Der Krieg beginnt in den Köpfen
Lizzie Doron schreibt über Israel und Palästina und ergreift nicht Partei.
Sie heißen Rafael und Gadi, Jehudi und Motta. Im Sommer 1965 halten sie sich gemeinsam im Pfadfinderlager auf, „wir waren ein eingeschworener Haufen“. Weil sie in Israel leben, ist die jugendliche Unbekümmertheit nicht von langer Dauer. Sie malen sich aus, in welchem Bataillon sie dienen werden, auf welche Weise sie ihrem Land helfen können. Drei Jahre später wird ebendieser Jugendlichen im Rahmen einer Feier für gefallene israelische Soldaten gedacht. Sie sind im Kampf gestorben, und Micki, der mit schweren Verbrennungen davongekommen ist, hat seinen Lebensmut weitgehend eingebüßt. Lizzie Doron, mit ihnen befreundet gewesen, musste nicht lange überlegen, wer an der Misere schuld war. Die Palästinenser galten ihr als Terroristen, die in die Schranken gewiesen werden mussten, Gewalt war ein legitimes Mittel des Selbstschutzes. Punktum!
Und dann sprang sie mit enormer Überwindung über ihren eigenen Schatten. Sie traf sich mit Mitgliedern der Friedenskämpfer, denen sie eigentlich nicht über den Weg traute. Israelische Soldaten, die palästinensische Häuser zerstört und die Bewohner vertrieben hatten und keine Hemmung hatten, ihre Waffen gegen Zivilisten einzusetzen, und palästinensische Kämpfer, die mit Terrorakten glaubten, sich von den Besetzern befreien zu können, fanden sich zusammen, um an einer friedlichen Lösung zu arbeiten. Kriegsdienstverweigerer auf der einen Seite, Terroristen auf der anderen, so sieht die landläufige Meinung zu ihnen aus. Von ihren eigenen Leuten werden sie, eine kleine Minderheit, als Verräter diffamiert.
Selbst Lizzie Doron, als Autorin offen für andere Sichtweisen, kämpfte gegen erhebliche innere Widerstände an. Als sie sich mit Palästinensern traf, sah sie in ihnen automatisch nur Mörder. Als diese ihre eigenen Geschichten erzählen von der Gewalt, die ihnen und ihren Familien widerfuhr, bröckeln allmählich die Vorbehalte. „Jemand, der mein Feind war, lehrte mich, dass ich das, was ich bislang dachte, nicht zwingend auch morgen noch denken musste.“Auf einmal sieht sie in ihrem Gesprächspartner nicht einen Feind, der vernichtet werden muss, sondern einen Menschen, der einen vergleichbaren Leidensdruck zu verarbeiten hat wie sie selbst. Das will etwas heißen für eine, die von sich behauptet, „ich bin die Spitze des mainstream, ich bin seine Verkörperung“. Einmal offen für die Schicksale auf der anderen Seite, perlen deren Geschichten nicht mehr ab von ihr. Ein Jahr lang hat die Autorin Informationen von Leuten eingeholt, mit denen sie früher nichts zu tun haben wollte. Sie ließ sich überzeugen, dass sie, wenn sie sich schreibend vor dem israelisch-palästinensischen Konflikt nicht drücken wollte, um direkte Begegnungen mit ihr suspekten Gestalten nicht herumkommen würde. Das Buch zeichnet den schwierigen Prozess einer Annäherung nach, bei dem Skepsis nie ganz ausgeblendet wird. Wie um sich selbst zurückzupfeifen, um den Friedenskämpfern nicht den ganzen Raum zu überlassen, blendet sie Terrorakte der Palästinenser ein: „12. Juni 2014. Drei junge Israelis werden in der West Bank gefangen genommen und getötet. Mörder. Raketen werden auf Siedlungen in der Nähe von Gaza abgeschossen.“
Parallel zu den schrecklichen Ereignissen in der besetzten Zone, wo die israelische Armee Verbrechen anrichtet, erzählt sie Szenen aus ihrer eigenen Biografie, die sie geprägt haben. Lizzie Doron liefert gleichermaßen Geschichtsschreibung und Gegengeschichtsschreibung in einem. Es gibt nicht die Guten und die Bösen, die einander gegenüberstehen, das wäre ein Fall für die Trivialliteratur. Auf beiden Seiten haben sich moralische Mischungsverhältnisse zusammengemixt, die es für die Autorin unmöglich machen, Partei zu ergreifen. Das Buch ist ein Fall von Dokumentarliteratur, der Ratlosigkeit eingeschrieben ist. Zuhören ist jedenfalls nicht die schlechteste Methode, dem Kriegszustand wenigstens in den Köpfen keine Verlängerung zu gewähren.
Verlosung: Fünf Exemplare von „Sweet Occupation“von Lizzie Doron, aus dem Hebräischen von Mirjam Pressler, 208 Seiten, dtv premium 2017, werden unter Abonnenten der „Salzburger Nachrichten“verlost.
Zuschriften bzw. E-Mails bis 14. August 2017 (Einsendeschluss) per Postkarte, Kennwort „Buch des Monats“, an „Salzburger Nachrichten“, Leser-Marketing, Karolingerstraße 40, 5021 Salzburg, oder unter www.salzburg.com/gewinnspiele