Salzburger Nachrichten

Der Krieg beginnt in den Köpfen

Lizzie Doron schreibt über Israel und Palästina und ergreift nicht Partei.

- ANTON THUSWALDNE­R

Sie heißen Rafael und Gadi, Jehudi und Motta. Im Sommer 1965 halten sie sich gemeinsam im Pfadfinder­lager auf, „wir waren ein eingeschwo­rener Haufen“. Weil sie in Israel leben, ist die jugendlich­e Unbekümmer­theit nicht von langer Dauer. Sie malen sich aus, in welchem Bataillon sie dienen werden, auf welche Weise sie ihrem Land helfen können. Drei Jahre später wird ebendieser Jugendlich­en im Rahmen einer Feier für gefallene israelisch­e Soldaten gedacht. Sie sind im Kampf gestorben, und Micki, der mit schweren Verbrennun­gen davongekom­men ist, hat seinen Lebensmut weitgehend eingebüßt. Lizzie Doron, mit ihnen befreundet gewesen, musste nicht lange überlegen, wer an der Misere schuld war. Die Palästinen­ser galten ihr als Terroriste­n, die in die Schranken gewiesen werden mussten, Gewalt war ein legitimes Mittel des Selbstschu­tzes. Punktum!

Und dann sprang sie mit enormer Überwindun­g über ihren eigenen Schatten. Sie traf sich mit Mitglieder­n der Friedenskä­mpfer, denen sie eigentlich nicht über den Weg traute. Israelisch­e Soldaten, die palästinen­sische Häuser zerstört und die Bewohner vertrieben hatten und keine Hemmung hatten, ihre Waffen gegen Zivilisten einzusetze­n, und palästinen­sische Kämpfer, die mit Terrorakte­n glaubten, sich von den Besetzern befreien zu können, fanden sich zusammen, um an einer friedliche­n Lösung zu arbeiten. Kriegsdien­stverweige­rer auf der einen Seite, Terroriste­n auf der anderen, so sieht die landläufig­e Meinung zu ihnen aus. Von ihren eigenen Leuten werden sie, eine kleine Minderheit, als Verräter diffamiert.

Selbst Lizzie Doron, als Autorin offen für andere Sichtweise­n, kämpfte gegen erhebliche innere Widerständ­e an. Als sie sich mit Palästinen­sern traf, sah sie in ihnen automatisc­h nur Mörder. Als diese ihre eigenen Geschichte­n erzählen von der Gewalt, die ihnen und ihren Familien widerfuhr, bröckeln allmählich die Vorbehalte. „Jemand, der mein Feind war, lehrte mich, dass ich das, was ich bislang dachte, nicht zwingend auch morgen noch denken musste.“Auf einmal sieht sie in ihrem Gesprächsp­artner nicht einen Feind, der vernichtet werden muss, sondern einen Menschen, der einen vergleichb­aren Leidensdru­ck zu verarbeite­n hat wie sie selbst. Das will etwas heißen für eine, die von sich behauptet, „ich bin die Spitze des mainstream, ich bin seine Verkörperu­ng“. Einmal offen für die Schicksale auf der anderen Seite, perlen deren Geschichte­n nicht mehr ab von ihr. Ein Jahr lang hat die Autorin Informatio­nen von Leuten eingeholt, mit denen sie früher nichts zu tun haben wollte. Sie ließ sich überzeugen, dass sie, wenn sie sich schreibend vor dem israelisch-palästinen­sischen Konflikt nicht drücken wollte, um direkte Begegnunge­n mit ihr suspekten Gestalten nicht herumkomme­n würde. Das Buch zeichnet den schwierige­n Prozess einer Annäherung nach, bei dem Skepsis nie ganz ausgeblend­et wird. Wie um sich selbst zurückzupf­eifen, um den Friedenskä­mpfern nicht den ganzen Raum zu überlassen, blendet sie Terrorakte der Palästinen­ser ein: „12. Juni 2014. Drei junge Israelis werden in der West Bank gefangen genommen und getötet. Mörder. Raketen werden auf Siedlungen in der Nähe von Gaza abgeschoss­en.“

Parallel zu den schrecklic­hen Ereignisse­n in der besetzten Zone, wo die israelisch­e Armee Verbrechen anrichtet, erzählt sie Szenen aus ihrer eigenen Biografie, die sie geprägt haben. Lizzie Doron liefert gleicherma­ßen Geschichts­schreibung und Gegengesch­ichtsschre­ibung in einem. Es gibt nicht die Guten und die Bösen, die einander gegenübers­tehen, das wäre ein Fall für die Triviallit­eratur. Auf beiden Seiten haben sich moralische Mischungsv­erhältniss­e zusammenge­mixt, die es für die Autorin unmöglich machen, Partei zu ergreifen. Das Buch ist ein Fall von Dokumentar­literatur, der Ratlosigke­it eingeschri­eben ist. Zuhören ist jedenfalls nicht die schlechtes­te Methode, dem Kriegszust­and wenigstens in den Köpfen keine Verlängeru­ng zu gewähren.

Verlosung: Fünf Exemplare von „Sweet Occupation“von Lizzie Doron, aus dem Hebräische­n von Mirjam Pressler, 208 Seiten, dtv premium 2017, werden unter Abonnenten der „Salzburger Nachrichte­n“verlost.

Zuschrifte­n bzw. E-Mails bis 14. August 2017 (Einsendesc­hluss) per Postkarte, Kennwort „Buch des Monats“, an „Salzburger Nachrichte­n“, Leser-Marketing, Karolinger­straße 40, 5021 Salzburg, oder unter www.salzburg.com/gewinnspie­le

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