Bloß nicht auf die Bühne!
ICHbin kein Held. Das hat sich schon früh gezeigt, bei Nachmittagsvorstellungen für Kinder im Zirkus etwa. Immer wenn die Clowns durch die Publikumsreihen gegangen sind, um Mitwirkende für eine spaßige Nummer zu suchen, versuchte ich mich – durch die Kraft der Gedanken – unsichtbar zu machen. Bloß nicht auf die Bühne! Bitte nicht ins Scheinwerferlicht! Wurde ein Bemitleidenswerter gefunden, um in die Manege gezerrt zu werden, klatschte ich frenetisch Beifall. Aus Erleichterung.
Die Kraft meiner Gedanken hat einmal total versagt. Bei einem tunesischen Folkloreabend, als die Touristenanimateure ein Kind für einen Ringkampf mit einem in einem Sack steckenden Wesen suchten. Ich war das einzige Kind im Raum, hatte also keine Chance, davonzukommen. Das Sackwesen versuchte mich zu Fall zu bringen, was nach wenigen Sekunden bereits gelang. Als Lohn für meine eher unrühmliche Darbietung bekam ich einen Mitleidsapplaus und eine Trophäe in Form eines Minikamels. Angeblich mit echtem Fell.
Später hatte ich mehr Glück. Im Stück „Kill Hamlet“mit Justus Neumann holte dieser ständig Personen aus dem Publikum auf die Bühne, die dort Bühnenrequisiten verkörpern, aber auch Minirollen spielen mussten. Für andere eine Möglichkeit der kreativen Selbstverwirklichung, für mich ein Albtraum. Von wegen Rampensau: Ich litt Höllenqualen, blickte beim Casting krampfhaft auf den Boden und gehörte – der Theatergott war gnädig – am Ende zu jenen 15 Personen, die nicht Mitmachtheater betreiben mussten. Zu diesem Genre gehe ich heute noch auf Distanz. Mein Ticket für das Theaterprojekt „Die Komplex-Nord-Methode“gab ich sofort zurück, als ich hörte, dass das Publikum in eine geschlossene Anstalt eingewiesen und zu Akteuren mit fiktiven Namen und Krankheiten wird. Konstruierte Wirklichkeit und so. Ein radikales Theatererlebnis: Ja, aber bitte nicht mit mir.
Bei Bühnenaufführungen meide ich sicherheitshalber die ersten paar Reihen. Es könnte ja wer kommen und was wollen. Man weiß ja nie. Topophobie wäre da sicher zu diagnostizieren. Gut. Immer noch besser als Deipnophobie. Angst vor Essenseinladungen oder Tischgesprächen.