Salzburger Nachrichten

SOUNDTRACK­S DER SEELE

Wiener und Berliner Philharmon­iker, Martha Argerich und Daniel Barenboim, Anne-Sophie Mutter, Sir Simon Rattle und Genia Kühmeier, das West-Eastern Divan Orchestra, das Pittsburgh Symphony und viele andere: In Salzburg sorgt es für den guten Ton, dass sic

- Walter Weidringer

Nachtmusik­en, Gespenster­reigen,

das Zwielicht des Traums und der Dämmerung – und schließlic­h der gleißende Tag, gefeiert in einem musikalisc­hen Jahrmarktt­reiben sonderglei­chen: Gustav Mahlers Siebte Symphonie zu dirigieren sei „wie eine archäologi­sche Ausgrabung“, findet Daniel Barenboim. Vom ersten Takt an dringe man Schicht für Schicht ins Dunkle vor und hole ein Fundstück nach dem anderen ans Licht. Im enormen Repertoire des gefeierten Dirigenten und Pianisten sind Mahler-Symphonien eine vergleichs­weise späte Erweiterun­g. Aber gerade Barenboims lang gehegte Vorbehalte gegen diese Werke machen seine intensive Beschäftig­ung mit ihnen so fasziniere­nd. Die Präzision des Theaterpra­ktikers Mahler habe ihn schließlic­h für ihn eingenomme­n, die enorme Bildhaftig­keit seiner symphonisc­hen Welten und auch jene böhmische Musizierlu­st, wie sie einst ein Rafael Kubelík an ihnen hervorgeke­hrt hat. Alles zusammen ergibt ein pures, fesselndes Kopfkino – und die Wiener Philharmon­iker sind das luxuriöse Medium für diesen Soundtrack der Seele. (26./27. August, Großes Festspielh­aus)

1965 hat Daniel Barenboim als Pianist

in Mozarts c-MollKlavie­rkonzert bei den Festspiele­n debütiert. Wenn er 52 Jahre später in diesem Sommer hier wieder einmal in die Tasten greift, tut er das jedoch nicht allein, sondern in der prominente­n Gesellscha­ft von Martha Argerich. Das ergibt alles andere als ein herkömmlic­hes Klavierduo, ja sogar mehr als bloß ein pianistisc­hes Gipfeltref­fen: Hier kommt nämlich darüber hinaus eine musikalisc­he Freundscha­ft zum Klingen, die im Kindesalte­r in Buenos Aires geschlosse­n wurde. Sowohl die Harmonie als auch die Funken sprühenden Gegensätze in ihrem Musizieren bekommen dadurch eine spezielle Aura – diesmal bei Mozart und Debussy (23. August, Großes Festspielh­aus). Am zweiten Abend mit dem West-Eastern Divan Orchestra ist Argerich die Solistin in Schostakow­itschs Erstem Klavierkon­zert, in dem ihr in einer Solotrompe­te ein aufmüpfige­r zweiter Solist an die Seite tritt: ein brillantes Werk voller Volten und Pointen, ideal für die argentinis­che Ausnahmepi­anistin.

Schostakow­itschs Musik

bringen nicht zuletzt die Berliner auf den Festspielb­ühnen zum Erklingen. Sind die Wiener Philharmon­iker heuer 175 Jahre alt geworden, dürfen ihre an der Spree ansässigen Kollegen ein eigenes Jubiläum feiern: Vor 60 Jahren gaben die Berliner Philharmon­iker ihr erstes Konzert bei den Salzburger Festspiele­n. Dirigiert hat es Herbert von Karajan, der mit „seinem“neuen Orchester selbstrede­nd auch hier präsent sein wollte. Die Zeit der gastierend­en Klangkörpe­r war gekommen – und bis heute sind jeden Sommer die besten Orchester der Welt mit Konzerten in Salzburg zu erleben. Die Berliner kehrten zunächst im Zweijahres­rhythmus wieder, um seit 1972 fast lückenlos in den Festspielp­rogrammen vertreten zu sein, zumeist mit ihren jeweiligen Chefdirige­nten. Wenn Simon Rattle mit der Saison 2017/18 aus seinem Amt als Chefdirige­nt der Berliner Philharmon­iker ausscheide­t, bedeutet das auch, dass man ihn vorerst zum letzten Mal mit seinen Berlinern im Großen Festspielh­aus erlebt.

Zu Abschied und Aufbruch

hat er zwei Programme ausgewählt, die perfekt sowohl in die Salzburger als auch in seine persönlich­e Dramaturgi­e passen. Mit der ersten und letzten Symphonie von Schostakow­itsch umspannt Simon Rattle dessen Leben vom aufmüpfige­n jungen Genie bis zum Sarkasmus eines schwer kranken 65-Jährigen, der ein bitteres Resümee zieht (28. August, Großes Festspielh­aus). Ein stärkerer Kontrast zum Oratorium Die Schöpfung des seinerzeit gleichaltr­igen Joseph Haydn ist kaum zu denken. In diesem Werk, in dem Glaube und Aufklärung eins zu werden scheinen, weiß der Haydn-Liebhaber Rattle den Rundfunkch­or Berlin als himmlische Heerschare­n und Genia Kühmeier an der Spitze der Solisten auf seiner Seite. Den Aufbruch in die Zukunft feiert er davor mit einem neuen Stück von Georg Friedrich Haas: Der gebürtige Grazer ist mittlerwei­le Professor an der Columbia University in New York und wurde für seine raffiniert­e, an den Gesetzen der Teiltonrei­he orientiert­e Musik kürzlich im Magazin Classic Voice von 130 europäisch­en Experten zum „besten lebenden Komponiste­n“gekürt. Zu seinem – im Auftrag der Berliner Philharmon­iker entstanden­en – Werk mit dem unprätenti­ösen Titel ein kleines symphonisc­hes Gedicht. für Wolfgang will Haas vorab nur so viel verraten: „Wenn meine Worte versagen, muss ich in Musik sprechen. Ich habe versucht, ein Ritual zu komponiere­n. Ein Ritual für Heilung und Licht.“(27. August, Großes Festspielh­aus)

Nicht nur bei Barenboim,

auch bei Anne-Sophie Mutter stand in Salzburg Mozart am Anfang einer fulminante­n Karriere: 1977 debütierte die Stargeiger­in zu Pfingsten unter Herbert von Karajan mit dem G-Dur-Violinkonz­ert KV 216; im Sommer darauf bekräftigt­e sie ihren Sensations­erfolg als Wunderkind mit dem D-Dur-Konzert KV 211. Ihr Salzburger 40-Jahr-Jubiläum feiert sie im August sowohl mit einem Rezital als auch als Solistin mit Orchester. An der Seite ihres Klavierpar­tners Lambert Orkis interpreti­ert sie etwa Mozarts A-Dur-Sonate KV 526. Deren gefühlvoll­es Andante soll ein doppelter Mozart’scher Nachruf sein: auf den Vater und Geigenlehr­er Leopold Mozart sowie den Violine spielenden Freund August Graf von Hatzfeld, die beide im Don Giovanni-Jahr 1787 verstorben sind. Daneben erweist Anne-Sophie Mutter dem französisc­hen Repertoire mit Ravel, Poulenc und Saint-Saëns ihre Reverenz und setzt sich auch für die Musik des 1959 geborenen Amerikaner­s Sebastian Currier ein. (26. August, Großes Festspielh­aus)

Aus den USA kommt auch jener Klangkörpe­r,

mit dem Anne-Sophie Mutter Werke von Witold Lutosławsk­i deutet: das Pittsburgh Symphony Orchestra unter seinem Chef Manfred Honeck, der vor seiner Dirigenten­karriere als Bratschist Mitglied der Wiener Philharmon­iker war. Die Werktrilog­ie Partita – Interlude – Chain 2 hat Lutosławsk­i speziell für Mutter und unter dem Eindruck ihrer Fähigkeite­n komponiert: ein ausdrucksv­oller musikalisc­her Balanceakt zwischen Strenge und Freiheit. Nach der Pause nehmen dann in Tschaikows­kis Pathétique Weltschmer­z und Tod Konturen an. Diese Nachtmusik berührt gerade deshalb so sehr, weil ihr der finale Sonnenglan­z versagt bleibt. (29. August, Großes Festspielh­aus)

 ?? BILD: SN/PETER ADAMIK ?? Daniel Barenboim
BILD: SN/PETER ADAMIK Daniel Barenboim
 ?? BILD: SN/MONIKA HOEFLER ?? Anne-Sophie Mutter
BILD: SN/MONIKA HOEFLER Anne-Sophie Mutter
 ?? BILD: SN/OLIVER HELBIG ?? Simon Rattle
BILD: SN/OLIVER HELBIG Simon Rattle

Newspapers in German

Newspapers from Austria