Tommi und das Wunder Pilz
Ohne jetzt eine Partei bzw. Bürgerbewegungsplattforminitiative bevorzugen zu wollen, muss an dieser Stelle doch auch einmal auf die Meriten des Pilzes eingegangen werden. Der Salzburger Biologe Robert Hofrichter hat darüber jüngst ein ganzes Buch geschrieben und fördert darin Erstaunliches zutage.
Zum Beispiel über den Schleimpilz, der – kein Witz! – für die Verkehrsplanung eingesetzt werden kann. Denn der eigentliche Pilz ist ja nicht das Schwammerl, das aus der Erde schaut, sondern das weitverzweigte Wurzelgeflecht darunter. Quasi des Pilzes geerdete, bürgernahe Basisorganisation.
Dieses Myzel hat die Fähigkeit, sich ideal an die topografischen Gegebenheiten anzupassen und immer den besten Weg von A nach B zu finden. Das machen sich laut Hofrichter (auf dessen Buch die SN noch zurückkommen werden) die Verkehrsplaner zunutze: In Modellversuchen soll der Schleimpilz bessere Bahnnetze entworfen haben als die menschlichen Ingenieure, und zwar sogar mit Ausweichrouten, falls der erste Myzel-Strang unterbrochen werden sollte. Klingt fantastisch, oder?
Österreich mit seinem weitverzweigten Netz von nirgendwohin führenden, da zumeist unterbrochenen ReformSträngen könnte sich glücklich schätzen, wenn sich endlich ein Pilz der Aufgabe des Ordnungmachens annehmen und sein unterirdisches Myzel wirken lassen würde. Der Wahlkampf berechtigt da zu den schönsten Hoffnungen.
Wie überhaupt gesagt werden muss, dass diese Wahlauseinandersetzung wesentlich besser ist als ihr Ruf. Sie bereitet für die Zeit nach der Wahl etwas vor, das man nur voll Vorfreude als multiple Weihnachtsbescherung beschreiben kann. Denn da Wahlversprechen in Österreich bekanntlich stets auf Punkt und Komma eingehalten werden, dürfen wir uns ab 16. Oktober auf Folgendes freuen (die Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit):
Eine aus SPÖ-, ÖVP- und FPÖ-Versprechen kumulierte Steuersenkung von mehr als 30 Milliarden Euro; eine Schließung sämtlicher nur denkbarer Routen; eine Erbschaftssteuer, die endlich die Reichen ausmerzt; höhere Pensionen; niedrigere Arbeitskosten; billigeres Fahren auf allen öffentlichen Verkehrsmitteln; mehr Geld für die Familien; kein Sitzenbleiben mehr in der Schule; dafür Gratis-Führerscheine und Gratis-Auslandsreisen. Die drei letzten Dinge sollen leider nur für Lehrlinge gelten. Aber sind wir das nicht alle, und zwar ein Leben lang? Eben.
Angesichts dieses Füllhorns an prächtigen Ideen und kostenlosen Gratis-Geschenken zum Nulltarif weiß man wirklich nicht, warum manche Bürger schon die Augen verdrehen und das Ende des Wahlkampfs herbeisehnen. Es soll sogar Wähler geben, denen, je länger dieser Wahlkampf dauert (und er dauert noch 71 Tage lang), umso öfter die „Tante Jolesch“einfällt. Nein, nicht deren berühmter Ausspruch „Was ein Wahlkämpfer wendiger ist wie ein Aff, ist ein Luxus“. Sondern die Geschichte vom kleinen Tommi.
Der kleine Tommi stammte aus sagenhaft reichem Prager Elternhaus (typischer Fall von „keine Erbschaftssteuer“), war ein verschlossenes, übellauniges Kind und hatte nur eine einzige Leidenschaft – die Fresssucht. Als er ihr eines schönen Tages bei einer Kinderjause hemmungslos frönte, besann er sich zwischen zwei Tortenstücken seiner im Nebenzimmer sitzenden Kinderfrau, ging zur Tür und rief: „Freilein! Bis in einer kleinen Weile werde ich brechen.“
Warum einem diese Anekdote Friedrich Torbergs ausgerechnet jetzt im Wahlkampf einfallen sollte? Keine Ahnung. Der kleine Tommi begab sich jedenfalls nach der sachdienlichen Mitteilung an sein Kinderfräulein zurück zur Jause und mampfte weiter.