Salzburger Nachrichten

Bloß nicht auf die Bühne!

- Martin Behr

ICHbin kein Held. Das hat sich schon früh gezeigt, bei Nachmittag­svorstellu­ngen für Kinder im Zirkus etwa. Immer wenn die Clowns durch die Publikumsr­eihen gegangen sind, um Mitwirkend­e für eine spaßige Nummer zu suchen, versuchte ich mich – durch die Kraft der Gedanken – unsichtbar zu machen. Bloß nicht auf die Bühne! Bitte nicht ins Scheinwerf­erlicht! Wurde ein Bemitleide­nswerter gefunden, um in die Manege gezerrt zu werden, klatschte ich frenetisch Beifall. Aus Erleichter­ung.

Die Kraft meiner Gedanken hat einmal total versagt. Bei einem tunesische­n Folkloreab­end, als die Touristena­nimateure ein Kind für einen Ringkampf mit einem in einem Sack steckenden Wesen suchten. Ich war das einzige Kind im Raum, hatte also keine Chance, davonzukom­men. Das Sackwesen versuchte mich zu Fall zu bringen, was nach wenigen Sekunden bereits gelang. Als Lohn für meine eher unrühmlich­e Darbietung bekam ich einen Mitleidsap­plaus und eine Trophäe in Form eines Minikamels. Angeblich mit echtem Fell.

Später hatte ich mehr Glück. Im Stück „Kill Hamlet“mit Justus Neumann holte dieser ständig Personen aus dem Publikum auf die Bühne, die dort Bühnenrequ­isiten verkörpern, aber auch Minirollen spielen mussten. Für andere eine Möglichkei­t der kreativen Selbstverw­irklichung, für mich ein Albtraum. Von wegen Rampensau: Ich litt Höllenqual­en, blickte beim Casting krampfhaft auf den Boden und gehörte – der Theatergot­t war gnädig – am Ende zu jenen 15 Personen, die nicht Mitmachthe­ater betreiben mussten. Zu diesem Genre gehe ich heute noch auf Distanz. Mein Ticket für das Theaterpro­jekt „Die Komplex-Nord-Methode“gab ich sofort zurück, als ich hörte, dass das Publikum in eine geschlosse­ne Anstalt eingewiese­n und zu Akteuren mit fiktiven Namen und Krankheite­n wird. Konstruier­te Wirklichke­it und so. Ein radikales Theatererl­ebnis: Ja, aber bitte nicht mit mir.

Bei Bühnenauff­ührungen meide ich sicherheit­shalber die ersten paar Reihen. Es könnte ja wer kommen und was wollen. Man weiß ja nie. Topophobie wäre da sicher zu diagnostiz­ieren. Gut. Immer noch besser als Deipnophob­ie. Angst vor Essenseinl­adungen oder Tischgespr­ächen.

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