Der „Spiegel“verschränkt seine Sparten
Journalistisch aufbereitete Nachrichten taugen zu mehr, als auf Papier gedruckt zu werden.
Woran einige seiner Vorgänger gescheitert sind, ist für „Spiegel“Chefredakteur Klaus Brinkbäumer eine Hauptaufgabe. Mitten im Rennen um Aufdeckergeschichten – wie jene über das Auto-Kartell – gibt er für das 70-jährige Magazin vor: „Ob wir Papier bedrucken, interessiert uns nicht mehr besonders.“ SN: Die „Süddeutsche Zeitung“macht dem „Spiegel“– zuletzt etwa mit Panama-Papers – beträchtliche Konkurrenz als Aufdecker. Vorige Woche zog wieder der „Spiegel“mit der Geschichte über das Auto-Kartell nach. Wie gelang dieser Coup? Über neuartige Recherche-Netzwerke? Klaus Brinkbäumer: Zunächst muss ich natürlich vehement sagen, dass die SZ weit hinter dem „Spiegel“liegt. Früher waren wir unangefochten, mittlerweile ist die SZ ein Gegner. Und ich will den Erfolg der Panama-Papers nicht kleinreden – das war gut recherchiert, gut aufbereitet, ein fulminantes Werk. Aber insgesamt ist der „Spiegel“stärker, nämlich deutlich vielseitiger und – jedenfalls in Deutschland – das meistzitierte Medium. Beim Aufdecken sind wir die Nummer eins.
Die Auto-Kartell-Geschichte war nicht das Resultat eines Netzwerks, sondern hausintern. Zwei Kollegen aus dem Wirtschaftsressort, Dietmar Hawranek und Frank Dohmen, sind über exzellente Verbindungen an das Material gekommen.
Über unser Recherche-Netzwerk haben wir zuletzt die „Football Leaks“aufgedeckt, also Korruption und mutmaßliche Steuerhinterziehung im europäischen Fußball. SN: Was ist das für ein Netzwerk? Die EIC, also European Investigative Collaboration, haben wir vor eineinhalb Jahren zusammen mit europaweiten Partnern gegründet; aus Österreich ist der „Falter“dabei. Dafür haben wir mit Partnermedien konferiert und eine Art Statut formuliert. Wir haben zunächst die Zusammenarbeit mit ein, zwei Projekten ausprobiert, dann sichere Datenleitungen etabliert und angefangen, einander zu vertrauen. So entsteht eine neuartige Kooperation: Spanische Journalisten haben naturgemäß bessere Verbindungen zu Ronaldo und Real Madrid, wir haben entsprechend bessere Kontakte zu Bayern München. SN: Wird in diesem Netzwerk für Information bezahlt? Oder basiert das auf Vertrauen? Es gibt keinen finanziellen Austausch. Wir alle steuern nur die Technik bei – Kapazitäten, um mit großen Datensätzen zu arbeiten, baut jeder selbst auf. Und jeder investiert in seine Recherchekapazität. Aber sonst kann ich auf Ihre Frage geradeheraus antworten: Ja, das basiert auf Vertrauen. Und das verlangt ein neues Denken: das Teilen brisanter Rechercheergebnisse mit dem Ziel eines besseren Gesamtergebnisses – das mussten auch wir beim „Spiegel“erst lernen. SN: Wie werden Magazin, Online-Plattform, „Spiegel TV“und dazu die Online-Zeitung „Spiegel Daily“verschränkt, außer dass alle seit sechs Jahren in einem Gebäude sind? Tatsächlich lassen wir in unserem Denken die Unterschiede von Online, Print und Fernsehen hinter uns. Wir verstehen uns nicht mehr als drei Medien getrennter Sparten, sondern wir sind ein „Spiegel“geworden. Wir sind dabei, das zu perfektionieren – zum Beispiel herauszufinden, wie wir mit Bewegtbildern im digitalen Heft umgehen. Aber insgesamt möchten wir Text, Foto und Bewegtbild, Magazinjournalismus und Digitales zu schlauen Gesamtpaketen binden. Hausintern bedeutet dies: Wir werden eine multimedial denkende Redaktion. SN: Ein großes Wort! Ja, das hat uns über die Jahre durchaus hier und da Konflikte beschert – es verlangt halt ein Umdenken, von der Chefredaktion bis zu jedem einzelnen Redakteur. Manche PrintRedakteure brauchten naturgemäß Zeit, um zu verstehen, warum sie einen Text für „Spiegel Online“anders aufbereiten sollten. Für diese andere Darstellungsform müssen sie tatsächlich ein neues Handwerk lernen. Neue Aufgaben entstehen, neue Fähigkeiten werden benötigt. Früher waren wir drei getrennte Redaktionen (Print, Online, TV, Anm.), jetzt wächst das zusammen. SN: Gibt es noch drei Firmen – Magazin, Online und TV? Ja, aber das Zusammenführen von „Spiegel“und „Spiegel Online“ist eines meiner wesentlichen Ziele. Dafür will ich das Verständnis wecken: Wenn einer gewinnt, gewinnen alle. Das heißt: Wie können wir eine so wichtige, starke HeftGeschichte wie jene über das AutoKartell auch digital so platzieren und weiterführen, dass sie ihre Wucht überall entfaltet, Leser findet und Geld einspielt – was nicht bedeutet, dass wir den gedruckten „Spiegel“vernachlässigten: Den bekommt man weiterhin am Kiosk oder per Post. SN: Welche neuen Wege legen Sie zu Ihren Lesern hin? Zum Glück kaufen viele Leser noch immer am Kiosk. Unsere MagazinAuflage ist heuer robust, was in Zeiten des Strukturwandels ein großer Erfolg ist. Mittlerweile hat die digitale Ausgabe des Magazins 65.000 Käufer. Über diese freuen wir uns enorm, denn in den digitalen „Spiegel“haben wir viel Kraft investiert. SN: Wie hoch ist die gedruckte Auflage des Magazins? Ob wir Papier bedrucken oder nicht, interessiert mich gar nicht mehr besonders, aber natürlich schaue ich gebannt auf die Gesamtauflage: Die liegt zurzeit bei rund 780.000, inklusive Digital-Auflage. SN: Was interessiert Sie dann? Mich interessiert, wie gut unser Journalismus ist, wie stark wir investigativ sind, welche Titel und welche Leitartikel wir haben, wie das Zusammenspiel von Print und Online gelingt und wie wir in unsere klassischen Bereiche neue Angebote wie „Spiegel Daily“und „Spiegel Plus“integrieren. Die „New York Times“hat es vorgemacht: Wir wollen die Zahl der Abonnenten steigern – egal ob Print oder Digital, egal ob in Deutschland oder irgendwo auf der Welt. SN: Im „Spiegel“-Statut steht: „Jede Nachricht (…) ist peinlichst genau nachzuprüfen.“Gelingt das auch online? Online können wir aus Zeitgründen nicht immer unseren höchsten Anspruch erfüllen. Für das wöchentliche Magazin geht jeder Text durch fünf Kontrollinstanzen – eigentlich sechs, denn die Dokumentare lesen jeden Satz zwei Mal. Dann gibt es Ressortleiter, Schlussredakteure, Juristen und Chefredakteure.
Auch für Online ist unser Grundsatz: Lieber richtig als schnell. Hin und wieder kommt es vor, dass Konkurrenten etwas schneller mit einer Meldung an die Öffentlichkeit gehen, weil wir die Nachricht eben erst überprüfen. Trotzdem: Wir können für Online mit nur einigen Stunden für Verifikation und Bearbeitung nicht so gründlich sein wie für das Magazin, dessen Texte in der Regel zwei bis drei Tage lang geprüft und redigiert werden. SN: Haben Sie nach Aufregungen über Fake News und postfaktische Politik das intensiviert? Nein, in der Arbeitsweise hat sich wenig verändert. 70 Dokumentare als Fakten-Checker (und Korrekturleser, Anm.) leistet sich kein anderes Medienhaus. Wenn in einem Text steht: „Am 7. Dezember 1962 schien in Los Angeles die Sonne“, überprüft der Dokumentar die Wetterkarte von Kalifornien aus 1962.
Aber verändert hat sich, dass wir darüber reden und damit Werbung machen. Und verändert hat sich unser Umgang mit Fehlern. Wir erklären es unseren Lesern, wenn wir etwas falsch gemacht haben. Denn wer Fehler eingesteht, ist glaubwürdig. Und wir haben etwas entwickelt, das es früher in der „Spiegel“Redaktion eher bedingt gab: Humor. Manche Fehler sind ja so absurd, dass man hin und wieder über sich lachen können sollte.
„Wir schauen auf die Zahl der Abonnenten.“