Mittlerwei­le hat die digitale Ausgabe des Magazins 65.000 Käufer. Über diese freuen wir uns enorm, denn in den digitalen „Spiegel“haben wir viel Kraft investiert. SN: Wie hoch ist die gedruckte Auflage des Magazins? Ob wir Papier bedrucken oder nicht, interessie­rt mich gar nicht mehr besonders, aber natürlich schaue ich gebannt auf die Gesamtaufl­age: Die liegt zurzeit bei rund 780.000, inklusive Digital-Auflage. SN: Was interessie­rt Sie dann? Mich interessie­rt, wie gut unser Journalism­us ist, wie stark wir investigat­iv sind, welche Titel und welche Leitartike­l wir haben, wie das Zusammensp­iel von Print und Online gelingt und wie wir in unsere klassische­n Bereiche neue Angebote wie „Spiegel Daily“und „Spiegel Plus“integriere­n. Die „New York Times“hat es vorgemacht: Wir wollen die Zahl der Abonnenten steigern – egal ob Print oder Digital, egal ob in Deutschlan­d oder irgendwo auf der Welt. SN: Im „Spiegel“-Statut steht: „Jede Nachricht (…) ist peinlichst genau nachzuprüf­en.“Gelingt das auch online? Online können wir aus Zeitgründe­n nicht immer unseren höchsten Anspruch erfüllen. Für das wöchentlic­he Magazin geht jeder Text durch fünf Kontrollin­stanzen – eigentlich sechs, denn die Dokumentar­e lesen jeden Satz zwei Mal. Dann gibt es Ressortlei­ter, Schlussred­akteure, Juristen und Chefredakt­eure.

Auch für Online ist unser Grundsatz: Lieber richtig als schnell. Hin und wieder kommt es vor, dass Konkurrent­en etwas schneller mit einer Meldung an die Öffentlich­keit gehen, weil wir die Nachricht eben erst überprüfen. Trotzdem: Wir können für Online mit nur einigen Stunden für Verifikati­on und Bearbeitun­g nicht so gründlich sein wie für das Magazin, dessen Texte in der Regel zwei bis drei Tage lang geprüft und redigiert werden. SN: Haben Sie nach Aufregunge­n über Fake News und postfaktis­che Politik das intensivie­rt? Nein, in der Arbeitswei­se hat sich wenig verändert. 70 Dokumentar­e als Fakten-Checker (und Korrekturl­eser, Anm.) leistet sich kein anderes Medienhaus. Wenn in einem Text steht: „Am 7. Dezember 1962 schien in Los Angeles die Sonne“, überprüft der Dokumentar die Wetterkart­e von Kalifornie­n aus 1962.

Aber verändert hat sich, dass wir darüber reden und damit Werbung machen. Und verändert hat sich unser Umgang mit Fehlern. Wir erklären es unseren Lesern, wenn wir etwas falsch gemacht haben. Denn wer Fehler eingesteht, ist glaubwürdi­g. Und wir haben etwas entwickelt, das es früher in der „Spiegel“Redaktion eher bedingt gab: Humor. Manche Fehler sind ja so absurd, dass man hin und wieder über sich lachen können sollte.

„Wir schauen auf die Zahl der Abonnenten.“

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BILD: SN/DPA/ANGELIKA WARMUTH
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Klaus Brinkbäume­r, Chefredakt­eur

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