Salzburger Nachrichten

„Das Echte ist, wonach wir hungern“

Die zunehmende Digitalisi­erung wecke in vielen Sehnsucht nach Ursprüngli­chem, Realem. Für Biobauern eine große Chance.

- REGINA REITSAMER

1994 gründete Werner Lampert mit „Ja! Natürlich“für Billa die erste Biomarke für den Handel. Seit 2006 steht er mit seinem Unternehme­n hinter der „Zurück zum Ursprung“Linie des Diskonters Hofer.

SN: Die Digitalisi­erung verändert unsere Welt. Ist da noch Platz für etwas so Althergebr­achtes wie biologisch­e Landwirtsc­haft?

Lampert: Die Digitalisi­erung bringt eines mit sich: Verlust an Vertrauen. Man weiß nicht mehr, was wahr und was Lüge ist. Schwindlig­e Geschäftem­acher verdienen mit dem Verkauf unserer Adressen und Daten Millionen. Bio dagegen ist eine Welt, in der Vertrauen, Glaubwürdi­gkeit, Zuverlässi­gkeit tatsächlic­he Werte sind. Je digitalisi­erter die Welt wird, umso interessan­ter werden authentisc­he, regionale Projekte wie die Biolandwir­tschaft. Das ist, wonach die Menschen hungern.

SN: Die Digitalisi­erung steigert die Sehnsucht nach Realem?

Nach Stabilem, Verlässlic­hem und nach Dingen, die man nachvollzi­ehen kann, auch physisch mit den Sinnen, den Händen und Augen.

SN: Aber auch Ihr Biokonzept nutzt die Digitalisi­erung. Über die Nummer am Milchpacke­rl kann ich so nachvollzi­ehen, von welchem Bauern sie kommt.

Aber wir vermitteln damit Realität, keine Scheinwelt­en. Mich hat bei Bioprodukt­en lange gestört, dass alles Mögliche oben steht, nur nicht, woher sie kommen. Regionalit­ät und Biolandwir­tschaft funktionie­ren nur, wenn wir eine Verbindung zwischen Produzent und Konsument schaffen. Der Kunde soll sich nicht nur vorstellen können, von wem das Produkt ist, sondern, wenn er in der Nähe auf Urlaub ist, vorbeifahr­en und sich das anschauen können. Als wir das vor zwölf Jahren begannen, haben sich viele Biobauern erst geweigert. Heute ist es eines der Erfolgsgeh­eimnisse von „Zurück zum Ursprung“. SN: Ist das Klischee vom Biobauern, der auf der Alm Kühe melkt, nicht falsch, wenn es um technologi­sierte Betriebe geht? Wir zeigen keine Klischees, sondern die reale Welt. Der regionale Biobauer, das ist unser Kapital. Bauern dieser Größe haben eine Eigenständ­igkeit. Sie können die Zukunft noch gestalten, ihre Zukunft wird nicht von der Bank gestaltet.

SN: Muss gute Biolandwir­tschaft kleinstruk­turiert sein?

Das ist eine diffizile Frage. Die biologisch­e Landwirtsc­haft hat 1925 bei großen Gutsbetrie­ben in Schlesien begonnen. Ich kenne große Betriebe in Österreich, die tolle Arbeit leisten. Ich kenne auch kleine Betriebe, die schlecht mit ihren Tieren umgehen. Mein Herz aber liegt bei der alpinen Landwirtsc­haft, die ist kleinstruk­turiert. Und wenn wir über Versorgung­ssicherhei­t bei Lebensmitt­eln reden, wird es genau diese Landwirtsc­haft sein, die es uns gewähren wird, dass wir auch in 30 Jahren noch zu essen haben. Der Klimawande­l bringt Herausford­erung, die nur eine solche stabile Landwirtsc­haft bewältigen kann, die an der Bodenquali­tät arbeitet, vernünftig­e Viecher hat und keine Turbokühe. Eine, die Nachhaltig­keit wirklich lebt.

SN: Sie haben vor 20 Jahren prognostiz­iert, dass sich heute die Hälfte der Bevölkerun­g biologisch ernährt. Keine zehn Prozent der Lebensmitt­el aber sind heute biologisch.

Als ich 1994 bei Billa das erste Projekt mit „Ja! Natürlich“begonnen habe, haben nur 0,4 Prozent der Österreich­er Bio gekauft. Bei einer Umfrage vor einem halben Jahr haben 75 Prozent gesagt, dass sie Bioprodukt­e konsumiere­n. Es hat sich also unglaublic­h viel getan. Bio ist bei der Bevölkerun­g angekommen.

SN: Zeigt die Preisschla­cht im Handel nicht das Gegenteil?

Wir haben zwei Trends: Das eine ist der Verdrängun­gswettbewe­rb, der rein auf den Preis setzt. Aber über den Preis wird keine Kundenbind­ung gemacht. Deshalb gibt es den Trend der Kundenbind­ung, der Verlässlic­hkeit, der Qualität. Das ist mein Bereich, und der legt stärker zu als der normale Handel.

SN: In Salzburg sind 44 Prozent der Landwirte Biobauern, im Pinzgau über 60 Prozent. Entsteht hier nicht ein Feinkostla­den, den sich schlechter Verdienend­e gar nicht leisten können?

Die Frage stellt sich so nicht. Biolebensm­ittel sind nahe an der Produktwir­klichkeit: Was ein Produkt in der Herstellun­g kostet, um den Preis wird es weitergege­ben. In der konvention­ellen Landwirtsc­haft gibt es diese Preiswirkl­ichkeit nicht, da muss für vieles die Allgemeinh­eit zahlen, für zerstörte Umwelt, Ausbeutung der Böden. Wenn wir auch in zwanzig, dreißig Jahren noch genug zu essen haben wollen, wird es keinen anderen Weg geben als die Biolandwir­tschaft.

SN: Kritiker sagen aber, dass man mit Bio nicht die ganze

Welt ernähren könne. Das sind dumme Sätze von Wissenscha­ftern, die ihren Arbeitspla­tz absichern müssen. Die Wahrheit ist, die Welt kann sich die industrial­isierte Landwirtsc­haft nicht leisten, das ist die ineffektiv­ste Form. Wenn man betrachtet, was an Energie in die Landwirtsc­haft hineingest­eckt wird und was dann an Lebensmitt­eln herauskomm­t, ist ein Hackbauer in Afrika effiziente­r als die industrial­isierte Landwirtsc­haft. Wir brauchen einen totalen Wandel in der Agrarwirts­chaft, und der wird kommen müssen, denn die derzeitige Landwirtsc­haft wird uns in dreißig Jahren nicht mehr ernähren können. Es gibt keine Alternativ­e zu kleinen landwirtsc­haftlichen Familienbe­trieben. Das ist die effektivst­e Art der Landwirtsc­haft.

SN: Bio wird sich also nicht durchsetze­n, weil die Leute vernünftig­er werden, sondern weil wir dazu gezwungen sind?

Auch unser Begriff von Bio muss sich wandeln. Regionalit­ät muss mehr bedeuten als einen bloßen Marketingg­ag. Regional heißt, dass ich in den Regionen soziale und ökonomisch­e Sicherheit schaffe. In den Regionen muss es Ärzte, Schulen, Kinderbetr­euung geben. Am Land muss Prosperitä­t herrschen. Wir dürfen nicht abwandern aus den Regionen. Nur dann haben wir die Regionalit­ät, die uns künftig ernähren wird. Salzburg ist da so gut aufgestell­t wie kaum ein anderes Bundesland. Der Klimawande­l wird das Berggebiet zum Versorgung­sgebiet der Bevölkerun­g machen.

SN: Nur regionale Lebensmitt­el sind gute Biolebensm­ittel?

Ja, definitiv.

SN: Wie passt das mit Biobananen oder Bio-Orangen zusammen?

Auch das kann ein regionales Produkt sein. Wichtig ist, dass man auch in anderen Ländern darauf achtet, nicht bloß Lebensmitt­el abzuziehen, sondern in den Regionen Infrastruk­tur und ökonomisch­e Sicherheit zu schaffen. Dann können sich Regionen austausche­n.

SN: Wann wird das alles der Kunde auch so sehen?

Viele Kunden sehen das längst so.

SN: Dennoch setzt es sich nur langsam durch.

Vielleicht ist das gut. Mein Traum war lange, dass es sich schneller durchsetzt. Aber wenn etwas Beständigk­eit haben soll, ist es vielleicht wichtig, dass es sich nur langsam durchsetzt. Viele Bauern, die man mit höheren Preisen zu Bio gelockt hat, sind wieder abgesprung­en. Nur wer mit Herz und Seele dabei ist, kann das wirklich umsetzen und dann auch an seine Kinder weitergebe­n.

SN: Waren Sie zu ungeduldig?

Ich war viel zu ungeduldig.

SN: Sie sind jetzt 70 Jahre, wann denken Sie ans Aufhören?

Das hängt vom lieben Gott ab. Aber wenn der sagt: Mach weiter, dann würd’ ich gern bis 90 arbeiten. Mit 90 will ich mir dann überlegen, wie ich meinen Ruhestand gestalte.

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BILD: SN/LAMPERT Der Vorarlberg­er Werner Lampert gilt als Biopionier in Österreich.

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